Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
Die Möglichkeit internationaler Zusammenarbeit
Anstatt mit einer Konklusion abzuschließen, will ich hier eine subjektive Überlegung an den Schluss stellen. Wie erwähnt, bin ich selbst in Projekte wie das Tskaltubo Lab for Urgent Questions involviert und damit in einem Feld tätig, das bei Außenstehenden verschiedene Reaktionen auslöst. So gibt es Gesprächspartner/innen, die in eine Betroffenheitshaltung geraten und sich beispielsweise über die Lebensbedingungen der IDPs in den Sanatorien von Tskaltubo erkundigen. Es gibt andere, die es eher seltsam finden, dass man eine solche Arbeit mit Kunst in aus westlicher Sicht marginalisierten Kontexten überhaupt macht (gäbe es nicht Wichtigeres für diese Regionen, als mit Kunst zu kommen?). Und dann gibt es diejenigen, die von kritischen Diskursen aus den Bereichen der partizipativen Kunst und der postkolonialen Theoriebildung sensibilisiert sind. Bevor sie auf die Menschen, mit denen wir arbeiten, oder auf die Frage, wie Kunst da etwas bewirken kann, eingehen, fragen sie nach unseren Motivationen, nach der Rolle, die ich oder zum Beispiel die Mitglieder der neuen Dringlichkeit in den Projekten einnehmen, und der Legitimität dieser Arbeit. Die Arbeit gerät schnell in den Verdacht, eine verdeckte, nicht zuletzt neokoloniale Machtpraktik zu sein, die Abhängigkeitsverhältnisse entstehen lässt, westliche Wertvorstellungen implementiert und globale Hierarchien zementiert. An einem Ort wie Tskaltubo hätten wir nichts zu suchen, wurde schon gesagt.
Diese Gespräche lassen mich unsicher werden, da sie auf historisches Fehlverhalten reagieren und auf ideengeschichtlichen Ansätzen basieren, die ich selbst entscheidend finde. Zugleich fällt mir auf, dass sich, wer mit der kritischen Theoriebildung an der Hand argumentiert, immer auf der sicheren Seite befindet. Eine Sicherheit, die sich jedoch nur damit stützen lässt, dass man sich auch nicht auf die Arbeit in einem Projekt wie dem Tskaltubo Lab einlassen würde.
Und genau da wird die Kritik in meinen Augen brüchig. Denn wenn sie wirklich dahin führen sollte, dass eine internationale Zusammenarbeit, die in jedem Fall auf Ungleichheit basiert und von einem Gefälle in Bezug auf Privilegienverteilung und von kultureller Differenz, vielleicht sogar Unvereinbarkeit geprägt ist, nicht verfolgt werden kann, dann zweifle ich daran, dass sie den Anliegen, die der kritischen Geisteshaltung zugrunde liegen, gerecht wird. ‑ Anliegen, die sich um eine Umverteilung, eine erhöhte Chancengleichheit und Pluralität drehen.
Kann es wirklich sein, dass man sich auf den eigenen Bereich einschränken muss, um das Risiko einer Machtausübung zu vermeiden? Weicht man damit nicht gerade dem Infragestellen dessen aus, was „das Eigene“ überhaupt ist, und reproduziert Grenzziehungen, die oftmals entscheidend zu historischem Fehlverhalten beigetragen haben? Und wie lässt sich in einem globalen Gefüge, das über wirtschaftliche und geopolitische Beziehungen derart verkettet ist, überhaupt entscheiden, wo der Ort beginnt, an dem man nichts zu suchen hat?
Die kritischen Reaktionen und Diskussionsrahmen sind wichtig, da sie auf entscheidende Herausforderungen hinweisen, denen sich ein Projekt wie das Tskaltubo Lab zu stellen hat. Mir ist das Projekt jedoch gerade deshalb wichtig, da es trotz dieser Herausforderungen stattfindet. Es konfrontiert die Gefahr der Machtausübung und die Unbehaglichkeit von Ungleichheit, ohne darüber hinwegzutäuschen. Es geht im Projekt nicht um die idealisiert-idyllische Vorstellung einer Vereinigung, sondern um eine Praxis der Partnerschaft, die sich der asymmetrischen Ausgangslage stellt und die sich im Umgang mit ihr artikuliert. Das Ziel des Tskaltubo Lab for Urgent Questions besteht in einem Und-Doch, also im Erproben der Möglichkeiten einer Verbindung, ohne ihre Risiken auszuschließen. Es geht somit nicht um die oft herausgestrichene Unmöglichkeit internationaler Zusammenarbeit, sondern um ihre Möglichkeit.
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/