Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter

Maßgeblich für ein besseres Verständnis der Internetnutzung ist die Unterscheidung zwischen den sogenannten ‚Digital Natives‘ und ‚Digital Immigrants‘. Während Digital Natives mit digitalen Technologien aufwachsen und deren Sprache als ‚Muttersprache‘ erlernen, sind Digital Immigrants Personen, die zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben mit digitalen Geräten in Berührung kamen und daher ‚Akzente‘ in der Verwendung dieser Sprache aufweisen (Prensky 2001: 3).star (*24) Viele Web- sowie Social-Media-Auftritte von Kunst- und Kulturinstitutionen werden von unseren Interviewpartner*innen, die Digital Natives sind, als relativ schwach empfunden, was darauf schließen lässt, dass diese noch von Digital Immigrants verwaltet werden (vgl. die Interviews mit EsRap sowie Young Krillin in dieser Ausgabe). Unabhängig von dieser Unterscheidung spricht Young Krillin von einer grundsätzlichen Technikversiertheit von Personen mit Behinderung und bemängelt die Barrierefreiheit der Web-Auftritte, während Monika Schmerold (vgl. das Interview in dieser Ausgabe) hinzufügt, dass für viele behinderte Personen hochgeladene Fotos der Räumlichkeiten von Institutionen in erster Linie ausreichen würden, um zu evaluieren, ob eine Teilnahme für sie überhaupt möglich ist.

Social Media & Participatory Culture

Durch soziale Medien bzw. Web 2.0*4 *(4) hat das Internet Möglichkeiten in Bezug auf kulturelle Bedeutungsproduktionen entfaltet, sodass auch nicht privilegierte Personen Produzent*innen von für eine breite Masse zugänglichen Inhalten werden können. In gewisser Hinsicht ist dies eine radikale Umkehr der Verhältnisse der letzten 150 Jahre, in denen Produktions- und Vertriebsprozesse große Kapitalmengen erforderten. Zeitungen, Buchverlage, Musiklabels, Filmstudios, Radio und Fernsehen wurden von mächtigen Organisationen aufgrund derer Produktionsmittel sowie Distributionsfähigkeit dominiert (vgl. Blank/Reisdorf 2012: 537f.).star (*7) Den partizipativen Aspekt unserer heutigen Internetkultur nennt Medienwissenschaftler Henry Jenkins „Participatory Culture“:

„A participatory culture is a culture with relatively low barriers to artistic expression and civic engagement, strong support for creating and sharing one’s creations, and some type of informal mentorship whereby what is known by the most experienced is passed along to novices. A participatory culture is also one in which members believe their contributions matter and feel some degree of social connection with one another.“ (Jenkins 2006: 7)star (*12)

Das Internet und Social Media ermächtigen Personen, die aufgrund ihres sozialen Status, Habitus oder Bildungsmöglichkeiten durch Gate-Keeper in Institutionen oder physischen sozialen Netzwerken nicht gefördert wurden, zu künstlerisch-kulturellen Ausdrücken und Produktionen,  (vgl. Baumgartinger/Akarçeşme/Zechenter 2018). Unsere Interviews zeigen, dass marginalisierte Personen Social Media und das Internet bereits aktiv zur Navigation durch von Ausschlüssen geprägte Kunst- und Kultursphären sowie zur gegenseitigen Ermächtigung nutzen. Dabei hat sich in den Interviews auch eine Kluft in der Einstellung zur Digitalisierung herausgestellt. Während unmittelbar von Ausschluss betroffene Künstler*innen Digitalisierung als große Möglichkeit erachten und positive Aspekte verstärkt beleuchten (vgl. Moser/Karam 2018star (*19) sowie die Interviews mit Bakış, EsRap sowie Young Krillin in dieser Ausgabe), beleuchten andere Künstler*innen und Vermittler*innen vermehrt auch Risiken der Digitalisierung (vgl. Naveau 2017;star (*21) Prlić in dieser Ausgabe und unveröffentliches Interview mit Anita Thanhofer, 04.06.2019).star (*26) Manuela Naveau (2017)star (*21) hat beispielsweise die Dimensionen der digitalen Partizipation in Bezug auf künstlerische Produktionen erforscht und festgestellt, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Beteiligung unwissentlich und unfreiwillig vonstattengeht. Dies zeigt die Notwendigkeit beständiger Vermittlung von Digital Literacy Skills. Sonja Prlić verweist auf Basis ihrer Erfahrungen im Zuge von Projekten mit Schüler*innen darauf hin, dass zwar immer mehr Schüler*innen iPhones haben, jedoch immer weniger wissen, wie das Gerät tatsächlich funktioniert, und erklärt, dass das „Hinter-die-Kulissen-Schauen“ genauso notwendig ist wie etwa die Auseinandersetzung mit Hate Speech und Fake News (vgl. das Interview mit Prlić in dieser Ausgabe).

In weiterer Folge werden Teilhabe in der Produzent*innenschaft von Kunst und Kultur anhand von Migration und Teilhabe in der Rezipient*innenschaft anhand von Alter in ländlichen Regionen thematisiert sowie dargelegt, warum es wichtig ist, älteren Personen Digital Skills zu vermitteln.

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Ahmed, Sara (2012): On being included: Racism and Diversity in Institutional Life. Durham: Duke University Press.

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Akarçeşme, Dilara/Folie, Andrea (2018): „Das Dorf wird noch globaler werden“ ‑ Digitale Teilhabe, Potenziale und Herausforderungen im Rahmen regionaler Kulturarbeit in Salzburg. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-dorf-wird-noch-globaler-werden-digitale-teilhabe-potenziale-und-herausforderungen-im-rahmen-regionaler-kulturarbeit-in-salzburg/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Al-Masri-Gutternig, Nadja/Daoudi-Rosenhammer, Monika (2018): Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-inklusive-museum-%e2%80%91-eine-frage-von-kooperation-und-vernetzung/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Hochleitner, Martin (2018): „Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-als-emanzipatorische-praxis/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Akarçeşme, Dilara/ Zechenter, Karl (2018): Die Anwesenheit von anderen kulturellen Prägungen ist in Salzburg kein Thema.“ In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/die-anwesenheit-von-anderen-kulturellen-praegungen-ist-in-salzburg-kein-thema/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Frketić, Vlatka (2019). Kritisches Diversity und Kulturarbeit: Wenn Aktivismus und Erfahrungswissen in den Mittelpunkt gerückt werden. In Zobl, Elke/Klaus, Elisabeth/Moser, Anita/Baumgartinger, Persson Perry (Hg.): Kultur produzieren. Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion . Bielefeld: transcript, S. 195 – 216

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Blank, Grant/ Reisdorf, Bianca (2012): The participatory web: A user perspective on Web 2.0. Information Communication and Society, 15, 301-318.

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Boschner, Anna (2019): Graffiti sprühen im Stadtwerk. In: Salzburger Fenster, 17.06.2019. Online unter  https://www.salzburger-fenster.at/2019/06/17/graffiti-spruehen-im-stadtwerk/ (30.06.2019)

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Eggers, Maureen Maisha /Grada Kilomba/Peggy Piesche/ Arndt, Susan (Hg.) (2009): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: unrast.

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El-Tayeb, Fatima (2016): Undeutsch: Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript.

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Interview Anita Thanhofer, 04.06.2019, unveröffentlicht.

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Interview Diana Schmiderer, 12.02.2019, unveröffentlicht.

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Jenkins, Henry (2006): Confronting the Challenges of Participatory Culture Media Education for the 21st Century. The John D and Catherine T MacArthur Foundation Reports on Digital Media and Learning. Cambridge: The MIT Press.

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Karich, Swantje (2018): Rassismus im Kunstbetrieb. „Es kotzt uns an“. In: Die Welt, 12.12.2018. Online unter https://www.welt.de/kultur/article185319848/Rassismus-im-Kunstbetrieb-Es-kotzt-uns-an.html (17.07.2019)

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Kilomba, Grada (2008): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: unrast.

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Kuria, Emily Ngubia (2015): Eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. Berlin: w_orten & Meer.

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Kurzweil, Ray (1999): The Age of Spiritual Machines. When Computers Exceed Human Intelligence. New York: Penguin.

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Land Salzburg (2015): Räumliche Strukturanalyse des Landes Salzburg 2014/15. Salzburg.

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Lauterbach-Dannenberg, Nina (2019): Kulturelle Teilhabe Älterer in ländlichen Räumen – Ermöglichungsstrukturen schaffen durch Innovation, Vernetzung, Partizipation und Eigensinn. Kulturelle Bildung Online. Online unter https://www.kubi-online.de/artikel/kulturelle-teilhabe-aelterer-laendlichen-raeumen-ermoeglichungsstrukturen-schaffen-durch (25.05.2019)

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Lorch, Catrin (2018): „Ich habe mich wirklich widerlich benommen, keine Frage“. In: Die Süddeutsche, 06.12.2018. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/kasper-koenig-kammerspiele-kritik-rassismus-kunst-1.4241822 (17.07.2019)

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Millard, Adele/ Loretta Baldassar/ Wilding, Raelene (2018): The significance of digital citizenship in the well-being of older migrants. Public Health 158, S. 144-48.

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Moser, Anita/ Karam, Abdullah (2018): “More communication, please!” Abdullah Karam im Gespräch mit Anita Moser über seine künstlerische Arbeit, das Potenzial von Computerspielen und Salzburg als Ort kultureller Teilhabe und Produktion In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/more-communication-please/

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Mysorekar, Sheila (2007): Widerstand. Poesie des Überlebens. In K. N. Ha, N. Lauré al Samarai, & S. Mysorekar (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster: Unrast, S. 339-346.

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Naveau, Manuela (2017): Crowd and Art – Kunst und Partizipation im Internet. Bielefeld: transcript.

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Ogette, Tupoka (2017): Exit Racism. Rassismuskritisch Denken lernen. Münster: unrast.

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Postscriptum Onur Bakış 25.07.2019, unveröffentlicht.

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Prensky, Marc (2001): Digital Natives, Digital Immigrants Part 1. On the Horizon 9. 1-6.

Hierbei handelt es sich um einen Expert*innenbegriff, der auch auf Erfahrungswissen basiert (vgl. dazu u.a. Baumgartinger/Frketić 2019)

Ein besonderer Dank gilt Persson Perry Baumgartinger für seine wertvollen Kommentare bei der Verfassung dieses Artikels.

Im Gegensatz zum Web 1.0 können Nutzer*innen im Web 2.0 eigenhändig partizipieren, ohne einer Programmiersprache mächtig zu sein (vgl. Blank/ Reisdorf 2012: 545).

Der Begriff Migrant*innen wird hier mit Vorbehalt verwendet und beschreibt die selbstbenannte Kategorie BIPOC, Black and Indigenous Persons/ People of color. Die Begriffe ‚Migrant*in‘ oder ‚Person mit Migrationshintergrund‘ machen den Unterschied in den Erfahrungen zwischen weißen und nicht-weißen Migrant*innen unsichtbar. Im gesellschaftlichen Sprachgebrauch werden weiße Migrant*innen eher als Expats bezeichnet, während nicht-weißen Personen der Begriff der Migration zugeschrieben wird, auch wenn diese keine unmittelbare Migrationserfahrung haben, wie etwa Rom*nja oder Schwarze Europäer*innen (vgl. Ogette 2017).

Der Begriff weiß, klein und kursiv geschrieben, beschreibt keine Identität. Er ist ein von Schwarzen Theoretiker*innen entwickelter analytischer Begriff, „um die Architektur weißer Dominanz- und Machtverhältnisse sowie die damit verknüpfte Ausübung rassistischer Systeme und Praktiken zu beschreiben. „Schwarz“ mit einem großen S geschrieben ist eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Personen. Sie soll als Akt des Widerstands die von rassistischen Terminologien behaftete Identität von Schwarzen Personen zurückfordern (Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005: 13).

Das Rassismusverständnis dieses Artikels geht davon aus, dass Rassismus nicht nur „von Skinheads mit Baseballschlägern praktiziert wird, sondern auch von der dauergewellten Nachbarin nebenan“ (Mysorekar 2016: 339). In anderen Worten geht es um den strukturellen Rassismus westeuropäischer Prägung, der historisch gewachsen und in unsere täglichen Abläufe eingeschrieben ist (vgl. z.B. Kilomba 2008; Kuria 2015; El-Tayeb 2016 oder Ogette 2017).

Dilara Akarçeşme ( 2019): Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/digitalisierung-als-tool-zur-navigation-durch-ausschliessende-kunst-und-kulturwelten-im-kontext-von-migration-alter/