„Es braucht öffentliche Räume, in denen Neues erdacht werden kann!“

Das Konzept der Zukunftswerkstätten
Ein Interview mit Hans Holzinger und Walter Spielmann

Elke Zobl: Seht ihr bei den Teilnehmer*innen von Zukunftswerkstätten Veränderungen in Bezug darauf, wie die Gesellschaft wahrgenommen wird? Gibt es jetzt andere Ideen als etwa vor 15-20 Jahren?

Walter Spielmann: Ich habe es zumindest so in Erinnerung, dass zu der Zeit, als ich selbst noch jünger war, die Fragen revolutionärer, mutiger oder auch, anders gesagt, utopischer, radikaler gestellt wurden. Da ist es wirklich darum gegangen, das System grundsätzlich in Frage zu stellen. Wir wollten was ganz anderes auf die Füße stellen. Aber auf der anderen Seite finde ich es auch reizvoll und kann es durchaus nachvollziehen, dass heute insgesamt viel konkreter und realistischer an tatsächlich möglichen Veränderungen gearbeitet wird.

Elke Zobl: Wir haben in den Workshops in den Schulen stark beobachtet, dass das neoliberale Denken auch auf Institutionen wie die Schule sehr stark durchschlägt. Der Leistungsdruck, Zentral-Matura und diese ganzen Dinge haben meiner Wahrnehmung nach doch sehr zugenommen. Wir haben teilweise sehr erschütternd erlebt, wie stark der Druck auf die Jugendlichen wirkt. Wie ist das in euren Zukunftswerkstätten?

Hans Holzinger: Ich kann das bestätigen. Wie die Menschen denken, ist geprägt von den öffentlichen Diskursen. Zum einen gibt es eine starke Wirtschaftsgläubigkeit, zum anderen eine starke Abwertung des Politischen, Öffentlichen und Staatlichen. Eines meiner Hauptanliegen ist geworden, da wieder gegenzusteuern und zu einer Repolitisierung beitragen. Der permanente Selbstoptimierungszwang ist zu hinterfragen: Wenn ich in Workshops Jugendliche, aber auch Erwachsene befrage, wie sie glauben, dass die Zukunft wird, ist das Bild der Antworten immer das gleiche: „Meine persönliche Zukunft wird besser, die der Welt oder auch die meines Landes wird schlechter.“ Beruhigend daran ist das offensichtlich noch vorhandene Gefühl von Selbstwirksamkeit, problematisch jedoch das völlige Fehlen von positiven Zukunftsbildern für die Gesellschaft insgesamt oder gar die Welt. Da muss Politische Bildung ansetzen.

Laila Huber: Und seht ihr die Methode der Zukunftswerkstatt als Intervention, oder vielleicht eher die Ergebnisse von Zukunftswerkstätten als mögliche Interventionen? Der Interventionsbegriff hat uns in unserem Projekt stark beschäftigt, und es würde uns interessieren, ob ihr auch mit diesem Begriff arbeitet oder was ihr dazu denkt.

Hans Holzinger: Mehr Menschen haben mehr Ideen, Erfahrungen, Hintergründe, und das ist aus meiner Sicht die Hauptintervention. Dass dieses Erfahrungswissen der Betroffenen dann genutzt wird.

Walter Spielmann: Ich glaube schon, dass die Methode selbst darauf abzielt, in die bestehenden politischen Strukturen etwas Neues, eine neue Perspektive einzubringen, oder neue Ideen einzuspeisen.

Laila Huber: Uns geht es um eingreifendes Handeln und um die Frage, mit welchen Mitteln. Die künstlerischen und kulturellen Mittel und die Zukunftswerkstatt sind beide eine Methode des gesellschaftlichen Eingreifens.

Walter Spielmann: Das künstlerische Moment war in der Grundkonzeption der Zukunftswerkstatt ein ganz zentrales Element. Man wollte Denkräume öffnen, indem mit künstlerischen Mitteln ‑ durch Malen, Zeichnen, Pantomime, Theaterspiel, auch Hinausgehen in den öffentlichen Raum ‑ Ideen spontan kreiert werden, spontane neue Perspektiven sich für den Prozess ergeben. Ursprünglich war jede Zukunftswerkstatt für mindestens eineinhalb Tage angesetzt. Es gab auch Experimente und Langformen, die bis zu einer Woche gedauert haben, auch mit künstlerischen Mitteln. Es wurden auch Künstler*innen eingeladen, um Impulse zu geben. Das alles ist in der Praxis, wie wir sie erleben, überholt, weil die Menschen sich offensichtlich nicht mehr so lange Zeit nehmen, die Zukunftswerkstatt ist heute sehr komprimiert.

Hans Holzinger: Das Spannende ist, dass man in jeder Gruppe Leute hat, die doch den Mut haben, was ganz anders zu sagen. Es gibt ja das TINA-Syndrom ‑ „There Is No Alternative“, das Magret Thatcher geprägt hat in Bezug auf das Wirtschaftssystem. Aber es gibt immer Alternativen. Wir brauchen Regelbrecher*innen im positiven Sinne, nicht was jetzt Gesetze anbelangt, aber um Konventionen und Routinen aufzubrechen. Zukunftswerkstätten sind ein offener Raum für solche Prozesse.

Elke Zobl, Laila Huber ( 2016): „Es braucht öffentliche Räume, in denen Neues erdacht werden kann!“. Das Konzept der Zukunftswerkstätten Ein Interview mit Hans Holzinger und Walter Spielmann . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/es-braucht-offentliche-raume-in-denen-neues-erdacht-werden-kann/