Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
Die Facebook-Seite zeigt zudem, wie die Räumlichkeiten für das Lab hergerichtet wurden. Dabei sind, und dies ist für das kulturelle Umfeld bemerkenswert, junge Frauen bei handwerklichen Arbeiten zu sehen und junge Männer, die die aufgebaute Open-Air-Küche betreiben.
Die Bilder aus der zweiten Projektphase erzeugen den Eindruck von gemeinsamem Anpacken und von Selbstorganisation,*17 *(17) an der sich die Jugendlichen aktiv beteiligen, die aber zugleich, so scheint mir, maßgeblich von den nD-Mitgliedern angestoßen wurde. Im Sinne der Hausbesetzungs-Kultur, die gerade in der Schweiz bis heute zumindest an den Stadträndern fortbesteht und mit dem verheißungsvollen Versprechen von Freiräumen verbunden ist, brachten die nD-Mitglieder bereits im ersten Jahr die Frage auf, ob man denn die vielen leerstehenden Gebäude in Tskaltubo nicht einfach einnehmen könnte, um darin beispielsweise „Disco-Partys“ zu veranstalten, ein offenes Bedürfnis, das die jungen Leute aus Tskaltubo bei den Gesprächsrunden angesprochen hatten.*18 *(18) [i4] Es stellte sich bald heraus, dass dies nicht möglich war, da auch die verwaisten Räume Besitzer haben. Würde man sie einfach besetzen, so waren sich die Leute aus Tskaltubo sicher, käme man sofort ins Gefängnis. Da niemand dieses Risiko eingehen wollte, wurden die Räumlichkeiten für das Lab nicht einfach eingenommen, sondern angemietet.
Dass solche Räume bisher nie aus lokaler Initiative heraus für ein Jugendzentrum angemietet worden waren, liegt sicherlich zum einen an fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten. Zudem anderen scheint aber das Beziehen von zerfallenden Gebäuden, das eben zum Beispiel in der Schweiz eine geradezu verheißungsvolle Tradition hat, für die lokalen Jugendlichen fremd zu sein. Dies mag an den Kontexten liegen: Während in westlichen Städten wie etwa Zürich, die oftmals bis auf die letzte Baulücke ausgebaut und durchgeplant sind, ein heruntergekommenes Haus so etwas wie Widerstand oder Ausbruch aus dem Aalglatten und Kontrollierten verkörpert, stellen die verwaisten Gebäude in Tskaltubo viel mehr eine Normalität dar, die man zu überwinden sucht. Ein Neubau hingegen steht in diesem Kontext für Aufschwung und Aufstieg, ein Sehnsuchtsbild, das gerade für Jugendliche wirkungsmächtig zu sein scheint. Ein Video auf der Facebook-Seite deutet dementsprechend auch darauf hin, dass die Räumlichkeit nicht gerade ihrem Geschmack entspricht. So reagiert eine junge Frau vor der Kamera, die gefragt wird, ob ihr der Raum vom Tskaltubo Lab gefalle, höchst zögerlich, bis sie dann schließlich ein unschlüssiges „Ja“ hervorbringt.*19 *(19)
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/