„Es ist an der Zeit, zu schauen, was unabhängig von Staat oder Institutionen möglich ist.“

Marissa Lôbo und Catrin Seefranz im Interview mit Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme.

Diversität ist – gerade auch in Salzburg – ein wichtiges Thema für Kunst- und Kulturbetriebe. Was sagt ihr zu diesem Trend?

Catrin Seefranz: Initiativen, die sich der Diversifizierung verschreiben, richten sich vorwiegend an das Publikum und möchten den eigenen institutionellen Körper nicht verändern. Da stößt man schnell an eine Grenze. Wie oft ist das maiz passiert? Es wird von einer Institution ein kritisches Projekt entwickelt, zu dem dann, wenn das Konzept schon fertig ist, Repräsentant_innen eingeladen werden, um das Andere zu verkörpern. Sara Ahmed (2012) schreibt in ihrem großartigen Buch On Being Included,star (*1) das unsere Arbeit sehr inspiriert hat, dass sich die Institution immer als Gastgeberin sieht, die sich interessante Gäste einlädt und bald wieder verabschiedet, sowie dass man aus dieser Logik schwer herauskommt. Zurück bleiben Bilder des „happy tanned face of diversity“ und ein Pluralitätsbonus für die Institution. Wir versuchen mit unseren Fellowships da ein wenig gegenzusteuern, zumindest exemplarisch. Wenn man sich diese Arbeit mit den Institutionen überhaupt antut, dann geht es schließlich auch darum, dass sich der institutionelle Körper verändert, dass dort andere Leute, etwa Migrant_innen arbeiten, einen fixen Arbeitsvertrag haben und ihre Positionen sichern können. Das ist etwas, das nicht passiert.

Marissa Lôbo: Wenn wir schon über Praxis reden, dann stellt sich auch die Frage nach Affirmative Action bzw. Quoten. In Brasilien war das extrem wichtig. Ich hatte vor einigen Jahren die Utopie, das in der Akademie der Bildenden Künste zu denken, weil ich auch Teil von einigen Gruppen wie etwa der Gleichbehandlungsstelle war. In meinem Kopf schwirrte ständig der Gedanke, dass wir endlich mit der Diskussion aufhören und etwas Konkretes implementieren müssen. Es muss wirklich Quoten geben, aber es ist die Frage, wie das vonstattengeht. Was sind die Kriterien? Dafür brauchen wir leider zehn Jahre Diskussion. Ich war sauer, weil wir uns nur auf dieser diskursiven Ebene bewegt haben und bin dann aus der Diskussion ausgestiegen.

Catrin Seefranz: Das hat sich nicht einmal bei der so genannten Frauenpolitik durchgesetzt. Ich bin grundsätzlich für Quoten, aber ich halte es für komplett unrealistisch. Ich glaube, wir können in 80 Jahren noch diskutieren, dass es in Österreich für Minoritäten irgendwelche Quoten gibt.

Also macht niemand auf, ohne dass es Quoten gibt?

Marissa Lôbo: So ist es. Es ist klar, dass diskutiert werden muss. Wir leben aber in dieser legalistischen Gesellschaft und auf dieser Ebene muss die Diskussion stattfinden. Zum Beispiel hat Affirmative Action in Brasilien einerseits super funktioniert, andererseits auch nicht. Man dachte nur daran, dass die Leute Zugang zur Universität haben. Letztendlich hat sich aber auch etwas bewegt und ich finde, wir lernen von Fehlern. Es ist besser, ein klares Konzept zu haben, wie wir in das System eingreifen wollen, vor allem bei den Universitäten. Etwas wie eine Betriebsvereinbarung ist ein gutes Beispiel. Die Universitäten sind sehr offen, aber leider funktioniert gar nichts ohne diese legalistische Diskussion. Ich bin auch dafür, den Wissensort allgemein zu dezentralisieren, aber das ist ein Projekt für tausende Jahre. Die Night School (s. Akarçeşme 2017)star (*2) im Rahmen der Wiener Festwochen war ein gutes Beispiel, aber das hat nur temporär stattgefunden und es war unabhängig. Die Idee war, so etwas außerhalb von Institutionen bzw. außerhalb des Akademischen zu machen, auch als Kritik an der hegemonialen Wissensproduktion.

Catrin Seefranz: Ich zitiere hier nochmal Sara Ahmed.star (*1) Sie findet ja, dass Diversitätspläne und Vereinbarungen nur dazu dienen, dass die Institution performt, wie divers sie eigentlich schon ist. Ich denke, dass das eine wichtige Kritik ist, aber ich glaube trotzdem, dass es nicht immer so sein muss.

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Ahmed, Sara. 2012. On being included: Racism and Diversity in Institutional Life. Durham: Duke University Press.

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Akarçeşme, Dilara. 2017. Die ‚Night School‘ bei den Wiener Festwochen 2017. Raum für Verhandlung und Produktion dekolonialisierten Wissens und Denkens in ‚weißen‘ Kontexten. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #08. Online unter https://www.p-art-icipate.net/die-night-school-bei-den-wiener-festwochen-2017/ 

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maiz. o.J. maiz ist… Abgerufen von https://www.maiz.at/maiz/maiz-ist am 08.03.2019

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kültüř gemma! o.J. Projekt. Abgerufen von http://www.kueltuergemma.at/de/startpage/ am 08.03.2019

maiz ist ein unabhängiger Verein von und für Migrantinnen mit dem Ziel, die Lebens- und Arbeitssituation von Migrantinnen in Österreich zu verbessern, ihre politische und kulturelle Partizipation zu fördern sowie eine Veränderung der bestehenden, ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse zu bewirken. (vgl. https://www.maiz.at/maiz/maiz-ist )

Die damals neue ÖVP-FPÖ-Regierung ist mittlerweile bereits nicht mehr im Amt.

Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme, Marissa Lôbo, Catrin Seefranz ( 2019): „Es ist an der Zeit, zu schauen, was unabhängig von Staat oder Institutionen möglich ist.“. Marissa Lôbo und Catrin Seefranz im Interview mit Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/es-ist-an-der-zeit-zu-schauen-was-unabhaengig-von-der-macht-des-staates-oder-von-institutionen-moeglich-ist/