Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft

Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit

Von den Gesprächsrunden zeugt ein Video, das ebenfalls im Internet ist.*14 *(14) Es zeigt die Kollektiv-Mitglieder und etwas mehr als ein Dutzend junge Leute aus Tskaltubo, die alle um eine Leinwand herum sitzen, auf die Fotos projiziert werden, die die Workshop-Teilnehmenden von Tskaltubo gemacht haben. Anhand dieser Aufnahmen besprechen sie ihre Perspektiven auf das Dorf. Das Video zeigt zwar, dass es eine Sprachbarriere im Projekt gibt. Das heißt, nicht alle lokalen Beteiligten sprechen Englisch und es muss oftmals übersetzt werden. Nichtsdestotrotz herrscht der Eindruck von Ungezwungenheit und Spontaneität vor. Das Video erweckt den Eindruck einer lebhaften Unterhaltung und es macht glaubwürdig, dass auch zielloses „Rumhängen und informelles Labern“ möglich war.

Gesprächsrunde im Rahmen von For now we meet (2013), Foto: neue Dringlichkeit

Gesprächsrunde im Rahmen von For now we meet (2013), Foto: neue Dringlichkeit

Zugleich lässt sich gerade hier kritisieren, dass der Eindruck von idealisierter „togetherness“ erzeugt wird. Die Gesprächsrunde mündet in die Darstellung von mit sentimentaler georgischer Musik untermalten Atmosphärebildern. Zu sehen sind die Beteiligten beim Zusammensitzen, bei der gemeinsamen Bildbearbeitung am Computer und dem Bilder-Anschauen. Die Werkstatt-Situation löst sich zusehends in ein Beisammensein auf, es sind Luftballone und ein Buffet zu sehen, es wird gelacht und eine junge georgische Frau hält mit breitem Lachen ein handgeschriebenes Schild in die Kamera, auf dem „Ich liebe Ihr“ steht.

Das Video rückt For now we meet somit genau auf den Grat zwischen einerseits einem Sich-Näher-Kommen und Vertraut-Werden und andererseits einer idealisiert-idyllischen „togetherness“, die über die im Hintergrund stehende Asymmetrie hinwegtäuscht. Bei allen Aufzeichnungen und Spuren, die die Projektphase im Internet hinterlassen hat, bleibt jedoch die Abgrenzung von einem Wirkungsdiskurs und der damit einhergehende Gefahr einer Untermauerung von Hierarchie bestehen. For now we meet scheint konsequent auf die in ihrem Ausgang offen angelegte Begegnung und den Austausch beschränkt. Insofern erscheint auch der angesprochene Vorbehalt, wonach Kunst in der internationalen Zusammenarbeit instrumentalisiert wird, obsolet, da sich fragen lässt, worin das Künstlerische an diesem Projekt überhaupt besteht. Aus Sicht von neue Dringlichkeit ist diese Unklarheit erwünscht:

Ich würde sagen, in unserer Arbeit lösen sich die Grenzen zwischen Kunst, Politik und Leben auf. Kunst ist für mich an ihren Rändern interessant, weil sie sich eben da potentiell wirkungsmächtig zeigt, wo unklar ist, ob es sich ‚nur‘ um Kunst handelt, oder eben doch um das Zusammenleben oder Politik.*15 *(15)

Diese Unschärfe ermöglicht es, die Perspektive einzunehmen, dass es nicht innerhalb des Workshops um Kunst geht, sondern dass das Durchführen von Begegnung und Austausch an sich als künstlerisches Projekt zu verstehen ist.

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Bishop, Claire (2004): Antagonism and Relational Aesthetics. In: October, Herbst 2004.

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Bishop, (2006): The Social Turn: Collaboration and its Discontents. In: Artforum, Februar 2006.

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Bourriaud, Nicolas (1998): Esthetique Relationelle. Dijon: Les Presses du réel. Crossick, Geoffrey /Kaszynska, Patrycja (2016): Understanding the value of arts & culture. The AHRC Cultural Value Project, Swindon: Arts & Humanities Research Council.

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Hagoort, Erik (2005): Good Intentions. Judging the Art of Encounter. Amsterdam: Foundation for Visual Arts, Design and Architecture.

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Kester, Grant H. (2004):  Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art. Berkeley: University of California Press.

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Kester, Grant H. (2011): The One and The Many. Contemporary Collaborative Art in a Global Context. Durham: Duke University Press.

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Miessen, Markus (2011): The Nightmare of Participation. Berlin: Sternberg Press.

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Reich, Hannah (2006): „Local Ownership“ in Conflict Transformation Projects. Partners, Participation or Patronage?’, Berghof Occasional Paper, Nr. 27, September 2006.

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Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Berlin: Suhrkamp.

Das Kollektiv wurde 2010 gegründet, als die meisten Mitglieder Anfang 20 waren und studierten. Ihr Altersunterschied zu den jungen Leuten in Tskaltubo war bei der ersten Projektphase (2012) nur gering. Da das Lab vor allem von Schülern/Schülerinnen besucht wird, vergrößert sich der Altersunterschied in den folgenden Projektphasen.

Eine ähnliche Kritik, wie sie Bishop anhand des Begriffs „togetherness“ fomuliert, findet sich auch in: Miessen 2011.

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 4. Juli 2016).

Tskaltubo Art Festival (jährlich seit 2013), siehe: https://www.facebook.com/Tskaltubo-Art-Festival-698901996792832/ (Zugriff: 4. Juli 2016) und http://www.artasfoundation.ch/de/tskaltuboartfestival(Zugriff: 4. Juli 2016).

artasfoundation trägt in ihrem Logo die Unterschrift „for peace“ und positioniert sich im weiten Feld des „civilian peace building“. Siehe: http://www.artasfoundation.ch/de/ziele (Zugriff: 22. Juli 2016).

Vgl. beispielsweise den Bericht Understanding the Value of Art and Culture des Arts & Humanities Research Council (Crossick/Kaszynska 2016).

Grant Kester liefert einen ausführlichen ideengeschichtlichen Rahmen für die Verbindung von Kunst mit humanitären Anliegen (vgl. Kester 2011: 19-65).

In der internationalen Zusammenarbeit wird mit einer etwas anderen Nuance auch von „patron-client relationship“ gesprochen. Vgl. Reich 2006: 4.

https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ Eintrag vom 28. November 2013 (Zugriff: 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Diese Aufnahmen finden sich teilweise auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs (Einträge von 2013) oder auf dem Blog der neuen Dringlichkeit. Siehe: https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ oder https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (23. Februar 2016), die E-Mail liegt dem Autor vor.

Das Video findet sich unter dem Titel For now we meet workshop auf dem Blog der neuen Dringlichkeit, siehe: https://nd-blog.org/for-now-we-meet/ (Zugriff am 15. Juli 2016).

Maja Leo in einer privaten E-Mail an den Autor (8. Februar 2016), E-Mail liegt dem Autor vor.

Thinking about Georgian Parents, Eintrag vom 24. September 2014, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (Zugriff: 22. Juli 2016).

Das Thema der Selbstorganisation wurde aktiv eingebracht. So fand im Rahmen der zweiten Projektphase auch ein Workshop zum Thema statt, der von Wato Tsereteli, dem Leiter des Center for Contemporary Art in Tiflis, geleitet wurde.

Dieses Gespräch ist auf dem Video For now we meet workshop zu sehen (siehe Anmerkung 14).

Das Video findet sich auf der Facebook-Seite des Tskaltubo Labs und auf der Vimeo-Seite von neue Dringlichkeit: https://vimeo.com/album/1676946/video/103837792 (15. Juli 2016).

Eine Audioaufnahme des Gesprächs liegt dem Autor vor.

Eintrag vom 31. Oktober 2015, https://www.facebook.com/groups/its.not.that.far/ (15. Juli 2016).

Terkessidis bezeichnet die Schärfung eines „organischen Sensoriums“ als eine Form von Wissen, die bei Kollaborationen produziert wird (vgl. Terkessidis 2015: 171).

Marcel Bleuler ( 2016): Die Möglichkeit internationaler Partnerschaft. Das Tskaltubo Lab for Urgent Questions als künstlerische Beziehungsarbeit. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/die-moglichkeit-internationaler-partnerschaft/