Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
Programmatischer Kontext
Um in diese Diskussion einsteigen zu können, bedarf es einer genauen Erfassung des Gefüges, in dem das Projekt stattfindet. Dazu setze ich bei einer Annäherung an den räumlichen und institutionellen Kontext an. Seit 2014 findet das Tskaltubo Lab in verwaisten Räumen eines aus der späten Sowjetzeit stammenden Einkaufszentrums stattfinden.
Das Zentrum steht zwischen dem lokalen Marktplatz und einer seit kurzem restrukturierten Parkanlage, in der sich die Heilbäder befinden, für die Tskaltubo berühmt ist. Im 20. Jahrhundert galt das Dorf als prunkvoller Kurort, ein Image, das die Munizipalität und internationale Investoren in jüngster Vergangenheit wiederherzustellen versuchen. Ihnen stehen jedoch die Spuren im Weg, die der Zerfall der Sowjetunion und der georgische Bürgerkrieg der 1990er-Jahre zurückgelassen haben. ‑ Spuren, die sich an vielen Ecken des Ortes und insbesondere an den ehemals glamourösen Kurhotels abzeichnen.
Bei den sogenannten Sanatorien handelt es sich um Prunkbauten, in deren Räumlichkeiten und Gartenanlagen internationale Gäste verkehrten, bis in den Wirren der 1990er Jahre der Tourismus abbrach und hier mehrere tausend Vertriebene behelfsmäßig untergebracht wurden. Sie stammten aus Abchasien, einer Region auf georgischem Territorium, die mit ihrer Unabhängigkeitserklärung 1993 einen weiteren Krieg ausgelöst hatte. Der Sezessionskrieg führte zu Vertreibungen von ethnischen Gruppen auf beiden Seiten der heute von Russland gesicherten, aus völkerrechtlicher Sicht jedoch nicht anerkannten Grenze der selbsternannten Republik.
Seit somit über 20 Jahren leben in den ausgeweideten und zerfallenden Sanatorien von Tskaltubo sogenannte Internally Displaced People (IDPs). Während sich die ältere IDP-Generation, die oftmals auch heute noch auf eine Rückkehr in ihre Heimat am Schwarzen Meer hofft, im konstanten Provisorium eingerichtet und in nachbarschaftlichen Bünden organisiert hat, ist die jüngere Generation nach außen orientiert. Viele junge Leute, die in den Sanatorien aufgewachsen sind, haben keine Erinnerung an Abchasien oder wurden ohnehin erst nach der Vertreibung ihrer Eltern geboren. Sie haben zwar einen IDP-Status, bilden aber keine gesonderte Gruppe und ziehen wie alle anderen Jugendlichen nach der Schule meist für die weitere Ausbildung oder die Familiengründung weg.
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/