„Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“

Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber

Sie haben es bereits angedeutet, ich würde hier gerne trotzdem explizit noch einmal nachfragen: Gab es auch Ideen, die nicht von Studierenden in Lehrveranstaltungen bzw. vom Projektteam entwickelt und angestoßen, sondern von außen herangetragen und umgesetzt wurden?

Auf jeden Fall. Es gab zum Beispiel die Mobilitätsschule. Der Gedanke dahinter ist, dass Jugendlichen schon im Fahrschulalter auch andere Mobilitätsarten vermittelt werden als nur der Führerschein fürs Auto oder Motorrad. Diese Idee wurde von einer zivilgesellschaftlichen Akteurin, einer ehemaligen Fahrschullehrerin, bereits ganz zu Beginn ins Reallabor getragen, wurde aufgegriffen, weiterentwickelt und existiert nach wie vor. Ebenso die Plusrad App, für die sich ein Akteur im Rahmen des Reallabors eingesetzt hat. Aber gerade bei solch großen Projekten stellt sich für jemanden, der eigentlich hauptberuflich einen anderen Job hat, früher oder später immer die Frage: „Wie viel kann ich einbringen? Und ab wann will ich Ideen vielleicht auch nicht mehr kostenlos mit allen teilen?“

Das verstehe ich sehr gut. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich fragt „Soll ich das weiterhin alles mehr oder weniger unentgeltlich machen?“ Und oft geht es wahrscheinlich gar nicht in erster Linie darum, aber ohne gute Einbettung etwas voranzutreiben, das überschreitet die Ressourcen irgendwann … Da braucht es wohl auch viel Gespür seitens des Projektteams?

So ist es. In der zweiten Förderphase zum Beispiel machten wir einen Workshop, zu dem wir Studierende und Zivilgesellschaft einluden. In dieser Konstellation wurden gemeinsam Ideen diskutiert und entwickelt; es bildeten sich in diesen Prozessen automatisch Teams, die auch gemischt waren. Dann gründeten wir eine Jury, bestehend aus uns Initiator:innen, aber auch aus Menschen aus Stadtverwaltung, Uni, Kunst, Kultur und Theater. Es wurden drei Projekte ausgewählt, wobei ein Projektteam nur aus Studierenden bestand, die beiden anderen waren gemischt. Da waren also schon Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft dabei, die sich allerdings entsprechend weniger eingebracht haben als die Studierenden, die dafür ihre ECTS-Punkte erhielten und dementsprechend darauf achteten, ihr Projekt auch zu Ende zu bringen oder weiterzuentwickeln. Diese Zusammenarbeit funktionierte gut. Für uns war das Involviert-Sein der Studierenden daher immer schon so ein bisschen die Garantie, dass sich die Projekte auch wirklich weiterentwickelten. Dazu kann man ja niemanden zwingen ‑ und das will man ja auch nicht.

Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die Sie als an der Universität beschäftigte Wissenschaftler:innen eingenommen haben? Neben der Koordination war Ihre Aufgabe ja auch die wissenschaftliche Begleitung. Wie kann man sich diese vorstellen?

Mein persönlicher Aufgabenbereich war, wie gesagt, ein Stück die Koordination innerhalb der Institute. Darüber hinaus entwickelten wir am Städtebau-Institut Lehrformate, um die Studierenden einzuladen, Teil des Projekts zu werden. Dann entwickelten wir noch verschiedene Workshops. Wir unterstützten die Studierenden bei der Ausarbeitung ihrer Ideen, aber auch bei deren Umsetzung. Wir waren also von der Metaebene der Idee, in welche Richtung das Projekt gehen soll, bis hin zur Eins-zu-Eins-Umsetzung dabei. Dass mein Kollege und ich zufällig auch Schreiner sind und deshalb auch wirklich bei der Umsetzung vor Ort noch helfen konnten, war von Vorteil. Aber diese vielen Tätigkeiten waren schon immer wieder auch eine Herausforderung: der Austausch mit der Stadtverwaltung, das Einholen von Genehmigungen, Versicherungsfragen und daneben aber auch die Umsetzung und die wissenschaftliche Begleitung. Die Fragen: Wo wollen wir hin? Welche Frage stellen wir hier eigentlich gerade an die Stadt und an das Experiment? Das war schon viel. In der wissenschaftlichen Begleitung hatten wir aber zum Glück Unterstützung aus der Sozialwissenschaft. Die Experimente zu evaluieren und auszuwerten war dann beispielsweise nicht meine Aufgabe.

Auch mit Blick auf unser Projekt Räume kultureller Demokratie würde ich gerne bei der wissenschaftlichen Begleitung bleiben: Worin bestanden die Forschungsfragen in Ihrem Reallabor? Was waren die besonderen Forschungsinteressen im Projekt?

Naja, unsere Studierenden, die alle aus der Architektur und Stadtplanung kommen, und ich als Architektin und Stadtplanerin haben uns natürlich stark für räumliche Veränderungen interessiert. Wie könnte der städtische Raum anders gestaltet sein? Dieser Frage in der Praxis auf den Grund zu gehen, sozusagen die Veränderung des Stadtraums im Eins-zu-Eins-Maßstab auszutesten, wenn auch beispielsweise nur für sechs Wochen oder auch nur punktuell, das war für uns sehr spannend. Eine weitere Frage, die wir uns beispielsweise im StadtRegal-Projekt gestellt haben, war die nach sozialer Gerechtigkeit und danach, ob es sie überhaupt gibt. Im Rahmen dieses Projektes haben sich an einem Punkt eine offene Küche, aber auch ein Schlafplatz und ein Lastenrad-Verleih gebildet. Das hatte die Begegnung unterschiedlichster Menschen zur Folge. In diesem Stadtraum entwickelte sich dadurch eine sehr bunte, teilweise auch explosive, aber sehr dynamische Stimmung. Das war sehr interessant zu beobachten. Diese Prozesse wurden wiederum von den Studierenden, aber mit der Betreuung aus der Sozialwissenschaft, evaluiert, beobachtet und ausgewertet. Konkret wurde gefragt: Welche Begegnungen haben dort wann und wie stattgefunden? Wie hat dieses Projekt den Raum beeinflusst, in der Zeit, in der es umgesetzt wurde?

Hanna Noller, Katharina Anzengruber ( 2021): „Es braucht die Zeit, um über Wertschätzung, Anerkennung und Verantwortung zu sprechen.“. Zentrale Aspekte und Herausforderungen in der Reallabor-Arbeit.
Hanna Noller im Gespräch mit Katharina Anzengruber . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/es-braucht-die-zeit-um-ueber-wertschaetzung-anerkennung-und-verantwortung-zu-sprechen/