Der Widerstand gegen das gesellschaftlich erzwungene Funktionieren

Der letzte Teil war extravagant. Hier stellte uns Michael Turinsky Crip Voguing vor. Ein Tanzstil der durch die Langsamkeit und das Übertreiben von Bewegungen und Posen gekennzeichnet ist und wirklich ‚schräg‘ anzusehen ist. Aber das machte umso mehr Spaß und man fühlte sich dadurch ‚cool‘ und selbstbewusst. Perfekt, um sich auch mal im Alltag selbst aufzubauen. Der Workshop war ein spannender Mix aus verschiedenen Elementen von DanceAbility, Crip Voguing sowie Crip Choreography und der Selbst-/Erfahrung von Langsamkeit. Überraschend war für viele Teilnehmer_innen die Erkenntnis, dass „tanzen“ eigentlich ziemlich viel Lärm machen kann. Für viele war „der Tanz“ verbunden mit „Elitetänzen“ wie Ballett, die lautlos zu sein haben – auch heute noch.

Im Gespräch mit Michael Turinsky, welches von Persson Perry Baumgartinger im Rahmen des W&K-Forums Thinking about Crip and Queer Times geführt wurde, ging es besonders um das Thema Zeitlichkeit beziehungsweise Langsamkeit. Hier stellte Michael Turinsky gleich zu Beginn fest, dass Zeit und Zeitlichkeit für Menschen unterschiedlich sind. Er zum Beispiel braucht durch seine physische Einschränkung oft länger, um in den Tag starten zu können, und plant viele Ausflüge und Reisen schon im Vorhinein akribisch. Auch generell im Alltag muss man oft viel vorausdenken. In seiner choreographischen Arbeit baut er diese „andere“ Zeitlichkeit mit ein. Für ihn ist „das Material der Choreographie organisiert getaktet“, wie er im Gespräch formulierte. Außerdem stellt er sich oft die Frage, was seine eigene Zeitlichkeit mit dem Problem der Organisation von Bewegung beim Tanz bewirkt. Auch zum Thema „Improvisation“ meint er, dass diese etwas komplett Freies und vor allem auch Neues sein sollte und man darauf achten muss, nicht wieder etwas Kommerzielles zu erschaffen. Was gar nicht so einfach ist, da wir alle von gesellschaftlichen Normen und Handlungen vorgeprägt sind, weshalb seiner Meinung nach die üblichen Improvisationen in der Regel keine Improvisationen sind. Die Diskussion und seine Standpunkte veranschaulichte er mit Beispielen aus seiner Arbeit: REVERBERATIONS und My body, your pleasure.

Zum Schluss zeigte Turinsky uns aus My body, your pleasure einen Ausschnitt, in welchem die Performer_innen von totaler Ordnung mit synchronen Bewegungen zu einer Orgie explodieren. Die Orgie wird im Laufe der Handlung immer aggressiver und die Schauspieler_innen beginnen, auch die umher stehenden Kartonkisten zu zerstören. Michael Turinsky beschreibt die gesamte Choreographie als „[…] fast schon kindliche[s] Spiel auf eine polymorphe, eben vielförmige Lust, die zwar prekär sein mag, aber an keinen besonderen Ort, keine besondere, herausragende Form, keinen besonderen Körper oder Körperteil gebunden bleiben muss.“ (Turinsky o.J.b: o.S.) Beim W&K-Forum trat die Frage auf, ob Gewalt in seinen Arbeiten thematisiert werde. Michael antwortete daraufhin, dass nicht Gewalt, aber Aggression in seinen Arbeiten zum Thema gemacht werden – wie in My body, my pleasure. Diese lässt er jedoch nicht alleine auftreten, sondern oft in Kombination mit einem Gegenstück. Hierbei zählte Michael Turinsky verschiedene Konstellationen der Gewalt auf, welche zum Beispiel verknüpft sind mit Trauer oder Faszination.

Der Tag lässt sich zusammenfassend als aufregend, anstrengend, spannend, entspannend und als inspirierend beschreiben. Michael Turinsky hat mit seinen Erfahrungen, seinem unglaublichen Körpergefühl, seinem umfangreichen theoretischen Wissen und vor allem durch seine sympathische, herzliche Art begeistert und beeindruckt. Hoffentlich beehrt er uns bald wieder!

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Turinsky, Michael (o.J.a): Unterricht, Wien. Online unter http://www.michaelturinsky.org/de/unterricht.html (Zugriff am 03.07.2019).

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Turinsky, Michael (o.J.b): My body, your pleasure, Wien. Online unter http://www.michaelturinsky.org/de/my-body-your-pleasure.html (Zugriff am 03.07.2019).

Raphaela Schatz ( 2019): Der Widerstand gegen das gesellschaftlich erzwungene Funktionieren. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/der-widerstand-gegen-das-gesellschaftlich-erzwungene-funktionieren/