Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
Zugleich fällt jedoch auf, dass das Kollektiv selbst das Machtverhältnis anspricht und das „freundschaftliche Verhältnis“ dazu ins Verhältnis setzt. Ihre Aussagen erwecken den Eindruck, dass sie das Freundschaftliche nicht als Methode zur Verdeckung von Ungleichheit, sondern zur Austarierung der asymmetrischen Ausgangslage verstehen. Insofern kann dem Begriff hier eine diskursive Funktion zugeschrieben werden. Das heißt, ihm liegt nicht die idealisierende Behauptung zugrunde, dass im Rahmen von einmonatigen Projektphasen reziproke und tragfähige Freundschaften entstünden, die kulturelle Differenzen und divergierende Privilegienverteilung überwinden könnten. Stattdessen weisen die Kollektiv-Mitglieder damit auf die Ebene der Beziehung respektive der Beziehungsarbeit zwischen den von außen Kommenden und den Menschen vor Ort hin. Anstatt das Gefälle auszuklammern, lassen sie die gegenseitige Positionierung und Adressierung sowie die Modulierung der partnerschaftlichen Verbindung ins Zentrum der Aufmerksamkeit treten.
Es wird damit ein Aspekt zum Kernmoment des Projekts, der im Diskurs über partizipative Kunst oftmals ausgeklammert wird. Der erwähnte Vorbehalt gegenüber Partizipation als verdeckte Machtpraxis führt zumeist dahin, dass Kunstprojekte, die vor dem Hintergrund eines offensichtlichen Gefälles der Beteiligten stattfinden, kaum je in Hinblick auf den konkreten Umgang mit dieser Asymmetrie diskutiert werden. Dies halte ich insofern für ein Versäumnis, da das künstlerische Anliegen gerade in dieser Beziehungsarbeit bestehen kann. Ein Anliegen, das mir im Falle vom Tskaltubo Lab offensichtlich scheint.
Dies zeigt sich von der ersten Projektphase an, die 2013 unter dem Titel For now we meet stattfand.
Im Sinne des programmatischen Titels beschränkte sich diese erste Projektphase, auf die ich detaillierter zurückkommen werde, auf die Begegnung zwischen den angereisten Kunstschaffenden aus Westeuropa und den jungen Leuten in Tskaltubo. Abgesehen von ein paar Fotografien und Videos, die als Gesprächsgrundlage dienten, wurde in der etwa zweiwöchigen Projektphase nichts produziert.
Stattdessen stand im Vordergrund, Kontakte zu knüpfen und Gesprächsrunden durchzuführen, in denen sich die Kollektiv-Mitglieder mit den lokalen Interessenten über „Dringlichkeiten“ austauschten. Wie der Titel For now we meet bereits angibt, ging es somit um ein zeitlich beschränktes In-Beziehung-Treten.
Dieses Anliegen scheint mir über die erste Phase hinaus bezeichnend. Das heißt, im Sinne des zeitlich beschränkten In-Beziehung-Tretens fasse ich das Tsklatubo Lab for Urgent Questions nicht lediglich als ein Projekt auf, das sich durch Beteiligung und Interaktion realisiert, sondern als eines, das im Stattfinden dieser Beteiligung und Interaktion besteht. Obwohl es nach dem ersten Jahr als Tskaltubo Lab for Urgent Questions in einem eigenen Raum eingerichtet und damit gewissermaßen institutionalisiert wurde, liegt ihm nicht der Anspruch einer partizipativen Produktion zugrunde. Viel mehr positioniert es sich als ein Projekt, in dem die Möglichkeit einer internationalen Partnerschaft und eines gemeinsamen Agierens vor dem Hintergrund eines asymmetrischen Machtverhältnisses erprobt wird. Die Gratwanderung zwischen einer (selbst-)kritischen Beziehungsarbeit und einer idealisiert-idyllischen „togetherness“, auf die es sich dabei begibt, will ich im Folgenden anhand einiger Beobachtungen diskutieren.
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/