Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft

Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit

Geht man davon aus, dass die Dorfbevölkerung in Tskaltubo zumindest in Bezug auf die junge Generation keine besondere Trennung aufweist, dann lässt sich fragen, warum der Hinweis auf die IDP-Bevölkerung für die Diskussion des Tskaltubo Lab for Urgent Questions überhaupt von Bedeutung ist. Das heißt, es liegt auf der Hand, dass die Sanatorien aus der Sicht von Außenstehenden wie Monumente der Kriegsvergangenheit und ihrer bis heute ungelösten Auswirkungen in der Landschaft stehen und den Eindruck von sozialer Ungleichheit aufdrängen. Gerade dieser Blick von außen birgt aber auch die Gefahr, Stigmatisierungen und soziale Differenz zu perpetuieren, die von der Dorfbevölkerung selbst weitgehend verdaut sein können.

Ansicht von Tskaltubos Dorfzentrum, Foto: Marcel Bleuler

Ansicht von Tskaltubos Dorfzentrum, Foto: Marcel Bleuler

Zugleich ist die spezifische Situation von Tskaltubo der Grund dafür, dass das Lab überhaupt entstand. Wie neue Dringlichkeit auf ihrem Blog vermerken,*4 *(4) wurden sie 2013 von der Schweizer Stiftung artasfoundation und der lokalen Organisation IDP-Women’s Association of Tskaltubo eingeladen, im Rahmen eines jährlich stattfindenden Kunstfestivals*5 *(5) einen Workshop durchzuführen, woraufhin sie For now we meet veranstalteten und damit den Grundstein für das Tskaltubo Lab legten. Im Hintergrund des Projekts steht somit zum einen eine lokale Organisation, die sich selbst über den gesonderten IDP-Status definiert, und zum anderen eine Schweizer Organisation, die Kunstprojekte in Konfliktregionen durchführt*6 *(6) und dem Ort aufgrund seiner Kriegsvergangenheit Aufmerksamkeit zukommen lässt.

Für diese Schweizer Organisation, die mit Kunstschaffenden und von bewaffneten Konflikten betroffenen Menschen zusammenarbeitet, bin ich selbst tätig. Obwohl ich nicht für das Tskaltubo Lab gearbeitet habe, sondern nur als Beobachter und Besucher im Jahr 2015 vor Ort war, ist meine Perspektive somit nicht neutral, sondern von meiner eigenen Projekterfahrung in Georgien und von den Diskussionen, die wir bei artasfoundation führen, geprägt. Im Zentrum soll hier aber nicht die Reflexion meiner eigenen Tätigkeit stehen, sondern die Diskussion des künstlerischen Vorgehens des Kollektivs neue Dringlichkeit. Ein Vorgehen, mit dem sie sich nicht nur zu dem bereits angesprochenen, im Projekt veranlagten Machtverhältnis zu positionieren haben, sondern auch zum spezifischen Kontext, in dem das Projekt stattfindet und der in mehrfachem Sinne programmatisch ist.

Neben dem konkreten räumlich-sozialen Kontext, der von den Sanatorien geprägt ist und bei aus privilegierteren Verhältnissen stammenden Außenstehenden einen Helfer-Impuls auslösen kann, positioniert sich das Tskaltubo Lab durch die im Hintergrund stehenden Organisationen in einem spezifischen Feld der internationalen Zusammenarbeit. ‑ Ein Feld, in dem künstlerische Arbeit mit dem Anliegen verbunden wird, zu Wiederaufbau und Rehabilitation beizutragen und Prozesse des Peacebuildings respektive der sozialen Transformation zu unterstützen.

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Bishop, Claire (2004): Antagonism and Relational Aesthetics. In: October, Herbst 2004.

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Bishop, (2006): The Social Turn: Collaboration and its Discontents. In: Artforum, Februar 2006.

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Bourriaud, Nicolas (1998): Esthetique Relationelle. Dijon: Les Presses du réel. Crossick, Geoffrey /Kaszynska, Patrycja (2016): Understanding the value of arts & culture. The AHRC Cultural Value Project, Swindon: Arts & Humanities Research Council.

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Hagoort, Erik (2005): Good Intentions. Judging the Art of Encounter. Amsterdam: Foundation for Visual Arts, Design and Architecture.

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Kester, Grant H. (2004):  Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art. Berkeley: University of California Press.

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Kester, Grant H. (2011): The One and The Many. Contemporary Collaborative Art in a Global Context. Durham: Duke University Press.

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Miessen, Markus (2011): The Nightmare of Participation. Berlin: Sternberg Press.

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Reich, Hannah (2006): „Local Ownership“ in Conflict Transformation Projects. Partners, Participation or Patronage?’, Berghof Occasional Paper, Nr. 27, September 2006.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Berlin: Suhrkamp.

Das Kollektiv wurde 2010 gegründet, als die meisten Mitglieder Anfang 20 waren und studierten. Ihr Altersunterschied zu den jungen Leuten in Tskaltubo war bei der ersten Projektphase (2012) nur gering. Da das Lab vor allem von Schülern/Schülerinnen besucht wird, vergrößert sich der Altersunterschied in den folgenden Projektphasen.

Eine ähnliche Kritik, wie sie Bishop anhand des Begriffs „togetherness“ fomuliert, findet sich auch in: Miessen 2011.

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 4. Juli 2016).

Tskaltubo Art Festival (jährlich seit 2013), siehe: https://www.facebook.com/Tskaltubo-Art-Festival-698901996792832/ (Zugriff: 4. Juli 2016) und http://www.artasfoundation.ch/de/tskaltuboartfestival(Zugriff: 4. Juli 2016).

artasfoundation trägt in ihrem Logo die Unterschrift „for peace“ und positioniert sich im weiten Feld des „civilian peace building“. Siehe: http://www.artasfoundation.ch/de/ziele (Zugriff: 22. Juli 2016).

Vgl. beispielsweise den Bericht Understanding the Value of Art and Culture des Arts & Humanities Research Council (Crossick/Kaszynska 2016).

Grant Kester liefert einen ausführlichen ideengeschichtlichen Rahmen für die Verbindung von Kunst mit humanitären Anliegen (vgl. Kester 2011: 19-65).

In der internationalen Zusammenarbeit wird mit einer etwas anderen Nuance auch von „patron-client relationship“ gesprochen. Vgl. Reich 2006: 4.

https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ Eintrag vom 28. November 2013 (Zugriff: 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Diese Aufnahmen finden sich teilweise auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs (Einträge von 2013) oder auf dem Blog der neuen Dringlichkeit. Siehe: https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ oder https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Das Video findet sich unter dem Titel For now we meet workshop auf dem Blog der neuen Dringlichkeit, siehe: https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff am 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

Thinking about Georgian Parents, Eintrag vom 24. September 2014, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Das Thema der Selbstorganisation wurde aktiv eingebracht. So fand im Rahmen der zweiten Projektphase auch ein Workshop zum Thema statt, der von Wato Tsereteli, dem Leiter des Center for Contemporary Art in Tiflis, geleitet wurde.

Dieses Gespräch ist auf dem Video For now we meet workshop zu sehen (siehe Anmerkung 14).

Das Video findet sich auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs und auf der Vimeo-Seite von neue Dringlichkeit: https://vimeo.com/album/1676946/video/103837792 (15. Juli 2016).

Eine Audioaufnahme des Gesprächs liegt dem Autor vor.

Eintrag vom 31. Oktober 2015, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (15. Juli 2016).

Terkessidis bezeichnet die Schärfung eines „organischen Sensoriums“ als eine Form von Wissen, die bei Kollaborationen produziert wird (vgl. Terkessidis 2015: 171).

Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/