„Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“
Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber
Sie haben jetzt schon einzelne Phasen der Reallabor-Arbeit angesprochen und skizziert, wer daran beteiligt war. Wie aber kann man sich diesen Prozess des gemeinsamen Arbeitens, Entwickelns und Experimentierens konkret vorstellen?
Erstmal wurde quasi aus dem Reallabor-Team heraus, das ja auch die Koordination innehatte, geschaut, welche Akteur:innen es denn in der Stadt gibt. Dieser Schritt bedurfte auch der Mithilfe von Menschen, die sich vor Ort auskannten und einen Bezug zu den dringlichen Themen und bereits bestehenden Initiativen in Stuttgart hatten. Dann wurde das Recherchierte gesichtet und es gab eine große Auftaktveranstaltung. Hier wurde versucht, alle einzuladen, Themenfelder zu eröffnen und zu vermitteln, worum es eigentlich gehen soll – aus der Perspektive aller Bereiche. Infolgedessen gab es erste Szenarien, erste Workshops, wo Ideen eingereicht wurden. Sie konnten von allen Seiten kommen, auch von den Pionier:innen des Wandels. Es wurde dann eine Jury gebildet, die einige Projekte auswählte, die umgesetzt werden sollten. Wir an der Universität boten auch Studierenden die Möglichkeit, sich einzubringen. Das war, glaube ich, ein wichtiger Faktor für die Umsetzung der Realexperimente. Es gab auch Gruppen von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, die nicht oder nicht mehr studierten. Aber für das Parklet-Projekt oder das StadtRegal beispielsweise waren hauptsächlich die Studierenden maßgebend.
Einen Parking Day Stuttgart, an dem Parkplätze von der Bevölkerung umgestaltet werden können, gab es ja auch im Oktober 2020 und wird es auch in diesem Jahr wieder geben, obwohl das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur mit März 2020 ausgelaufen ist. Ist das Parklet-Projekt eine Initiative, die sich unabhängig vom Reallabor weiterentwickelt und verstetigt hat?
Initiator:innen waren drei Studierende, die sich unter dem Namen Parklets für Stuttgart zusammengetan haben. Sie hatten schon vor dem Start des Reallabors aus Eigeninitiative heraus begonnen, vor dem eigenen Haus oder vor der eigenen WG Parklets zu platzieren. Diese Studierenden haben ihre Aktion in den Ideen-Pool gegeben, der zu Anfang befüllt wurde. Die Idee wurde aufgegriffen und ein Seminar dazu entwickelt. Die drei waren dann als Studierende, aber gleichzeitig auch als Tutor:innen dabei. Das Startteam ist mittlerweile leider nicht mehr in Stuttgart. Aber dieses Projekt hat sich weiterentwickelt, weil andere Studierende, aber auch Akteur:innen von außen dazukamen. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um einen Verein handelt oder eine lose Gruppe, aber es hat sich aus dieser ursprünglichen Idee die Initiative Parking Day Stuttgart entwickelt, die nach wie vor besteht.
Im Grunde ist ein Reallabor ja eine Einrichtung, die langfristig angelegt sein sollte. Inwiefern das möglich ist, hängt aber von den Fördergeldern ab. Konnten sich – neben dem Parklet-Projekt – weitere Initiativen verstetigen bzw. den Anstoß für andere Projekte liefern, oder ist da vieles auch wieder verschwunden?
Einige Projekte gibt es nicht mehr, aber andere haben sich tatsächlich weiterentwickelt. Teils haben sich Leute auch zusammengetan und etwas Eigenes entwickelt, das auf unserer Website oft gar nicht mehr auftaucht. Zum Beispiel die Wanderbaumallee Stuttgart. Diese Initiative knüpft an die Parklet-Idee an, aber versucht, Orte und Parkflächen mit Stadtgrün aufzuwerten und nicht nur mit einer Sitzmöglichkeit oder Ähnlichem. Sie setzt sich für mehr Bäume, Natur, Pflanzen und Grün in der Stadt ein. Die Wanderbaumallee hat sich völlig unabhängig vom Reallabor aus ursprünglichen Projekten heraus entwickelt und existiert weiter. Ich selbst bin in der Initiative Stadtlücken aktiv, die zum Beispiel auch auf der Website auftaucht. Stadtlücken hat sich unabhängig vom Reallabor gegründet und existiert jetzt auch für sich selbst weiter. Es ist ein Stück weit eine Kunst in der Reallabor-Arbeit, Freiheit und Offenheit zuzulassen und zu sagen, etwas entwickelt sich natürlich weiter, anderes verschwindet wieder. Personen beispielsweise, die vor fünf Jahren noch im Studium waren, haben inzwischen in den Job gewechselt, eine Familie gegründet oder sind weggezogen. Dementsprechend entwickeln sich dann auch die Projekte weiter.
Ich glaube, das ist nichts, was man festhalten oder beeinflussen kann. Es muss einem im Vorhinein bewusst sein, dass da ein Wandel existiert. Da geht es einerseits auch um Geld, aber vor allem um einen wertschätzenden Austausch, für den es allerdings die personellen Ressourcen braucht. In unserem Reallabor war manchmal nicht die Möglichkeit da, alle Realexperimente weiter zu begleiten. Die finanziellen Mittel, die wir in der zweiten Förderphase zur Verfügung hatten, waren viel geringer als in der ersten Phase. Noch einen Workshop anzubieten, noch einen Austausch zu organisieren und noch ein Gespräch zu führen, war manchmal nicht mehr möglich. Dabei könnte man eigentlich ununterbrochen mit den Akteur:innen vor Ort sprechen. Das ist so ein bisschen wie ein schwarzes Loch. Die Arbeit geht nie aus. Da müssen alle Beteiligten auf sich aufpassen, weil es zu diesen Themen unglaublich viel zu tun gibt. Auf der ganzen Welt gibt es sehr viel umzugestalten im Moment. Das ist einerseits unglaublich schön und motivierend für alle, andererseits muss man immer wieder schauen, wo es Sinn macht und wo die Grenzen liegen. Wir in der Koordination haben es nicht immer geschafft, mit allen die Gespräche zu führen, die noch nötig gewesen wären. Wenn ich jetzt nochmal neu in ein Reallabor einsteigen oder eines planen würde, würde ich für den Austausch zwischen den einzelnen Parteien klar mehr Zeit einplanen.
Hanna Noller,
Katharina Anzengruber
(
2021):
„Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“.
Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber
. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten
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