Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft

Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit

Die Facebook-Seite zeigt zudem, wie die Räumlichkeiten für das Lab hergerichtet wurden. Dabei sind, und dies ist für das kulturelle Umfeld bemerkenswert, junge Frauen bei handwerklichen Arbeiten zu sehen und junge Männer, die die aufgebaute Open-Air-Küche betreiben.

Herrichtung des Tskaltubo Lab (2014), Foto: neue Dringlichkeit

Herrichtung des Tskaltubo Lab (2014), Foto: neue Dringlichkeit

Die Bilder aus der zweiten Projektphase erzeugen den Eindruck von gemeinsamem Anpacken und von Selbstorganisation,*17 *(17) an der sich die Jugendlichen aktiv beteiligen, die aber zugleich, so scheint mir, maßgeblich von den nD-Mitgliedern angestoßen wurde. Im Sinne der Hausbesetzungs-Kultur, die gerade in der Schweiz bis heute zumindest an den Stadträndern fortbesteht und mit dem verheißungsvollen Versprechen von Freiräumen verbunden ist, brachten die nD-Mitglieder bereits im ersten Jahr die Frage auf, ob man denn die vielen leerstehenden Gebäude in Tskaltubo nicht einfach einnehmen könnte, um darin beispielsweise „Disco-Partys“ zu veranstalten, ein offenes Bedürfnis, das die jungen Leute aus Tskaltubo bei den Gesprächsrunden angesprochen hatten.*18 *(18) [i4] Es stellte sich bald heraus, dass dies nicht möglich war, da auch die verwaisten Räume Besitzer haben. Würde man sie einfach besetzen, so waren sich die Leute aus Tskaltubo sicher, käme man sofort ins Gefängnis. Da niemand dieses Risiko eingehen wollte, wurden die Räumlichkeiten für das Lab nicht einfach eingenommen, sondern angemietet.

Dass solche Räume bisher nie aus lokaler Initiative heraus für ein Jugendzentrum angemietet worden waren, liegt sicherlich zum einen an fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten. Zudem anderen scheint aber das Beziehen von zerfallenden Gebäuden, das eben zum Beispiel in der Schweiz eine geradezu verheißungsvolle Tradition hat, für die lokalen Jugendlichen fremd zu sein. Dies mag an den Kontexten liegen: Während in westlichen Städten wie etwa Zürich, die oftmals bis auf die letzte Baulücke ausgebaut und durchgeplant sind, ein heruntergekommenes Haus so etwas wie Widerstand oder Ausbruch aus dem Aalglatten und Kontrollierten verkörpert, stellen die verwaisten Gebäude in Tskaltubo viel mehr eine Normalität dar, die man zu überwinden sucht. Ein Neubau hingegen steht in diesem Kontext für Aufschwung und Aufstieg, ein Sehnsuchtsbild, das gerade für Jugendliche wirkungsmächtig zu sein scheint. Ein Video auf der Facebook-Seite deutet dementsprechend auch darauf hin, dass die Räumlichkeit nicht gerade ihrem Geschmack entspricht. So reagiert eine junge Frau vor der Kamera, die gefragt wird, ob ihr der Raum vom Tskaltubo Lab gefalle, höchst zögerlich, bis sie dann schließlich ein unschlüssiges „Ja“ hervorbringt.*19 *(19)

star

Bishop, Claire (2004): Antagonism and Relational Aesthetics. In: October, Herbst 2004.

star

Bishop, (2006): The Social Turn: Collaboration and its Discontents. In: Artforum, Februar 2006.

star

Bourriaud, Nicolas (1998): Esthetique Relationelle. Dijon: Les Presses du réel. Crossick, Geoffrey /Kaszynska, Patrycja (2016): Understanding the value of arts & culture. The AHRC Cultural Value Project, Swindon: Arts & Humanities Research Council.

star

Hagoort, Erik (2005): Good Intentions. Judging the Art of Encounter. Amsterdam: Foundation for Visual Arts, Design and Architecture.

star

Kester, Grant H. (2004):  Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art. Berkeley: University of California Press.

star

Kester, Grant H. (2011): The One and The Many. Contemporary Collaborative Art in a Global Context. Durham: Duke University Press.

star

Miessen, Markus (2011): The Nightmare of Participation. Berlin: Sternberg Press.

star

Reich, Hannah (2006): „Local Ownership“ in Conflict Transformation Projects. Partners, Participation or Patronage?’, Berghof Occasional Paper, Nr. 27, September 2006.

star

Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Berlin: Suhrkamp.

Das Kollektiv wurde 2010 gegründet, als die meisten Mitglieder Anfang 20 waren und studierten. Ihr Altersunterschied zu den jungen Leuten in Tskaltubo war bei der ersten Projektphase (2012) nur gering. Da das Lab vor allem von Schülern/Schülerinnen besucht wird, vergrößert sich der Altersunterschied in den folgenden Projektphasen.

Eine ähnliche Kritik, wie sie Bishop anhand des Begriffs „togetherness“ fomuliert, findet sich auch in: Miessen 2011.

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 4. Juli 2016).

Tskaltubo Art Festival (jährlich seit 2013), siehe: https://www.facebook.com/Tskaltubo-Art-Festival-698901996792832/ (Zugriff: 4. Juli 2016) und http://www.artasfoundation.ch/de/tskaltuboartfestival(Zugriff: 4. Juli 2016).

artasfoundation trägt in ihrem Logo die Unterschrift „for peace“ und positioniert sich im weiten Feld des „civilian peace building“. Siehe: http://www.artasfoundation.ch/de/ziele (Zugriff: 22. Juli 2016).

Vgl. beispielsweise den Bericht Understanding the Value of Art and Culture des Arts & Humanities Research Council (Crossick/Kaszynska 2016).

Grant Kester liefert einen ausführlichen ideengeschichtlichen Rahmen für die Verbindung von Kunst mit humanitären Anliegen (vgl. Kester 2011: 19-65).

In der internationalen Zusammenarbeit wird mit einer etwas anderen Nuance auch von „patron-client relationship“ gesprochen. Vgl. Reich 2006: 4.

https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ Eintrag vom 28. November 2013 (Zugriff: 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Diese Aufnahmen finden sich teilweise auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs (Einträge von 2013) oder auf dem Blog der neuen Dringlichkeit. Siehe: https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ oder https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Das Video findet sich unter dem Titel For now we meet workshop auf dem Blog der neuen Dringlichkeit, siehe: https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff am 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

Thinking about Georgian Parents, Eintrag vom 24. September 2014, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Das Thema der Selbstorganisation wurde aktiv eingebracht. So fand im Rahmen der zweiten Projektphase auch ein Workshop zum Thema statt, der von Wato Tsereteli, dem Leiter des Center for Contemporary Art in Tiflis, geleitet wurde.

Dieses Gespräch ist auf dem Video For now we meet workshop zu sehen (siehe Anmerkung 14).

Das Video findet sich auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs und auf der Vimeo-Seite von neue Dringlichkeit: https://vimeo.com/album/1676946/video/103837792 (15. Juli 2016).

Eine Audioaufnahme des Gesprächs liegt dem Autor vor.

Eintrag vom 31. Oktober 2015, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (15. Juli 2016).

Terkessidis bezeichnet die Schärfung eines „organischen Sensoriums“ als eine Form von Wissen, die bei Kollaborationen produziert wird (vgl. Terkessidis 2015: 171).

Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/