„Die Frage ist ganz einfach: Wer spricht in der Kunst …“

Ein Interview mit Ljubomir Bratić von Laila Huber und Elke Zobl

Warum hat das Feld der Kunst- und Kulturproduktion so eine Schlüsselfunktion im politischen Anti-Rassismus oder in politischen Kämpfen? Warum ist das eine der Techniken, die sehr wichtig erscheint?

Es geht um Öffentlichkeit, und Kunst und Kultur können u.a. als Laboratorien betrachtet werden, aus denen dieser Öffentlichkeit in gewisser Art und Weise Struktur erteilt wird. In dieser Öffentlichkeit wird nicht über alles geredet und es ist nicht alles ein Thema. Das heißt, dass etwas zum Thema zu machen und dadurch das weitere strategische Potential zu stärken eine politische Vorgangsweise ist, die auch mit Kunst- und Kulturmitteln geführt und vorangetrieben werden kann. Es ist nicht das Gleiche, über Opfer zu reden und Bilder von Opfern zu zeigen wie über Akteurinnen und Akteure zu sprechen. AkteurInnen in den Bildern oder im Gegensatz dazu deren selbstproduzierte Projekte in die Öffentlichkeit zu bringen – das ist ein Unterschied und v.a. ein langwieriger Prozess, der nicht von heute auf morgen passiert. Bei der Refugee-Bewegung habe ich das sehen können, und zwar in einem eminent politischen Feld, wo sie bis heute von vielen Leuten, die mit der Akademie der bildenden Künste in Verbindung stehen, unterstützt werden. Allerdings in dem Moment, wo die Refugees die Aula der Akademie für sich beanspruchten, kam es zu einer weiteren Klärung der Situation. Es zeigte sich, dass es einzelne Menschen gibt, die von der Akademie kommen und ihre Ressourcen in einem Prozess der Solidarisierung zur Verfügung stellen, nicht aber, dass ihre Ankerinstitution, die so stark auf ihrer libertären Ruf pocht, etwas mit den Überzähligen anfangen kann. Auch die Akademie der bildenden Künste ist nichts anderes als eine Institution, die wie andere strukturtragende und strukturerhaltende Institutionen funktioniert. Die Libertinage hat ihre Grenzen dort, wo es darum geht „den normalen Betrieb“ zu erhalten.

Aber da gibt es eben diese Diskussion, dieses Themen-Setzen, Texte-Schreiben, Texte-Rezipieren, gemeinsame Seminare, Lesezirkel etc. Das ist alles Kultur, Kulturproduktion, Kulturreproduktion, Kunst, die in verschiedenen Zusammenhängen zu dem Thema ausdiskutiert wird. Deswegen denke ich, dass für den politischen Anti-Rassismus, der sich Gleichheit als eine Kategorie, die für alle gilt, auf die Fahnen geschrieben hat, dieser Kampf und die Auseinandersetzung um die Themen und Inhalte der Wörter und die Wörter selbst sehr zentral ist. Aber das ist nur ein Teil davon und nicht die ganze Bandbreite. Es passiert auch, dass man sich in diesen Auseinandersetzungen verliert, dass jemand zu einer Künstlerin oder zu einem Künstler wird, die/der sich mit dem politisch Korrekten und dem Kampf um politische Correctness beschäftigt. Politische Correctness ist eine wichtige Methode, aber sie ist Teil eines viel breiteren Zusammenhangs, und darf auch nicht so eng genommen werden. Es bringt uns nicht sehr viel, wenn wir bestimmte Wörter nicht sagen dürfen, aber wenn trotzdem das ganze Ungleichheitswerk, das eigentlich existent ist, weiter besteht. Das betrifft jetzt aber nur eine kleine Sparte; wir reden hier nicht von einer Unmenge an Menschen, die sich damit beschäftigen, aber von einer bestimmten Anzahl, die sich doch als einflussreich erwiesen haben. Die Diskussionen, das lässt sich mit Sicherheit bemerken, laufen heute tatsächlich anders als Anfang der 90er Jahre. Derzeit wird nicht mehr so leichtfertig das Wort „Kultur“ in den Mund genommen, nicht mehr so leichtfertig das Wort „Identität“ in den Mund genommen und jetzt wird nicht mehr so leichtfertig die „Zwischen-zwei-Stühlen-Identitäts-Zerrissenheit“ beschworen, oder die Kopftuchdiskussion. Es gibt viele Diskussionen, die angegriffen wurden, in die interveniert wurde, und die in eine ganz bestimmte Richtung vorangetrieben wurden.

In deinen Beispielen beziehst du dich auf Wien – gibt es in Wien, oder auch in anderen Städten, ein Zusammenspiel zwischen der Etablierung dieser Diskurse im Kunst- und Kulturfeld seit den 90ern und der Selbstorganisation im MigrantInnen-Bereich, oder auch in anderen Feldern der Zivilgesellschaft?

Ja, in Wien, und in Linz könnte man auch sagen. Es gibt so kleine Ableger in Innsbruck; in der Stadt Salzburg kenne ich mich aber überhaupt nicht aus, da müsst ihr mir was sagen. Das ist die Beobachtung, die ich aus und in Wien mache, und vieles entsteht dort auch. Solche Organe wie die Kulturrisse , wie MALMOE, wie Bildpunkt oder an.schläge waren und sind dort, was nicht unwesentlich ist. Wien hat wie jede Stadt ihre eigenen Freundeskreise bzw. Szenen, innerhalb derer man sich kennt. All das spielt eine Rolle und natürlich spielt da auch die Auseinandersetzung mit der rechten Regierung eine wesentliche Rolle, also 1999/2000. Innerhalb der Szene wurden zu dieser Zeit auch große Kämpfe geführt. Das war ein Kampf zwischen einer Position für ein besseres Österreich und einer anti-nationalen Position, der da ausgefochten wurde, wodurch die Leute auch zusammengebracht, aber auch getrennt wurden. Man weiß, auf welcher Seite jemand steht und wie das funktioniert. Aber das ist, glaube ich, in jeder Stadt so, also wahrscheinlich auch in Salzburg.

Leider sind in den PDF-Versionen einige Sonderzeichen nicht richtig umgewandelt. Wir entschuldigen uns dafür!

Elke Zobl, Laila Huber ( 2014): „Die Frage ist ganz einfach: Wer spricht in der Kunst …“. Ein Interview mit Ljubomir Bratić von Laila Huber und Elke Zobl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04 , https://www.p-art-icipate.net/die-frage-ist-ganz-einfach-wer-spricht-in-der-kunst/