Das Regionalmuseum als lokaler Treffpunkt und Ort mutiger, kritischer Fragen

Museumsleiterin Ingrid Weydemann spricht mit Anita Moser über die Rolle von Regionalmuseen, Beispiele kultureller Teilhabe und kulturpolitische Forderungen

Was fällt Ihnen in diesem Zusammenhang zum Stichwort Tourismus ein?

Ich beschäftige mich mit dem Thema schon sehr lange und dabei natürlich auch mit der akuten Frage des Massentourismus in Salzburg. Kulturpolitik muss in die Richtung denken, diesen Tourismus mit neuen Zentren und Frequenzbringern auch aufs Land zu bringen und nicht nur in der Stadt in dem großen Ausmaß Kultur anzubieten und zu fördern. Als Vorsitzende des Landeskulturbeirats bin ich sehr nahe an dem Thema dran, auch in meiner Funktion im Landesverband Salzburger Museen und Sammlungen.

Wenn man die Auseinandersetzung der zeitgenössischen Kunst von heute mit der zeitgenössischen Kunst von damals zu einem Schwerpunkt entwickeln kann und das seitens der Politik und der Gemeinde unterstützt wird – wozu es in Neumarkt bereits eine Willensbekundung und einen Beschluss gibt –, dann kann auch der Tourismus hier wieder aufleben.

Viele Themen von Ausstellungen und Projekten auf dem Land werden an den Haaren herbeigezogen, oft erscheint das wie ein Ausverkauf. Es würde helfen, solche Schwerpunktthemen auf dem Land zu positionieren, die kritisch sind, hinterfragen und interdisziplinär angepackt werden, wie es auch im Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg steht. Damit kann man etwas schaffen, was nicht nur für Touristen wichtig ist, sondern auch für Einheimische.

Noch einmal zurück zur kulturellen Teilhabe: Gibt es Menschen, die bis jetzt noch nicht teilhaben konnten?

Wir sind leider kein inklusives Museum. Wir haben mit den Räumlichkeiten große Schwierigkeiten – mit den Treppen, den engen Gängen, den engen Türöffnungen. Es ist ein Gebäude aus dem Jahr 1589. Dieses umzubauen würde auch denkmalpflegerisch einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Wie immer sind hier auch die Finanzen ein Problem. Man könnte natürlich Programme entwickeln für Blinde, für Gehörlose, für Menschen mit Behinderung. Es fehlt uns auch immer noch die Leichte Sprache im Museum. Es gäbe vieles, was man machen könnte, was aber mit finanziellen Mitteln verbunden ist, die wir nicht zur Verfügung haben.

Gibt es diesbezüglich ein kulturpolitisches Umdenken und Pläne für die Zukunft?

Im Land Salzburg schon. Es gab eine Kick-off-Veranstaltung für die inklusive Gesellschaft, wo alle Abteilungen des Landes eingeladen wurden und auch ExpertInnen, Meinungsbildner und AkteurInnen aus den verschiedenen Bereichen. Ich glaube, das war ein großer Schritt nach vorne.

Es geht aber nicht nur um monetäre Schritte, sondern manchmal auch um ein Umdenken. Es geht um eine Änderung im Auftreten, in der Sprache und es geht vor allem um die Einbindung der Menschen. Nicht etwas über sie oder für sie sondern mit ihnen zu machen. Das habe ich bei der Kick-off-Veranstaltung ein bisschen vermisst. Viele der Beteiligten wurden nicht so ernstgenommen, weil sie der Sprache nicht so mächtig sind, wie jemand, der das studiert hat. Da gibt es noch ganz viel aufzuholen und zu tun.

 

Geschichte am eigenen Leib erfahren

Können Sie ein Beispiel – aus Salzburg oder darüber hinaus – für einen besonders gelungenen Versuch kultureller Teilhabe nennen und eines für ein gescheitertes Projekt?

Thorsten Sadowsky hat auf einer Insel in Norddeutschland ein Museum für zeitgenössische Kunst geleitet und erzählt, dass er mit den Menschen auf der Insel in Kontakt gekommen ist und wollte, dass es auch ihr Museum ist. Er hat sie eingeladen, Guerilla Knitting zu machen. Es wurden mit der Bevölkerung Steine umstrickt und diese bunten Steine lagen dann am Meer. Das ist ein einfacher, niedrigschwelliger Zugang zu Kunst. Elisabeth Schneider hat in Radstadt auch ein Guerilla-Knitting-Projekt gemacht.

Wir hatten einmal ein Schulprogramm, bei dem es um Zivilcourage ging. Ab wann ist man im strafbaren Bereich? Wie weit geht das? Wie kann man das erfahren? Wir haben den SchülerInnen gesagt, dass sie Barrieren im öffentlichen Raum aufstellen können. Stühle, Tische und alles, was sie bei uns finden, dürfen sie raustragen und aufstellen. Es war sehr spannend, wie die Menschen darauf reagiert haben. Manche haben gesagt: „Wie früher. Eine Maut haben wir zahlen müssen. Wir zahlen euch eh etwas, wenn wir durchgehen dürfen.“ Andere haben sich furchtbar aufgeregt und gesagt: „Da holen wir die Polizei! So etwas geht nicht, ihr könnt hier nicht einfach zusperren!“ Die Polizei war natürlich informiert. Wieder andere sind still und leise auf die andere Straßenseite gegangen – sie haben das Hindernis umgangen. Eine Frau ist wirklich böse geworden, weil ihre Geschäftstüre verbarrikadiert wurde. Das war ein Fehler. Meine Kulturvermittlerin hat anschließend gesagt, sie macht das Programm nicht mehr. Sie könne das nach außen hin nicht vertreten.

Wir haben den Schülerinnen und Schülern Feedback gegeben, das auch in der Ausstellung gezeigt wurde. Wo habe ich eine Grenze überschritten? Über die eigenen Erfahrungen haben wir einen historischen Bezug hergestellt: Wie kann man heute behaupten, dass jemand im Nationalsozialismus ein Held war und dass er viele Juden gerettet hat? Haben die Widerstandskämpfer etwas falsch gemacht, gegen das Gesetz verstoßen oder einfach nur menschlich gehandelt und sogar Menschenleben gerettet? Paul Watzlawick hat hier in Neumarkt zum Beispiel die Berichte der Kriegsgefangenen falsch übersetzt, um diese vor dem Konzentrationslager zu retten und ist dafür auch angeklagt worden. Dass der Krieg dann zu Ende war, hat ihm das Leben gerettet. Wann bin ich mit einem Fuß im Gefängnis? Solche Grenzerfahrungen haben die Schüler machen können. Das ist kulturelle Teilhabe, wo ich Geschichte am eigenen Leib erfahren und merken kann, wann etwas zu weit geht, wann ich etwas für mich nicht mehr vertreten kann.

Die Ethischen Richtlinien für Museen des International Council of Museums (ICOM) bilden eine zentrale Grundlage der professionellen Arbeit von Museen und Museumsfachleuten. Man kann sie hier downloaden: http://icom-oesterreich.at/publikationen/icom-code-ethics (20.9.2019)

Anita Moser, Ingrid Weydemann ( 2019): Das Regionalmuseum als lokaler Treffpunkt und Ort mutiger, kritischer Fragen. Museumsleiterin Ingrid Weydemann spricht mit Anita Moser über die Rolle von Regionalmuseen, Beispiele kultureller Teilhabe und kulturpolitische Forderungen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/das-regionalmuseum-als-lokaler-treffpunkt-und-ort-mutiger-kritischer-fragen/