Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft
Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit
Wirkungsdiskurs und Instrumentalisierung von Kunst
Im kunstwissenschaftlichen Kontext wird dieses Tätigkeitsfeld wenig beachtet. Diese Leerstelle lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass sich das Feld nur schwer mit den Präsentations- und Rezeptionsstrukturen des definitionsmächtigen (westlichen) Kunstbetriebs vereinen lässt, und zum anderen darauf, dass sein Image traditionellerweise von Disziplinen wie der Expressive Arts Therapy, des Applied Theatre oder der Community-Based-Art besetzt ist. Es wird somit viel mehr mit therapeutischen oder sozialpädagogischen Ansätzen und mit dem in Verruf geratenen Begriff der Entwicklungszusammenarbeit assoziiert als mit kanonisierten (westlichen) Traditionen der Künste im engeren Sinne.
Aufgrund dieses Bezugsrahmens haftet der Arbeit mit Kunst in Konfliktregionen oder in fragilen Kontexten auch der Ruf einer Instrumentalisierung an. Es scheint hier nicht um die Kunst der Kunst willen zu gehen, sondern um humanitäre Anliegen, wie die Aufarbeitung von Gewalterfahrung oder den Aufbau von positiven gesellschaftlichen Beziehungen, um Empowerment der Einzelnen oder die Stärkung von demokratischen Strukturen von Gemeinschaften. Das Tätigkeitsfeld erweckt somit den Eindruck, Kunst lediglich als Mittel einzusetzen, um Ziele zu erreichen, die jenseits der Kunst liegen.
Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass eine solche Instrumentalisierung nicht zwingend ist. Es steht meines Erachtens außer Frage, dass auch in Konfliktregionen oder fragilen Kontexten künstlerische Arbeit möglich und vor allem auch sinnstiftend ist, die nicht auf therapeutischen oder pädagogischen Modellen basiert. Nichtsdestotrotz können sich die Vorbehalte in Anbetracht der „Wirkungsrhetorik“ (Gaztambide-Fernandez 2014: 51ff.) erhärten, mit der sich das Feld oftmals nach außen artikuliert. Zieht man Berichte und Dokumentationen von Kunstprojekten aus der internationalen Zusammenarbeit hinzu, dann stechen nicht primär künstlerische Interessen ins Auge, sondern viel mehr der Anspruch, mit Kunst positive soziale Wirkungen und Resultate zu erreichen.*7 *(7)
Diese Rhetorik mag teilweise der in therapeutischen und pädagogischen Ansätzen wurzelnden Tradition des Feldes geschuldet sein. Sie lässt sich aber ebenso auf die zugrunde liegenden Finanzierungsstrukturen zurückzuführen. Im Hintergrund von Projekten wie dem Kunstfestival in Tskaltubo, das von artasfoundation in Zusammenarbeit mit der IDP-Women’s Association organisiert wird, stehen neben wenigen privaten Geldgebern größere Stiftungen aus dem privatwirtschaftlichen Sektor sowie staatliche und überstaatliche Organisationen der internationalen Zusammenarbeit. Diese Sponsoren verlangen nach Absichtserklärungen, die die gesellschaftliche Relevanz eines Kunstprojekts herausstreichen, und nach einer Formulierung der zu erwartenden Effekte auf eine Region und ihre Bewohner/Bewohnerinnen. Es liegt auf der Hand, dass diese Anforderung auch eine wirkungsorientierte Rhetorik prägt.
Obwohl mich diese Rhetorik irritiert, nehme ich den Standpunkt ein, dass es, so prosaisch dies klingen mag, nicht falsch ist, Kunst mit humanitären Anliegen zu verbinden.*8 *(8) Eine Skepsis beschleicht mich jedoch, wenn Projekte mit einer klar umrissenen Wirkungsabsicht entworfen und durchgeführt werden. Wenn Außenstehende formulieren, was für eine Region oder eine Bevölkerungsgruppe positiv ist, dann erscheint mir das insofern als problematisch, als dass dabei die Gefahr besteht, ein einseitiges Verhältnis – meist ein Helfer-Betroffenen-Dispositiv*9 *(9) – zu erschaffen und Hierarchien, wie etwa diejenige zwischen Westeuropa und dem Ex-Sowjetraum, zu untermauern.
Betrachtet man das Tskaltubo Lab vor diesem Hintergrund, dann zeichnet es sich gerade dadurch aus, dass es sich einem solchen Dispositiv widersetzt und dabei auch jeglichen Wirkungsdiskurs aussetzt. Das von neue Dringlichkeit initiierte Projekt ist mit keinen vorskizzierten Absichten verknüpft. Zudem liegt ihm das Anliegen zugrunde, von einer größtmöglichen Offenheit in Bezug auf den Projektverlauf und den thematischen Schwerpunkt auszugehen.
Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/