Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
Geht man davon aus, dass die Dorfbevölkerung in Tskaltubo zumindest in Bezug auf die junge Generation keine besondere Trennung aufweist, dann lässt sich fragen, warum der Hinweis auf die IDP-Bevölkerung für die Diskussion des Tskaltubo Lab for Urgent Questions überhaupt von Bedeutung ist. Das heißt, es liegt auf der Hand, dass die Sanatorien aus der Sicht von Außenstehenden wie Monumente der Kriegsvergangenheit und ihrer bis heute ungelösten Auswirkungen in der Landschaft stehen und den Eindruck von sozialer Ungleichheit aufdrängen. Gerade dieser Blick von außen birgt aber auch die Gefahr, Stigmatisierungen und soziale Differenz zu perpetuieren, die von der Dorfbevölkerung selbst weitgehend verdaut sein können.
Zugleich ist die spezifische Situation von Tskaltubo der Grund dafür, dass das Lab überhaupt entstand. Wie neue Dringlichkeit auf ihrem Blog vermerken,*4 *(4) wurden sie 2013 von der Schweizer Stiftung artasfoundation und der lokalen Organisation IDP-Women’s Association of Tskaltubo eingeladen, im Rahmen eines jährlich stattfindenden Kunstfestivals*5 *(5) einen Workshop durchzuführen, woraufhin sie For now we meet veranstalteten und damit den Grundstein für das Tskaltubo Lab legten. Im Hintergrund des Projekts steht somit zum einen eine lokale Organisation, die sich selbst über den gesonderten IDP-Status definiert, und zum anderen eine Schweizer Organisation, die Kunstprojekte in Konfliktregionen durchführt*6 *(6) und dem Ort aufgrund seiner Kriegsvergangenheit Aufmerksamkeit zukommen lässt.
Für diese Schweizer Organisation, die mit Kunstschaffenden und von bewaffneten Konflikten betroffenen Menschen zusammenarbeitet, bin ich selbst tätig. Obwohl ich nicht für das Tskaltubo Lab gearbeitet habe, sondern nur als Beobachter und Besucher im Jahr 2015 vor Ort war, ist meine Perspektive somit nicht neutral, sondern von meiner eigenen Projekterfahrung in Georgien und von den Diskussionen, die wir bei artasfoundation führen, geprägt. Im Zentrum soll hier aber nicht die Reflexion meiner eigenen Tätigkeit stehen, sondern die Diskussion des künstlerischen Vorgehens des Kollektivs neue Dringlichkeit. Ein Vorgehen, mit dem sie sich nicht nur zu dem bereits angesprochenen, im Projekt veranlagten Machtverhältnis zu positionieren haben, sondern auch zum spezifischen Kontext, in dem das Projekt stattfindet und der in mehrfachem Sinne programmatisch ist.
Neben dem konkreten räumlich-sozialen Kontext, der von den Sanatorien geprägt ist und bei aus privilegierteren Verhältnissen stammenden Außenstehenden einen Helfer-Impuls auslösen kann, positioniert sich das Tskaltubo Lab durch die im Hintergrund stehenden Organisationen in einem spezifischen Feld der internationalen Zusammenarbeit. ‑ Ein Feld, in dem künstlerische Arbeit mit dem Anliegen verbunden wird, zu Wiederaufbau und Rehabilitation beizutragen und Prozesse des Peacebuildings respektive der sozialen Transformation zu unterstützen.
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/