„Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!“

Ein Interview mit Marty Huber, Steffi Müller und Klaus Dietl

Laila Huber: Da geht es also um die Frage der Nachhaltigkeit. Ist es so gemeint, dass du in deiner Praxis an Prozessen mit verschiedenen Leuten über mehrere Jahre zusammenarbeitest oder dass sich bei Menschen etwas tut und sich das vielleicht erst nach längerer Zeit auswirkt? Welche Rolle nimmt ein temporäres Projekt im Vergleich zu einem längerfristigen Projekt in deiner Praxis ein und welche Bedeutung hat das jeweils?

Steffi Müller: Beides. Manchmal gibt es Projekte, bei denen es einfach dauert, oder es sich zieht, wo es eine gewisse Zeit braucht, bis es sich setzt. Manchmal sind Projekte auch räumlich weit verteilt, dass sie nur eine Chance haben, wenn man ihnen auch genug Zeit gibt. Und andererseits müssen sich die Dinge setzen können, um dann etwas anzukurbeln. Das Gerade mit jüngeren Menschen habe ich oft erlebt, dass nach vier, fünf Jahren plötzlich wieder ein Kontakt zustande kommt und etwas aufgegriffen wird, was in einem Workshop oder in einem längeren Projekt Thema war. Das ist oft überraschend, aber ich finde es schön, dass da Fragmente hängen geblieben sind. Ich kenne das auch von mir selbst, dass dann viel später etwas angekurbelt wird. Ich finde, dass manche Dinge Zeit brauchen. Im Kunstkontext erlebe ich oft, dass die Erwartungshaltungen so sind: Du lernst eine neue Gruppe im Januar kennen und im März soll sich diese Gruppe super gut verstehen und gemeinsam eine riesige Skulptur hinklatschen. Das ist gar nicht meins.

Marty Huber: Ich möchte noch einmal zurückkommen auf die Frage von Intervention und Zeit oder langfristig und ad hoc. Ich bin zum Teil in sehr langfristigen Prozessen involviert, zum Beispiel feiere ich gerade 20 Jahre Aktivismus in der Türkis-Rosa-Lilla-Villa, da bin ich quasi eine der Ältesten. Es geht dabei auch um Wissenshierarchien, Geschichte, Historizität, Erfahrungen und neue Generationen. In der Villa sind schon mehrere aktivistische Generationen, das ist das eine. Dann geht es auch um Sichtbarkeitsfragen oder Methoden der politischen Intervention des Hauses, das ja auch sehr stark in den öffentlichen Raum hineinwirkt. Das hat wiederum mit der Ressource dieses langen Seins und auch der dadurch behaupteten Macht zu tun. Im Gegensatz dazu funktionieren Formen wie das Ladyfest oder andere DIY-Organisationen, die sich ad hoc als Kollektiv zusammentun, um dann für einen Festivaltag, oder für einige Tage etwas zu verschieben, strukturell anders. Diese spontanen Formen sind auch ganz wichtig, um Querverbindungen zu schaffen zwischen Menschen, die ähnliche Interessen haben, aber sonst vielleicht nicht zusammen arbeiten würden. Und dann gibt es die anderen, die langfristige Räume schaffen, wo auch viel an Selbstorganisationen etc. passiert.

Laila Huber: Ist das Längerfristige für dich auch stärker an das Aktivistische gebunden, und das spontane ad hoc Intervenieren stärker performativ-künstlerisch? Oder würdest du es gar nicht so trennen?

Marty Huber: An und für sich gibt es eine reichhaltige Kulturarbeitsszene: Wie etwa FS1 oder die Radiofabrik in Salzburg, das sind medienaktivistische Kontexte; oder die ARGE Kultur da gab es auch Besetzungen vor 20-30 Jahren. Bei der Professionalisierung solcher Räume stellt sich dann immer die Frage: Wo gibt es noch kritisches Potenzial? Ich kann das auch aus 20 Jahren Villa sagen: Das geht mal so und dann wieder so. Es gibt dann Phasen in der Kunst, die sind einfach nur schnöde. Da ist so wenig an Kritik vorhanden, da zeichnen alle Selbstportraits. Das sage ich jetzt einfach so.

Laila Huber: Steffi und Klaus, wie seht ihr diese Frage der künstlerischen Praxis und nach dem Wechselspiel zum Aktivistischen oder aktivistischen Netzwerken? Soviel ich weiß, seid ihr in München und auch darüber hinaus sehr stark vernetzt. Wie steht für euch die künstlerische Praxis in Bezug zu aktivistischen Praxen? Welche Rolle spielt das Wechselspiel zwischen dem Künstlerischen und dem Politischen für euch?

Steffi Müller: In Bezug auf München erlebe ich mit, dass beide Stränge extrem wichtig sind. Wenn es keine Szene oder keine aktivistischen Strukturen gäbe, die diesen roten Faden vorantreiben, dann hätte vieles andere keine Chance. Das ist oft auch der Nährboden, damit die Stadtpolitik überhaupt nur einen geringen Funken Verständnis für andere Formen von Öffentlichkeit mitbringt. Das ist ein langer Kampf, deswegen schätze ich das selber total und deswegen vermischt es sich bei mir: Ich kann oft gar nicht sagen, ist das jetzt künstlerisch oder aktivistisch? Für mich ist es alles, und für mich gehört es auch zusammen. Denn wenn ich kommunizieren will, dann kann ich keines von beiden ausklammern.

Veronika Aqra: Du versuchst also, diese Wissensvorsprünge wegzulassen und antihierarchisch an deine Projekte heranzugehen. Ist das auch ein Versuch, die Machtbeziehungen, die es normalerweise gibt, zu dekonstruieren oder ihnen entgegenzuwirken?

Steffi Müller: Ja, das macht schon Spaß. Ich erinnere mich z.B. an einen Workshop, wo ganz junge SchülerInnen dabei waren, und ich war selber noch total jung, gerade mal 20. Die Jugendlichen hatten Lust, sich erst mal ein Oberteil oder so zu nähen. Ich hingegen war voller aktivistischer Ansprüche und dachte: „Nein, die müssen irgendetwas total Dekonstruiertes machen, das gar nichts Wirkliches mehr ist.“ Da habe ich von den SchülerInnen gelernt, dass ich sie erst mal lassen muss. Und wenn sie das gemacht haben, dann gibt es auch die Offenheit, etwas anderes entdecken zu wollen. Diese Lockerheit habe ich selbst auch erst erlernen müssen.

Elke Zobl, Laila Huber, Veronika Aqra ( 2016): „Es geht darum, Möglichkeitsräume zu öffnen!“. Ein Interview mit Marty Huber, Steffi Müller und Klaus Dietl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/es-geht-darum-moglichkeitsraume-zu-offnen/