Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter

Eine wichtige Motivation für das Erlernen digitaler Skills ist die Erledigung von Einkäufen und Bankgeschäften, da es die Teilnehmer*innen erheblich von externer Hilfe unabhängig macht. In Bezug auf Kunst und Kultur werden etwa lang ersehnte kulturelle Produktionen über YouTube oder Google gefunden. Eine Teilnehmerin konnte ihre unveröffentlichten Gedichte in Foren teilen und online an literarischen Diskussionen teilnehmen. Auch nutzen die Teilnehmer*innen YouTube, um mithilfe von Video-Anleitungen Yoga- und Körperübungen durchzuführen. Ein unerwarteter Nebeneffekt der neu errungenen Skills ist die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Während manchmal schottische Volksmusik in den Räumlichkeiten ertönt, zeigen andere Teilnehmer*innen ihren Kolleg*innen für sie emotional relevante Orte über Google Maps. Zusätzlich wird eine Intensivierung der Kommunikation der Großeltern- mit der Enkelgeneration festgestellt, was wiederum einen Anschubeffekt bei der Geschwindigkeit des Erlernens der digitalen Skills zur Folge hat. Forscher*innen, die dieses Projekt wissenschaftlich begleiteten, halten ebenso fest, dass das Internet Café nicht lediglich aufgrund des Erlernens digitaler Skills gerne aufgesucht wird, sondern auch, weil es als kollektiver Raum des Lernens, sozialer Zugehörigkeit, des gegenseitigen Respekts und der Ermächtigung erlebt wird (ebd).star (*18)

Die zu Beginn erwähnten strukturellen Defizite für kulturelle Teilhabe älterer Personen in ländlichen Regionen – abnehmende soziale Netzwerke, schwindende Möglichkeiten zum Generationenaustausch und Mobilitätsprobleme – können durch das Erlernen digitaler Skills zu einem relevanten Teil abgefedert werden. Zu beachten ist dabei, dass bei Bedarf auch Tastaturen mit dem jeweiligen Alphabet der Teilnehmer*innen zur Verfügung gestellt werden.

 

Resümee

In unserer Forschung zeigt sich insgesamt, dass Digitalisierung und besonders Social Media eine Schlüsselrolle darin spielen, durch strukturelle bzw. institutionelle Ausschlüsse in Kunst- und Kultursphären zu navigieren. In Bezug auf Migration bedeuten digitale Mittel und Social Media Zugang zu Jugendlichen einerseits und ihre Ermächtigung zur eigenen Produktion durch die Vorbildfunktion von bereits auf Social Media aktiven migrantischen Künstler*innen andererseits. Zudem nutzen migrantische Künstler*innen Social Media, um institutionelle Vereinnahmung und Gate-Keeping zu umschiffen sowie vernetzt gegen diese Hegemonien und strukturellen Rassismus zu protestieren.

In Bezug auf Alter in ländlichen Regionen hingegen bedeuten digitale Mittel Zugang zu ersehnten kulturellen Produktionen bzw. die Möglichkeit des Teilens eigener Kunst- und Kulturproduktionen, verstärkte Pflege von sozialen Netzwerken, intensiven Generationenaustausch sowie Möglichkeiten zur Selbstständigkeit bei Tätigkeiten, die ohne digitale Mittel verstärkte Mobilität erfordern würden, wie etwa Einkäufe oder Bankgeschäfte.

Um breitere kulturelle Teilhabemöglichkeiten zu gewährleisten, bedeutet dies für Stadt und Land Salzburg die Notwendigkeit der Förderung von Digital-Literacy-Programmen. Dazu gehören allgemein Vermittlungsformate zu Fake News und Hate Speech für alle Zielgruppen sowie informelle Formate zum Erlernen von Basiswissen im Umgang mit Computern, sofern es sich um sogenannte Digital Immigrants handelt.

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Hierbei handelt es sich um einen Expert*innenbegriff, der auch auf Erfahrungswissen basiert (vgl. dazu u.a. Baumgartinger/Frketić 2019)

Ein besonderer Dank gilt Persson Perry Baumgartinger für seine wertvollen Kommentare bei der Verfassung dieses Artikels.

Im Gegensatz zum Web 1.0 können Nutzer*innen im Web 2.0 eigenhändig partizipieren, ohne einer Programmiersprache mächtig zu sein (vgl. Blank/ Reisdorf 2012: 545).

Der Begriff Migrant*innen wird hier mit Vorbehalt verwendet und beschreibt die selbstbenannte Kategorie BIPOC, Black and Indigenous Persons/ People of color. Die Begriffe ‚Migrant*in‘ oder ‚Person mit Migrationshintergrund‘ machen den Unterschied in den Erfahrungen zwischen weißen und nicht-weißen Migrant*innen unsichtbar. Im gesellschaftlichen Sprachgebrauch werden weiße Migrant*innen eher als Expats bezeichnet, während nicht-weißen Personen der Begriff der Migration zugeschrieben wird, auch wenn diese keine unmittelbare Migrationserfahrung haben, wie etwa Rom*nja oder Schwarze Europäer*innen (vgl. Ogette 2017).

Der Begriff weiß, klein und kursiv geschrieben, beschreibt keine Identität. Er ist ein von Schwarzen Theoretiker*innen entwickelter analytischer Begriff, „um die Architektur weißer Dominanz- und Machtverhältnisse sowie die damit verknüpfte Ausübung rassistischer Systeme und Praktiken zu beschreiben. „Schwarz“ mit einem großen S geschrieben ist eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Personen. Sie soll als Akt des Widerstands die von rassistischen Terminologien behaftete Identität von Schwarzen Personen zurückfordern (Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005: 13).

Das Rassismusverständnis dieses Artikels geht davon aus, dass Rassismus nicht nur „von Skinheads mit Baseballschlägern praktiziert wird, sondern auch von der dauergewellten Nachbarin nebenan“ (Mysorekar 2016: 339). In anderen Worten geht es um den strukturellen Rassismus westeuropäischer Prägung, der historisch gewachsen und in unsere täglichen Abläufe eingeschrieben ist (vgl. z.B. Kilomba 2008; Kuria 2015; El-Tayeb 2016 oder Ogette 2017).

Dilara Akarçeşme ( 2019): Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/digitalisierung-als-tool-zur-navigation-durch-ausschliessende-kunst-und-kulturwelten-im-kontext-von-migration-alter/