Es braucht Quoten, weil sich sonst nichts ändern wird

Gin Müller im Gespräch mit Elisabeth Bernroitner

“Ich habe den Eindruck, dass identitätspolitische Diskussionen zum Teil sehr akademische Diskussionen sind (…).”

Genau. Und Fragen nach Klasse bzw. sozialen Herkünften erhöhen die Komplexität der Diskussion noch weiter.

Ja. Ich habe den Eindruck, dass identitätspolitische Diskussionen zum Teil sehr akademische Diskussionen sind – das sehe ich auch selbstkritisch. In meinen Projekten ist es jedes Mal ein Ringen, zu schauen, wer beteiligt ist und was das heißt. Es fallen einem oft sehr schnell Namen ein, aber es ist notwendig, sich für mehr Diversität zu öffnen und für sich selbst zu überprüfen, wie das Team zusammengesetzt ist. Wie gesagt, ich versuche auf meine eigenen Projekte einen Quotenblick zu richten, weil man sich sehr oft dabei erwischt, in alte Fallen zu tappen. Es ist grundsätzlich nicht schlecht, mit Leuten, mit denen man vorher zusammengearbeitet hat, wieder zusammenzuarbeiten. Aber es macht den Blick auch enger. Und diesen immer wieder zu öffnen, das ist die Herausforderung. Wenngleich ich selbstkritisch anmerken muss, dass ich selbst diesbezüglich in gewissen Arbeitskontexten immer wieder scheitere …

Meine Projekte sind sehr unterschiedlich und zu verschiedenen Themen und haben zum Teil auch mit verschiedenen Ländern zu tun. Ich habe zum Beispiel viel mit Mexikaner:innen zusammengearbeitet, weil ich sehr lange in Mexiko war. Bei einem Projekt in Zusammenarbeit mit vielen Exil-Iraner:innen hatte ich einen Iran-Fokus, bei einem anderen Projekt mit dem Titel “the que_ring drama project ” habe ich mit ganz vielen verschiedenen Künstler:innen, Studenten:innen, Geflüchteten gearbeitet. Da gab es durchaus auch identitätspolitische – zum Teil auch sehr harte – Diskussionen, die aber notwendig waren. Wir hatten in diesem Projekt ein dramaturgisches Setting geöffnet, in dem die Gruppen auch Autonomie hatten. Wir mussten uns daher damit auseinandersetzen, was genau diese Zusammenarbeit bedeutet und bis zu welchem Zeitpunkt im Erarbeitungsprozess der Performances, Kritik möglich ist und wo ich und wir als Projektleitungsteam eingreifen können. Es haben eben auch nicht alle dasselbe Wissen um Diversität oder Gender-Thematiken oder eben Identitätspolitiken. Ich finde, die Teilhabe an diesen Diskussionen ist notwendig, und bin auch der Meinung, dass diese Inhalte in gewisser Weise aufbereitet werden sollten. Da kommt dann auch oft die Klassenfrage ins Spiel.

Circus Sodomelli, 2021 © Gin Müller

Circus Sodomelli, 2021 © Gin Müller

„Wer spricht? Wer nimmt sich den Raum? Wer betritt den Raum?”

Aus der Perspektive einer Person, die mit ihren Projekten in Kulturinstitutionen geht und kooperiert: Welche Maßnahmen sind notwendig, um diese Häuser und Institutionen gerechter und diverser werden zu lassen? Wo muss kulturpolitisch Veränderung stattfinden?

Ich glaube, dass es Quoten braucht, weil sich sonst nichts ändern wird. Es hat sich auch in der Genderpolitik gezeigt, dass sich ohne Quoten nichts ändert. Und das trifft auch auf die Diversitätspolitik zu. Ich denke, dass Fokus- und Arbeitsgruppen zu Diversität in Kulturinstitutionen mögliche Wege und Mittel wären, um weitere Perspektiven einzubringen. Wenn es so etwas wie eine verordnete Diversitäts-Quote gäbe, würden vielleicht auch Diversitätsgruppen entstehen, die diese Themen implementieren und diskutieren könnten. Die Mitarbeiter:innen dieser Institutionen müssen natürlich auch mitgenommen werden, denn Diversität kann nicht einfach nur von oben herab implementiert werden. Ein Gesprächsprozess und Schulungsmaßnahmen oder Workshops sind notwendig, um zu erklären, worum es bei dem Thema Diversität geht und welche Gesellschaftskonzepte dahinterstehen. Oft stellen sich in Hinblick auf die Belegschaft Fragen von Solidarität und in Institutionen die Frage von gewachsenen Hierarchien. Theater ist nach wie vor eine der hierarchischsten Institutionen schlechthin. Ich glaube, das hat etwas mit Arbeitskonzepten zu tun. Ich glaube aber nicht, dass sogenannte „flache Hierarchien“ automatisch weniger hierarchisch sind, sondern dass sie oft verdeckt hierarchisch sind. Wichtig ist eine gute Diskussionskultur, Rücksichtnahme und eine immer wiederkehrende Reflektion: Wer spricht? Wer nimmt sich den Raum? Wer betritt den Raum?

Gin Müller, Elisabeth Bernroitner ( 2022): Es braucht Quoten, weil sich sonst nichts ändern wird. Gin Müller im Gespräch mit Elisabeth Bernroitner. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/es-braucht-quoten/