diverCITYLAB: Ein kunstpolitisches Projekt, getarnt als Schule

Aslı Kışlal im Interview mit Dilara Akarçeşme

Wie ist diverCITYLAB strukturell aufgebaut?

diverCITYLAB hat drei Säulen. Wir haben die Schauspiel- und Performance-Akademie, aber wir können nicht Schauspieler*innen ausbilden, für die es keine Regisseur*innen, Autor*innen oder Zuschauer*innen gibt. Daher haben wir auch ein Artist-in-Residence-Programm sowie Kulturvermittlungsprojekte. So versuchen wir, mit minimalen Mitteln das gesamte Gebilde um das Theater herum abzudecken.

In den letzten zwei Jahren ist das Artist-in-Residence-Programm ziemlich eingeschlafen, weil sich das Schauspielstudium ernsthaft weiterentwickelt und einen großen Teil der finanziellen Mittel in Anspruch genommen hat. Daher haben wir dieses Jahr beschlossen, keine neue Klasse zu öffnen, sondern das Artist-in-Residence-Programm wieder zu beleben. Im Februar spielte im Theater Nestroyhof / Hamakom unser Stipendiat Abdallah Shmelawi, der seit zehn Jahren kein Stück auf die Bühne bringen konnte, weil ihm die Zugänge, das Networking und die Infrastruktur fehlten. So entwickelte er sich zu einem One-Man-Performer und hatte jetzt seit Langem wieder das erste Mal die Chance, ein Stück zu inszenieren.

In Prinzip funktioniert diverCITYLAB deshalb, weil alle Involvierten sehr idealistisch sind. So können wir trotz minimaler Mittel eine Professionalisierung erzielen. Ich wollte aber nie, dass unsere Studierenden mit Studierenden konkurrieren, die 30 bis 40 Stunden in der Woche in einem Setting Unterricht genießen können, das jegliche Rahmenbedingungen zum Austoben bietet. Auf diese Weise würde ich anfangen, wieder eine Zweiklassengesellschaft zu produzieren. Talent ist nämlich ein Ding, aber gelerntes Handwerk ist etwas anderes und wird anderorts viel intensiver unterrichtet, als wir es jemals schaffen könnten. Das heißt, unsere Studierenden haben viel mehr Eigenverantwortung in ihrer Ausbildung. Sie haben aber auch einen politischen Zugang. Wir sensibilisieren sie stark dahingehend, dass sie auf die Klischees, gegen die sie draußen in der Welt kämpfen werden, vorbereitet sind. Wir sprechen viel darüber, wofür sie gebraucht werden und von welchen Projekten sie Anfragen bekommen könnten, weil sie so sind, wie sie sind. Auch thematisieren wir, wie viel Freiheit sie wirklich haben, um überall auftreten zu können. Aber es gibt diese Lücke bzw. Nische und wir wissen, dass sie sich mit ihrem Können und mit ihrer Argumentationsfähigkeit auf jeden Fall etablieren werden. Das sehen wir auch bei einigen unserer Absolvent*innen, die sich langsam in der Szene etablieren.

 

Wie sieht der Bereich der Kulturvermittlung aus?

Wir arbeiten mit verschiedenen Organisationen. In den letzten zwei Jahren hatten wir ein Projekt mit trafo.K und der Universität Wien in einer Schule im 23. Bezirk. Wir haben mit einer Unterstufen- und einer Oberstufenklasse an einem Projekt namens Making Democracy gearbeitet. Zuerst haben Kulturvermittler*innen mit den Schüler*innen zu Begrifflichkeiten gearbeitet, dann haben Künstler*innen mit ihnen Cartoons entworfen und am Ende haben wir mit all dem Wissen, das sie angesammelt haben, gemeinsam ein performatives Projekt entwickelt.

Weil unsere Studierenden ihre Ausbildung kostenlos erhalten, bin ich der Meinung, dass sie ihr Wissen in einem Kulturvermittlungsprojekt weitergeben sollten. Deshalb waren sie auch involviert. Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass unsere Studierenden erst vor Kurzem aus dem System der Schule herausgekommen sind und noch immer sehr viele Verletzungen aus dieser Zeit mit sich herumtragen. Sie wieder in dieses System einzuschleusen und von ihnen auf Anhieb eine andere Haltung zu erwarten, war einen Tick komplizierter, als ich dachte. Sie haben sich wie die Schüler*innen gefühlt, die gezwungen werden, etwas zu erarbeiten. Das hat viele Diskussionen ausgelöst. Wir haben beispielweise gefragt: „Warum Schule?“ oder: „Was heißt ein freiwilliges Projekt für Schüler*innen?“ Insgesamt waren diese Diskussionen aber sehr fruchtbar und die differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema als Prozess war schließlich wichtiger als das Ergebnis. Genau für solche Diskussionen bietet diverCITYLAB sehr viel Raum.

 

Gemeint sind Personen, die nicht den klassischen weißen und bürgerlichen Vorstellungen von Theaterschaffenden entsprechen.

Dilara Akarçeşme, Aslı Kışlal ( 2020): diverCITYLAB: Ein kunstpolitisches Projekt, getarnt als Schule. Aslı Kışlal im Interview mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/divercitylab/