Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
Partnerschaft und „local ownership“
Die Wahl der Räumlichkeit scheint zum einen auf eine pragmatische Entscheidung zurückzugehen (außer den verwaisten Gebäuden hätte sich kaum ein Raum für das selbstverwaltete Lab finden können). Zum anderen basiert sie auf einer von außen kommenden Wertschätzung, und es stellt sich die Frage, inwiefern die lokalen Jugendlichen bereit sind, diese zu übernehmen und anzueignen. Im Jargon der internationalen Zusammenarbeit lässt sich diese Frage mit dem in jüngerer Vergangenheit viel genannten Anliegen eines „local ownership“ verbinden. Wie Hanna Reich, eine Islamwissenschaftlerin und Trainerin aus dem Bereich des Peacebuilding, beschreibt, benennt das Prinzip des „local ownership“ das Idealziel der Übernahme und Selbstorganisation eines von Externen initiierten Projekts durch lokale Personen. Als Schlagwort weise es zudem auf eine kritische Konzeption von partizipativen Projekten in Hinblick auf das Machtverhältnis zwischen externen Initiatoren/Initiatorinnen und lokalen Beteiligten hin:
As an argumentative catchphrase, the principle of local ownership is directed against domination by external partners in foreign-funded development cooperation and peacbuilding activities, in an attempt to shift the balance of power in favour of local actors. (Reich 2006: 8) (*8)
Im Sinne dieser doppelten Bedeutung von „local ownership“ mündete die zweite Projektphase in den Versuch, eine lokale Übernahme und damit eine Machtabgabe an die Beteiligten aus Tskaltubo zu erreichen. Bevor die nD-Mitglieder Tskaltubo verließen, erwirkten sie mit finanzieller Unterstützung von artasfoundation, dass die jungen lokalen Leute den Raum weiterhin mieten und benutzen konnten. Unter der Leitung von Maiko Nioradze, einer Beteiligten, die sich auch als Übersetzerin im Lab engagiert hatte, wurde die Future Group gegründet, ein loser Zusammenschluss von Jugendlichen, die den Raum für Treffen und Filmvorführungen nutzen wollten. Diese Nutzung scheint jedoch nicht wirklich stattgefunden zu haben. Weder finden sich Spuren der Future Group auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Lab, noch gingen aus Gesprächen zwischen der neuen Dringlichkeit und Maiko Nioradze Hinweise auf konkrete Anlässe im Lab hervor. Nach einigen Monaten wurde somit die Mietzahlung seitens der externen Geldgeber eingestellt.
Diese Erfahrung lässt sich unterschiedlich interpretieren. Dass der Anspruch eines „local ownership“ nicht eingelöst wurde, mag einerseits daran liegen, dass das Projekt noch zu jung war und ein längerfristiger Verankerungsprozess im lokalen Kontext nötig gewesen wäre. Andererseits deutet die Erfahrung auf die für das Projekt zentrale Position der nD-Mitglieder hin, die sich später darin bestätigte, dass bei ihrer erneuten Anreise im Herbst 2015 die Jugendlichen wieder täglich ins Lab kamen.
Natürlich ließe sich letztere Beobachtung als Grundlage dafür nehmen, die Brüchigkeit des Projekts im Sinne einer fehlenden, lokalen Tragfähigkeit herauszustreichen. Wenn aber, wie ich mit meiner Lektüre des Tskaltubo Lab vorschlage, davon ausgegangen wird, dass es sich bei dem Projekt um ein partnerschaftliches handelt, in dem die Beziehungsarbeit im Zentrum steht, dann liegt auch auf der Hand, dass es nur dann funktioniert, wenn beide Partien der Partnerschaft anwesend sind.
Es lässt sich zudem auch grundsätzlich fragen, inwiefern der Anspruch eines „local ownership“ überhaupt umsetzbar ist. So rechnet etwa Hanna Reich dem Begriff zwar eine zentrale Bedeutung zu, zugleich erachtet sie aber den konkreten Anspruch, also dass ein extern initiiertes und finanziertes Projekt lokal angeeignet wird, für unmöglich. Ganz im Sinne meiner Lektüre des Tskaltubo Labs plädiert sie stattdessen dafür, die mit dem Anspruch verbundene Fokussierung auf das Austarieren von Machtverhältnissen ins Zentrum zu stellen: „Instead of aiming towards the impossible goal of a literal ‚local ownership’ of a foreign funded project (…), the focus should be on the nature of the relations between the donors and the benificiaries.“ (Ebda.: 3) (*8)
Reich verbindet ihre Kritik am Konzept von „local ownership“ mit dem Entwurf eines alternativen Ansatzes, den sie als „learning sites“ (ebda.: 23ff. (*8)) bezeichnet und der mir für die Analyse der dritten Projektphase des Tskaltubo Lab, die 2015 unter dem Titel It’s not that far stattfand und erneut eine Brüchigkeit hervortreten ließ, fruchtbar erscheint. Mit „learning sites“ beschreibt sie eine Projektkonzeption, die dem Verhandlungsprozess zwischen den Beteiligten und auch dem Finden von Kompromissen einen zentralen Stellenwert einräumt. Sie plädiert für das Schaffen eines festen Rahmens innerhalb von partizipativen Projekten, die diesem Prozess gewidmet sind. „They can be imagined as some kind of staff ‚retreats’ within an ongoing project (…) The issues may be related to inter-personal difficulties, circumstances of work or political changes.“ (Ebda: 23-24) (*8)
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/