Es braucht Quoten, weil sich sonst nichts ändern wird

Gin Müller im Gespräch mit Elisabeth Bernroitner

„Ich bin der Meinung, dass man den Kunstbegriff immer wieder in Frage stellen muss- und zwar genau an der Schnittstelle von Kunst und Sozialarbeit.“

Wenn wir über die Verantwortungsebene der Häuser selbst hinausblicken, auf die Ebene der Kulturpolitik: Was hältst du von Maßnahmen wie diversitätsorientierten Förderkriterien, also den Nachweis von Fortschritten im Bereich der Diversifizierung als Voraussetzung für Fördergelder? In Deutschland und der Schweiz gibt es Förderprogramme, die Institutionen in ihren Diversifizerungsbemühungen finanziell unterstützen, z.B. durch eine zusätzliche Personalstelle mit Fokus Diversität.

Ich würde das unterstützen, weil alles, was Diversität noch tiefer implementiert, hilfreich ist. Es braucht zuallererst oft eine Analyse bzw. einen Blick von außen bei gleichzeitiger Reflexion nach innen, um zu sehen, wo man schrauben kann und sich öffnen kann, um Veränderung zu initiieren. Was die Kulturpolitik betrifft, braucht es auch einen Blick in Richtung Publikum, weil auch dieses meist nicht sehr divers ist. Gerade wenn man an Theaterhäuser und große Institutionen denkt, sitzt oftmals ein „Silbermeer“ im Zuschauerraum – gutbürgerliche weiße Pensionisten und Pensionistinnen, die sich die Karten leisten können. Auch diese auf der Bühne mit Diversität zu konfrontieren, finde ich sehr gut, ich denke aber trotzdem – und es wird auch schon dran gearbeitet –, dass es eine Publikumsänderung braucht. Da hat es die Musik einfacher als das Theater. Die österreichische und Wiener Kultur des „Bühnendeutsch“, also der „schönen“ deutschen Sprache, habe ich schon vor zehn Jahren für falsch gehalten. Was soll das? Das geht heutzutage nicht mehr. Wir benötigen heutzutage andere Vermittlungskriterien und -ebenen als jemandem das schöne “Bühnendeutsch” beizubringen.

Schandwache beim Lueger Denkmal 2020 © Gin Müller

Schandwache beim Lueger Denkmal 2020 © Gin Müller

Diskussionen und Aktivitäten, um diversere und breitere Publika zu generieren, werden im Bereich des Audience Development und des Outreach verankert – anstatt einen Inreach, also Veränderungen im Inneren der Institutionen, zu initiieren. Dabei würden diversere Teams auch ein anderes, multiperspektivischeres Programm produzieren, welches andere und neue Publikumsgruppen interessieren würde.

Ich finde, dass Begriffe wie Diversität, aber auch Gender und Class leider zu Labels geworden sind, die „schnell mal draufgepackt“ werden bzw. viel Diversity Washing passiert, weil Diversity heutzutage wichtig ist und überall vorkommen muss. Oft steckt aber extrem wenig dahinter, sowohl auf der Ebene institutioneller Strukturen als auch im Bereich des Publikums. Wobei ich schon sagen würde, dass die Wiener Festwochen eine größere Diversität im Publikum haben als das Burgtheater oder das Theater in der Josefstadt.

Auf jeden Fall, wobei Internationalität nicht dasselbe ist wie Diversität. Die große Frage im Publikumsbereich entzündet sich vor allem am Thema Klassismus.

Das stimmt. Teilweise ist das „diverse“ Publikum in den verschiedenen Einrichtungen ein sehr ähnliches Publikum – oft sind es eher privilegiertere Personen, die den Identitätsdiskurs schon begriffen haben.

Gin Müller, Elisabeth Bernroitner ( 2022): Es braucht Quoten, weil sich sonst nichts ändern wird. Gin Müller im Gespräch mit Elisabeth Bernroitner. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/es-braucht-quoten/