„Eigentlich eine einfache Antwort: ‚Alle’ ist ‚alle’“

Monika Schmerold im Gespräch mit Dilara Akarçeşme über Enthinderung im Kunst- und Kulturbereich als Menschenrechtsaufgabe

Sie haben vorhin gesagt, dass wir uns in einer Transitionsphase befinden. Wie ist die rechtliche Grundlage dafür?

Das Problem ist, dass die Entscheidungsträger*innen in der Stadt das auf die Besitzer oder die Unternehmer abwälzen und sagen, dass sie das entscheiden müssen, weil sie dafür verantwortlich sind. Die Besitzer sagen dann oft, dass es der Denkmalschutz war. Das ist immer die erste Ausrede. Die zweite Ausrede ist, dass das so genehmigt wurde. Die rechtliche Handhabe, die wir haben, ist nur die persönliche Diskriminierung. Diese ist im Behindertengleichstellungsgesetz geregelt. Das regelt aber nur, dass ich nicht diskriminiert werden darf. Das heißt, wenn der Eingang oder eine Veranstaltung nicht barrierefrei sind, dann kann ich beim Sozialministeriumsservice eine Schlichtung einreichen. Mit den jeweiligen Schlichtungspartner*innen, kann ich mir eine Entschädigungszahlung vereinbaren, mehr nicht. Nur wenn die Schlichtung nicht zustande kommt, kann ich klagen, aber nur, wenn ich das Klagerisiko selbst trage. Es ist also ein zahnloses Gesetz. Wir arbeiten seit Jahren mit dem Klagsverband in Wien an einer Änderung. Es ist leider nicht so leicht umsetzbar, weil sie natürlich wissen, was das auslösen würde. Mit Kunst- und Kultureinrichtungen habe ich noch keine Schlichtung gehabt. Ich weiß, dass Kultureinrichtungen finanziell sehr niedrig eingestuft sind und grundsätzlich bemüht sind. Ich suche mir lieber die aus, wo man sensibilisieren muss, etwa einen Konzern mit vielen Filialen. Da macht das Sinn, wenn ich mir den großen Aufwand antue.

Wir haben das Behindertengleichstellungsgesetz, das sehr zahnlos ist. Wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention, die kein Gesetz ist, sondern nur ein völkerrechtliches Übereinkommen, das für Bund, Länder und Gemeinden bindend ist. Die Gemeinden und die Länder nehmen sich aber da immer wieder raus. Man kann es zwar gut zum Argumentieren verwenden, aber im Grunde genommen gibt es ganz selten Klagen oder Ergebnisse, die in der Judikatur verwendbar sind. Wir haben natürlich auch die Bundesverfassung, die über allem steht. Die sagt auch, dass niemand diskriminiert oder schlechter behandelt werden darf. Alle müssten gleichbehandelt werden. Das ist zwar in einem Gesetz eingebettet, aber das ist für mich eher eine Zielvorgabe und nicht schon erfüllt. Wir haben diverse Landesgesetze wie das Chancengleichheitsgesetz oder das Arbeitnehmer*innenschutzgesetz. Die enthalten alle einen kleinen Behindertenpart. Jedes Bundesland hat aufgrund unseres Föderalismus ein eigenes Baugesetz. Dort ist auch überall ein bisschen etwas bezüglich Behinderung drin. Barrierefreiheit hat eigene Normen, die vom Austrian Standards Institute entwickelt werden. Das sind die Grundlagen, die man beim barrierefreien Bauen verwendet, und ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei. Die Länder selbst sagen aber, dass das nur ein Regelwerk ist und sie das nicht so machen müssen, wie es drinsteht. Man hat also immer eine Möglichkeit, dass man sich rausnimmt. Für mich sind immer der menschenrechtliche Grundsatz und die gleichberechtigte Teilhabe das Wichtigste.

Wenn Ressourcen keine Rolle spielen würden, was wären ihre Visionen und Wünsche zur kulturellen Teilhabe in Salzburg?

Dass allen alles offensteht und zwar ohne irgendwelche Nachfragen, ohne irgendwelche Beschriftungen, also ohne dass man irgendwie ein Programm ausschreiben muss, wo steht: „Wir bieten Gebärdendolmetsch an“ oder Ähnliches, sondern dass es selbstverständlich ist, zu einer Veranstaltung, die mir gefällt, einfach nur hinzugehen, sodass ich mir nur die Zeit nehmen muss. Das wäre meine Vision und das wäre Gleichberechtigung, die wir dann erfüllt hätten. Mehr gibt es da nicht hinzuzufügen (lacht).

Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Ich glaube, dass man beim Thema Behinderung weggehen muss von diesem Schubladendenken. Beim Bereich der Menschen mit Behinderung, ist der/die Rollstuhlfahrer*in ja schon eigentlich in der Gesellschaft angekommen. Sie stehen relativ weit oben. Da gibt es eben ein Ranking. Ich glaube, wir müssten alle gleichberechtigt auf einer Ebene betrachtet werden. Man kann nicht einfach sagen: „Gut, wir sind jetzt baulich barrierefrei zugänglich und dafür müssen wir das andere nicht mehr machen.“ Es muss wirklich das Optimum rausgeholt werden. Es müssen immer die Fachexpert*innen und die Betroffenen selbst miteinbezogen werden, wenn es um bauliche Maßnahmen geht. Wenn es um die Entwicklung von Projekten geht, ist die Partizipation von Menschen mit Behinderung wichtig. Die steht ja auch in der UN-Behindertenrechtskonvention. Dass man diese Partizipation ganz selbstverständlich bedenkt und auch wirklich alle hereinholt, ist wichtig, zum Beispiel über Vereine. Das ist auch ein Prozess, der in Gang gesetzt wird. Mundpropaganda funktioniert in der Community der Menschen mit Behinderung sehr gut. Facebook ist ein Medium, das sehr intensiv genutzt wird, weil man sich sehr rasch und einfach austauschen kann. Da weiß man einfach, was wo läuft und wie das gestaltet ist. Dann, dass die Regionen langsam mitreinwachsen und die Leute dort auch die Möglichkeiten haben und dass das nicht nur in der Stadt so ist, wobei das Angebot in der Stadt auch relativ gering bzw. schlecht beworben ist. Da braucht es mehr Einbindung über die großen Gremien, also den Gemeinde- und den Städtebund. Statt nur zu repräsentieren, sollten auch wirklich Betroffene drin sitzen, die Barrierefreiheit als Querschnittsthema laufend einbringen.

Danke für das Interview!

Dilara Akarçeşme, Monika Schmerold ( 2019): „Eigentlich eine einfache Antwort: ‚Alle’ ist ‚alle’“. Monika Schmerold im Gespräch mit Dilara Akarçeşme über Enthinderung im Kunst- und Kulturbereich als Menschenrechtsaufgabe. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/eigentlich-eine-einfache-antwort-alle-ist-alle/