Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft

Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit

Offener Prozess: For now we meet (2013)

Diese Offenheit manifestiert sich insbesondere in der bereits angesprochenen ersten Projektphase For now we meet (2013). Auf etwas ostentative Weise zeigt ein Video*10 *(10) auf der Wall der Facebook-Gruppe Tskaltubo Lab for Urgent Questions, wie die Kollektiv-Mitglieder damals geradezu unbedarft nach Tskaltubo anreisten. Der programmatische Kontext, also die Einladung durch die lokale IDP-Women’s Association und die Schweizer Stiftung artasfoundation, werden hier völlig ausgeblendet. Stattdessen zeigen sich die nD-Mitglieder wie eine Gruppe Freunde im Zug, die sich gegenseitig aus einem Reiseführer über die Geschichte ihres Reiseziels vorlesen. Das Video macht keinen Hehl daraus, dass es sich bei der neuen Dringlichkeit um Außenstehende handelt, die sich aufgrund von Standard-Informationen Vorstellungen von Tskaltubo und dem lokalen Leben machen. Mit ihrer Performativität markieren sie eine klare Abgrenzung von einem Helfer-Ansatz respektive einer vorgeplanten Wirkungsabsicht.
Grundsätzlich kamen die Kollektiv-Mitglieder lediglich mit dem Interesse nach Tskaltubo, mit jungen Leuten in einen Austausch darüber zu treten, was für sie dringend ist.

Ausgangslage war die Suche nach ‚Dringlichkeiten’, die unabhängig von unseren unterschiedlichen geographischen Lebensmittelpunkten von Bedeutung für uns (‚uns’ hier: KünstlerInnen aus der Schweiz/Deutschland und junge Leute in Tskaltubo) waren.*11 *(11)

In diesem Sinne ging es nicht um die Vermittlung eines feststehenden Inhaltes, sondern um Austausch. Die Kollektiv-Mitglieder luden alle Jugendlichen, denen sie im Dorf begegneten, zu Gesprächsrunden ein. Die zentralen Partnerinnen waren dabei Diana Murashko und Tiko Maisuradze, zwei junge Frauen, die damals eine Englischschule für Jugendliche betrieben. In ihrem Unterrichtsraum konnten sich die nD-Mitglieder einrichten. Bei den Gesprächen, die sie dort führten, sammelten und notierten sie zentrale Gesprächspunkte auf Karteikarten. Zudem standen im Projektraum technische Geräte zur Verfügung, mit denen alle Beteiligten Fotos oder Videos von „persönlich wichtigen Themen“ in Tskaltubo machen konnten,*12 *(12) über die sie sich dann unterhielten. Wie Leo beschreibt, ging es aber vor allem auch um „viel gemeinsames Rumhängen und informelles Labern.“*13 *(13)

Medienlabor im Rahmen von For now we meet (2013), Foto: neue Dringlichkeit

Medienlabor im Rahmen von For now we meet (2013), Foto: neue Dringlichkeit

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Bishop, Claire (2004): Antagonism and Relational Aesthetics. In: October, Herbst 2004.

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Bishop, (2006): The Social Turn: Collaboration and its Discontents. In: Artforum, Februar 2006.

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Bourriaud, Nicolas (1998): Esthetique Relationelle. Dijon: Les Presses du réel. Crossick, Geoffrey /Kaszynska, Patrycja (2016): Understanding the value of arts & culture. The AHRC Cultural Value Project, Swindon: Arts & Humanities Research Council.

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Hagoort, Erik (2005): Good Intentions. Judging the Art of Encounter. Amsterdam: Foundation for Visual Arts, Design and Architecture.

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Kester, Grant H. (2004):  Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art. Berkeley: University of California Press.

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Kester, Grant H. (2011): The One and The Many. Contemporary Collaborative Art in a Global Context. Durham: Duke University Press.

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Miessen, Markus (2011): The Nightmare of Participation. Berlin: Sternberg Press.

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Reich, Hannah (2006): „Local Ownership“ in Conflict Transformation Projects. Partners, Participation or Patronage?’, Berghof Occasional Paper, Nr. 27, September 2006.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Berlin: Suhrkamp.

Das Kollektiv wurde 2010 gegründet, als die meisten Mitglieder Anfang 20 waren und studierten. Ihr Altersunterschied zu den jungen Leuten in Tskaltubo war bei der ersten Projektphase (2012) nur gering. Da das Lab vor allem von Schülern/Schülerinnen besucht wird, vergrößert sich der Altersunterschied in den folgenden Projektphasen.

Eine ähnliche Kritik, wie sie Bishop anhand des Begriffs „togetherness“ fomuliert, findet sich auch in: Miessen 2011.

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 4. Juli 2016).

Tskaltubo Art Festival (jährlich seit 2013), siehe: https://www.facebook.com/Tskaltubo-Art-Festival-698901996792832/ (Zugriff: 4. Juli 2016) und http://www.artasfoundation.ch/de/tskaltuboartfestival(Zugriff: 4. Juli 2016).

artasfoundation trägt in ihrem Logo die Unterschrift „for peace“ und positioniert sich im weiten Feld des „civilian peace building“. Siehe: http://www.artasfoundation.ch/de/ziele (Zugriff: 22. Juli 2016).

Vgl. beispielsweise den Bericht Understanding the Value of Art and Culture des Arts & Humanities Research Council (Crossick/Kaszynska 2016).

Grant Kester liefert einen ausführlichen ideengeschichtlichen Rahmen für die Verbindung von Kunst mit humanitären Anliegen (vgl. Kester 2011: 19-65).

In der internationalen Zusammenarbeit wird mit einer etwas anderen Nuance auch von „patron-client relationship“ gesprochen. Vgl. Reich 2006: 4.

https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ Eintrag vom 28. November 2013 (Zugriff: 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Diese Aufnahmen finden sich teilweise auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs (Einträge von 2013) oder auf dem Blog der neuen Dringlichkeit. Siehe: https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ oder https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Das Video findet sich unter dem Titel For now we meet workshop auf dem Blog der neuen Dringlichkeit, siehe: https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff am 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

Thinking about Georgian Parents, Eintrag vom 24. September 2014, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Das Thema der Selbstorganisation wurde aktiv eingebracht. So fand im Rahmen der zweiten Projektphase auch ein Workshop zum Thema statt, der von Wato Tsereteli, dem Leiter des Center for Contemporary Art in Tiflis, geleitet wurde.

Dieses Gespräch ist auf dem Video For now we meet workshop zu sehen (siehe Anmerkung 14).

Das Video findet sich auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs und auf der Vimeo-Seite von neue Dringlichkeit: https://vimeo.com/album/1676946/video/103837792 (15. Juli 2016).

Eine Audioaufnahme des Gesprächs liegt dem Autor vor.

Eintrag vom 31. Oktober 2015, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (15. Juli 2016).

Terkessidis bezeichnet die Schärfung eines „organischen Sensoriums“ als eine Form von Wissen, die bei Kollaborationen produziert wird (vgl. Terkessidis 2015: 171).

Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/