diverCITYLAB: Ein kunstpolitisches Projekt, getarnt als Schule

Aslı Kışlal im Interview mit Dilara Akarçeşme

Vor diverCITYLAB hattest du bereits andere große Projekte. Kannst du uns Einblicke darin geben?

Vor diverCITYLAB  hatte ich fast zehn Jahre lang das große Projekt daskunst. In diesem Ensemble, das sich aus 30 Personen von überall auf der Welt zusammensetzte, fragte ich die Leute nicht gezielt, woher sie kamen, weil mir das egal war. Wenn ich ein Talent gesehen habe, habe ich die jeweilige Person angesprochen. Es gab zum Beispiel Personen aus Österreich, Deutschland, der Demokratischen Republik Kongo, Griechenland, der Türkei und so weiter. Unter uns stellte sich nicht die Frage, wer warum hier ist. Wir gingen idealistisch an die Sache heran und unser Fokus lag auf dem Talent.

Trotzdem wurde daskunst aber immer als Migrantentheater bezeichnet. Manche nannten uns sogar „Aslı und ihre Türken“. Irgendwann wurden wir dieser unaufhörlichen Fremdbezeichnungen müde und beschlossen, eine Klausur nur dafür zu organisieren, uns selbst zu bezeichnen. Wir ließen zwei Tage lang unsere Köpfe rauchen, kamen allerdings zu keiner passenden Bezeichnung für uns, denn jegliche Bezeichnung führt zu einer Verengung, oder drückt einen Stempel auf. Das wollten wir dann auch nicht. Wir fragten: „Sind wir jetzt die Migrant*innen?“ Damals gab es die Bezeichnung PoC nicht, aber wir hatten Österreicher*innen und Deutsche dabei. Zum Schluss stand auf einem Zettel wirklich nur: „Wir machen gaaaaanz einfach Theater.“ Wir sind eine akkurate Abbildung der Gesellschaft und vertreten eine neue Form von Theatergruppen. Durch diese Geschichten kam es dann zur Projektreihe Postmigrantische Positionen, PIMP MY INTEGRATION.

 

Was denkst du zum Begriff „Postmigrantisches Theater“?

Das postmigrantische Theaterverständnis gab es zuerst in Deutschland und es hat sich im Laufe der Zeit auch in Österreich verbreitet. Der Begriff postmigrantisch wurde ursprünglich in US-amerikanischer Literatur verwendet. Der Soziologe Erol Yıldız hat ihn in einem anderen Kontext verwendet, und in Bezug auf das Theater hat ihn vor allem Shermin Langhoff etabliert. Ich persönlich sage nicht postmigrantisches Theater, sondern präferiere die Bezeichnung „Theater in einer postmigrantischen Realität“. Dann ändert sich nicht das Theater, sondern das Verständnis davon, vor allem in der Frage, wer die Akteur*innen sind. Das heißt, wenn das Theater eine Spiegelung der Gesellschaft, oder ein Zukunftswunsch der Gesellschaft sein soll, je nachdem wie man es nimmt, müssen wir von einer postmigrantischen Realität als Ist-Zustand ausgehen, worauf das Theater reagieren muss. Das ist mein Zugang dazu. Jedenfalls hatte das Wiener Kulturamt Ideen für die Installierung des Begriffs postmigrantisches Theater und wollte sich dabei am Berliner Theater Ballhaus Naunystraße orientieren. Wir erwiderten aber, dass jede Stadt ihre eigenen Kompetenzen, Wünsche und Abläufe hat und wir deshalb zuerst die Szene befragen müssen. Das Kulturamt zeigte sich sehr kooperativ und damit entstand PIMP MY INTEGRATION. Im Rahmen dieses Projekts haben wir gefragt, wie in Wien, Deutschland und allgemein im deutschsprachigen Raum der Ist-Zustand aussieht. Dieser Prozess wurde drei Monate lang durch EDUCULT in einer Studie*2 *(2) begleitet, wobei der Hauptfokus darauf lag, wer die Akteur*innen in Wien sind.

 

Wie sieht der Fokus auf Akteur*innen bei diverCITYLAB aus?

Wir haben gesehen, dass der Zugang zu Schauspielschulen und Konservatorien insgesamt enorm schwierig ist. Um die zahlreichen Zugangsbarrieren zu überwinden, brauchte es ein Projekt und deshalb gründeten wir diverCITYLAB, um die Professionellen selber auszubilden. Wissend, dass wir mit unserem minimalen Budget niemals mit einem Max Reinhardt Seminar konkurrieren können. Wissend, dass die Gegebenheiten unserer Studierenden ganz andere sind. Sie kämpfen mit zahlreichen Herausforderungen, vom Aufenthaltsstatus bis zur Arbeitserlaubnis. Zusätzlich besteht das Problem, dass sie nicht zur Schicht gehören, die als klassische Theaterschicht wahrgenommen wird. Wir müssen uns also fragen, wie viel Freiraum unsere Studierenden haben, sodass 18 bis 20 Stunden Unterricht in der Woche machbar sind. Wir versuchen deshalb, den Stundenplan bestmöglich in Absprache mit ihnen zu gestalten.

 

Gemeint sind Personen, die nicht den klassischen weißen und bürgerlichen Vorstellungen von Theaterschaffenden entsprechen.

Dilara Akarçeşme, Aslı Kışlal ( 2020): diverCITYLAB: Ein kunstpolitisches Projekt, getarnt als Schule. Aslı Kışlal im Interview mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/divercitylab/