Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft

Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit

Monologischer Verhandlungsprozess: It’s not that far (2015)

Ohne dies im Sinne von Hanna Reich eingeplant zu haben, nahm die dritte Projektphase des Tskaltubo Lab Züge einer solchen „learning site“ an und zeigte dabei auch deren Schwierigkeit auf. Die nD-Mitglieder reisten diesmal mit einer konkreten Idee an, die sich im Austausch mit den lokalen Beteiligten in den bisherigen Projektphasen herauskristallisiert hatte. Und zwar richteten sie im angestammten Raum einen Fahrradworkshop ein, der sich an junge Frauen richtete.

Mit dieser Idee reagierten sie auf das Problem, dass Mädchen und junge Frauen abends aus Angst vor Übergriffen kaum im Dorf unterwegs sein wollten/konnten. Im Fahrrad-Workshop, der neben allen nötigen Werkzeugen mit gebrauchten Rädern ausgestattet war, sollten die Frauen lernen, Fahrräder selbst zu reparieren und zu benutzen. Es ging damit um die Aneignung eines für die nD-Mitglieder selbstverständlichen Verkehrsmittels, das in Tskaltubo mit wenigen Ausnahmen nur von jungen Männern als Abenteuer- und Sportgerät verwendet wird.

Obwohl die Idee auf einem explizit formulierten, lokalen Bedürfnis basierte, über Facebook lange im Voraus angekündigt und auch von den lokalen Hauptpartnerinnen deutlich vermittelt wurde, schien sie nicht richtig zu greifen. Wie ich selbst beobachtet hatte, zog der Workshop zwar Mädchen an, es kamen aber ebenso Jungs und Männer ins Lab, die jedoch nicht immer an einem In-Beziehung-Treten interessiert waren, sondern oftmals auch nur nach Ersatzteilen für ihre Downhill-Räder suchten. Die Präsenz der Männer führte dazu, dass sich die jungen Frauen von der handwerklichen Reparaturarbeit zurückzogen.

Die nD-Mitglieder waren über diese Entwicklung frustriert und beriefen eine Gesprächsrunde ein, bei der die Situation diskutiert werden sollte. Wie aus einer Unterhaltung, die ich kurz darauf mit den beiden nD-Mitglieder Felix Bielefeld und Lisa Schröter*20 *(20) führte, hervorging, beteiligten sich aber weder die jungen Frauen maßgeblich an der Lösungsfindung, noch nahmen die Männer, die die Situation erzeugten, überhaupt erst teil. Für die Kollektiv-Mitglieder mündete die Situation darin, dass sie zwar ihre Frustration mitteilen konnten, dass sie sich aber, nach einer weiteren Gesprächsrunde am folgenden Tag, veranlasst sahen, die Lenkung zu übernehmen. Sie setzten folglich ihren Vorschlag durch, Zeiten festzulegen, zu denen nur Mädchen und junge Frauen zum Workshop zugelassen waren.

In diesen Gesprächsrunden deutete sich an, was das nD-Mitglied Maja Leo in der zu Beginn des vorliegenden Textes zitierten Aussage beschreibt: Das Machtverhältnis, das der Zusammenarbeit eingeschrieben ist, lässt sich auch trotz des Versuchs, es auszuhebeln, nicht ohne weiteres überwinden. Auch das Einrichten eines klaren Rahmens, in dem gemeinsam über das Projekt gesprochen und demokratisch über seinen Weiterlauf entschieden werden könnte, ermöglicht nicht automatisch einen gleichberechtigten Verhandlungsprozess. Vielmehr stellt er noch einmal dieselbe Herausforderung dar, wie sie ohnehin bestimmend ist für das Projekt. ‑Die Herausforderung, das Gefälle zwischen den Beteiligten auszutarieren, respektive mit zugeschriebenen Machtpositionen einen Umgang zu finden, ohne die Zusammenarbeit aufzugeben.

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Bishop, Claire (2004): Antagonism and Relational Aesthetics. In: October, Herbst 2004.

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Bishop, (2006): The Social Turn: Collaboration and its Discontents. In: Artforum, Februar 2006.

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Bourriaud, Nicolas (1998): Esthetique Relationelle. Dijon: Les Presses du réel. Crossick, Geoffrey /Kaszynska, Patrycja (2016): Understanding the value of arts & culture. The AHRC Cultural Value Project, Swindon: Arts & Humanities Research Council.

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Hagoort, Erik (2005): Good Intentions. Judging the Art of Encounter. Amsterdam: Foundation for Visual Arts, Design and Architecture.

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Kester, Grant H. (2004):  Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art. Berkeley: University of California Press.

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Kester, Grant H. (2011): The One and The Many. Contemporary Collaborative Art in a Global Context. Durham: Duke University Press.

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Miessen, Markus (2011): The Nightmare of Participation. Berlin: Sternberg Press.

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Reich, Hannah (2006): „Local Ownership“ in Conflict Transformation Projects. Partners, Participation or Patronage?’, Berghof Occasional Paper, Nr. 27, September 2006.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Berlin: Suhrkamp.

Das Kollektiv wurde 2010 gegründet, als die meisten Mitglieder Anfang 20 waren und studierten. Ihr Altersunterschied zu den jungen Leuten in Tskaltubo war bei der ersten Projektphase (2012) nur gering. Da das Lab vor allem von Schülern/Schülerinnen besucht wird, vergrößert sich der Altersunterschied in den folgenden Projektphasen.

Eine ähnliche Kritik, wie sie Bishop anhand des Begriffs „togetherness“ fomuliert, findet sich auch in: Miessen 2011.

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 4. Juli 2016).

Tskaltubo Art Festival (jährlich seit 2013), siehe: https://www.facebook.com/Tskaltubo-Art-Festival-698901996792832/ (Zugriff: 4. Juli 2016) und http://www.artasfoundation.ch/de/tskaltuboartfestival(Zugriff: 4. Juli 2016).

artasfoundation trägt in ihrem Logo die Unterschrift „for peace“ und positioniert sich im weiten Feld des „civilian peace building“. Siehe: http://www.artasfoundation.ch/de/ziele (Zugriff: 22. Juli 2016).

Vgl. beispielsweise den Bericht Understanding the Value of Art and Culture des Arts & Humanities Research Council (Crossick/Kaszynska 2016).

Grant Kester liefert einen ausführlichen ideengeschichtlichen Rahmen für die Verbindung von Kunst mit humanitären Anliegen (vgl. Kester 2011: 19-65).

In der internationalen Zusammenarbeit wird mit einer etwas anderen Nuance auch von „patron-client relationship“ gesprochen. Vgl. Reich 2006: 4.

https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ Eintrag vom 28. November 2013 (Zugriff: 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Diese Aufnahmen finden sich teilweise auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs (Einträge von 2013) oder auf dem Blog der neuen Dringlichkeit. Siehe: https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ oder https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Das Video findet sich unter dem Titel For now we meet workshop auf dem Blog der neuen Dringlichkeit, siehe: https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff am 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

Thinking about Georgian Parents, Eintrag vom 24. September 2014, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Das Thema der Selbstorganisation wurde aktiv eingebracht. So fand im Rahmen der zweiten Projektphase auch ein Workshop zum Thema statt, der von Wato Tsereteli, dem Leiter des Center for Contemporary Art in Tiflis, geleitet wurde.

Dieses Gespräch ist auf dem Video For now we meet workshop zu sehen (siehe Anmerkung 14).

Das Video findet sich auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs und auf der Vimeo-Seite von neue Dringlichkeit: https://vimeo.com/album/1676946/video/103837792 (15. Juli 2016).

Eine Audioaufnahme des Gesprächs liegt dem Autor vor.

Eintrag vom 31. Oktober 2015, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (15. Juli 2016).

Terkessidis bezeichnet die Schärfung eines „organischen Sensoriums“ als eine Form von Wissen, die bei Kollaborationen produziert wird (vgl. Terkessidis 2015: 171).

Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/