Experimentansätze aus dem Reallabor: Über das Potenzial, spielerisch zu einer Kultur der Nachhaltigkeit zu inspirieren

Ein Bericht aus der Praxis

Vom Experimentieren und Kulturschaffen

In einem Reallabor finden also Experimente statt, um Verhaltensweisen zu hinterfragen und zu neuen Lebenspraktiken zu inspirieren. Es geht darum, zu reflektieren, sich zu informieren, das Gelernte direkt umzusetzen und sich darüber auszutauschen. Die Experimente sind dabei bewusst spielerisch angelegt und ‚scheitern‘ ist erlaubt. Das Ziel ist demnach nicht, sofort ein perfektes nachhaltiges Leben zu leben, sondern auszuprobieren, zu reflektieren und im Zweifel auch wieder zurückzukehren zu alten Verhaltensmustern. Ansatzpunkte, den eigenen Alltag nachhaltiger zu gestalten, gibt es viele und es darf ausprobiert werden, womit man sich wohlfühlt. Das Experimentieren soll Spaß machen und Gemeinschaft stiften, denn Nachhaltigkeit kann am Ende nur gemeinsam umgesetzt werden: Zusammen ergeben wir Gesellschaft und Gesellschaft braucht Kultur. Unter Kultur ist hier die Art gemeint, wie wir zusammenleben, welche Sprache und Bilder wir verwenden, um zu kommunizieren, wie wir miteinander und mit unserer Umwelt umgehen. Kultur ist Denken und Handeln. Und genau darum geht es in Realexperimenten: zum Nachdenken anzuregen, zum Handeln zu inspirieren und einer Kultur der Nachhaltigkeit ein Stück näher zu kommen.

Das Projekt Quartier Zukunft – Labor Stadt

Das Projekt Quartier Zukunft – Labor Stadt ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt, das in der Karlsruher Oststadt und mit den dort lebenden Menschen gemeinsam eine nachhaltige Gegenwart und Zukunft gestalten will. Die zentrale Frage hierbei ist: Wie können wir heute und morgen in der Stadt gut leben – und dabei Mitwelt, Umwelt und Nachwelt achten?

Bestehendes soll dabei integriert und nicht alles komplett neu erschaffen werden. Vielmehr geht es um eine Umgestaltung, gemeinsam mit Bürgerschaft, Wissenschaft, Politik und Privatwirtschaft. Innerhalb bestehender Baustrukturen entstehen somit Möglichkeitsräume für neue Ideen, Handlungsweisen und Begegnungen (Quartier Zukunft (Hrsg.) et al. 2020).star (*11)

Um solche Veränderungsprozesse sicht- und erfahrbar zu machen und Wechselwirkungen zwischen ihnen entstehen zu lassen und zu beobachten, ist ein abgrenzbarer Bezugsraum hilfreich. Dies ist einer der Gründe, weshalb für das Reallabor Quartier Zukunft ein Stadtquartier als Experimentierraum ausgewählt wurde. Innerhalb dieser bereits bestehenden Rahmung kann dichte Nachhaltigkeit entstehen und gemeinschaftlich an Gegenwart und Zukunft gearbeitet werden. (Vgl. das Interview mit Oliver Parodi in dieser eJournal-Ausgabe)

Verschiedene Experimentansätze und ihre Eigenschaften

Im Quartier Zukunft – Labor Stadt wurden in den letzten Jahren verschiedene Experimentansätze erprobt. Diese werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.

A) Dein NachhaltigkeitsExperiment: Experimente zu Gemeinschaft und Entschleunigung entwickeln und umsetzen

Gemeinsam mit der Karlsruher Bürgerstiftung wurde 2016 das Experimentformat Dein NachhaltigkeitsExperiment geplant. In einem Wettbewerb wurden Ideen zur Förderung von Gemeinschaft und Entschleunigung in der Karlsruher Oststadt gesucht. Die Bürgerstiftung stellte dabei einen Großteil des Preisgeldes zur Verfügung und war an der Auswahljury beteiligt. Das Format gliederte sich in eine Wettbewerbs- und Bewerbungsphase, eine Auswahlphase und die daran anschließende Experimentierphase, in der insgesamt vier geförderte Experimente umgesetzt wurden. Voraussetzungen für die Bewerbung waren, dass die Experimente auf einen Zeitraum von neun Monaten ausgelegt waren und dass sie jeweils von Gruppen, bestehend aus mindestens drei Personen, durchgeführt wurden. Nach einem öffentlichen Kick-off-Treffen, wo alle eingesendeten Ideen ausgestellt und die Gewinner:innenprojekte im Detail vorgestellt wurden, fand mit den Preisträger:innen eine Konkretisierung ihrer Ideen statt. Dabei wurden die Experimentkonzepte finalisiert, erste Veranstaltungen geplant und weitere Mitstreiter:innen gewonnen. Zeitgleich wurde das begleitende Forschungsdesign durch das Quartier Zukunft-Team finalisiert (Quartier Zukunft (Hrsg.) et al. 2020).star (*11)

Die Intention des Wettbewerbes war, dass zivilgesellschaftliche Gruppen Angebote für die Gesellschaft des Stadtteils entwickeln sollten, die nachhaltiges Handeln erleb- und erfahrbar machen. An Dein NachhaltigkeitsExperiment waren drei verschiedene Gruppen beteiligt:

1) das Team, das den Wettbewerb organisierte

2) die Gruppen, die Ideen erarbeiteten und sich beworben hatten (im Folgenden auch Experimentierende genannt)

und 3) die Menschen, die mit dem Angebot im nächsten Schritt erreicht werden sollten (im Folgenden Teilnehmer:innen genannt).

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Albiez, Marius (2021): Quartier Zukunft – Labor Stadt: Methoden im Reallabor I & II. Inputs im Rahmen der Fachtagung: Herausforderung Reallabor: Methoden | Übertragbarkeit | Impact. Karlsruher Transformationszentrum (KIT), Wuppertal Institut, StadtManufaktur (TU Berlin), im Rahmen des Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit, 18.02.2021.

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Beecroft, Richard (2019): Das Reallabor als transdisziplinärer Rahmen zur Unterstützung und Vernetzung von Lernzyklen. Dissertation. Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg. Online verfügbar unter https://pub-data.leuphana.de/frontdoor/deliver/index/docId/1031/file/diss_2020_beecroft_richard.pdf, zuletzt geprüft am 22.10.2020.

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Beercroft, Richard; Trenks, Helena; Rhodius, Regina; Benighaus, Christina; Parodi, Oliver (2018): Reallabore als Rahmen transformativer und transdisziplinärer Forschung: Ziele und Designprinzipien. In: Rico Defila und Antonietta Di Giulio (Hg.): Transdisziplinär und transformativ forschen. Eine Methodensammlung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 75–99.

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Hauff, Volker (Hg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. [der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung]. Ungekürzte Ausg. mit e. neuen Vorw. zur dt. Ausg. Greven: Eggenkamp.

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Kopfmüller, Jürgen; Brandl, Volker; Jörissen, Juliane; Paetau, Michael; Banse, Gerhard; Coenen, Reinhard; Grunwald, Armin (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren. Berlin: edition sigma (Global zukunftsfähige Entwicklung – Perspektiven für Deutschland, 1).

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Meyer-Soylu, Sarah; Parodi, Oliver; Trenks, Helena; Seebacher, Andreas (2016): Das Reallabor als Partizipationskontinuum. Erfahrungen aus dem Quartier Zukunft und Reallabor 131 in Karlsruhe. In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 25 (3), S. 31–40. Online unter http://www.tatup-journal.de/downloads/2016/tatup163.pdf.

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MWK (2013): Wissenschaft für Nachhaltigkeit. Herausforderung und Chance für das baden-württembergische Wissenschaftssystem. Expertengruppe „Wissenschaft für Nachhaltigkeit“ – Bericht. Unter Mitarbeit von Uwe Schneidewind und Karin Boschert. Stuttgart. Online unter https://mwk.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mwk/intern/dateien/pdf/Wissenschaft_f%C3%BCr_Nachhaltigkeit/Expertenbericht_RZ_MWK_Broschuere_Nachhaltigkeit_Web.pdf.

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Parodi, Oliver; Beecroft, Richard (2016): Reallabore als Einrichtungen der Nachhaltigkeitsforschung und Transformation – Wo, woher, wohin? In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 25 (3).

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Parodi, Oliver (2019): Wider eine Engführung des Reallabor-Konzepts. Eine Antwort auf „Die Grenzen der Erkenntnis im Reallabor”. In: Ökologisches Wirtschaften (2), S. 8–9.

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Seebacher, Andreas; Albiez, Marius; Parodi, Oliver; Quint, Alexandra; Zimmer-Merkle, S; Walter, I (2019): Wie Nachhaltigkeit möglich ist. Leporello, 3. Auflage.

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Quartier Zukunft; Parodi, Oliver; Trenks, Helena; Waitz, Colette; Meyer-Soylu, Sarah; Seebacher, Andreas; Quint, Alexandra (Hg.) (2020): Dein Quartier und Du – Nachhaltigkeitsexperimente im Reallabor zu Nachbarschaften, Bienen, Naschbeeten, Kreativität und Konsum: KIT Scientific Publishing.

„Das Quartier Zukunft – Labor Stadt ist ein transdisziplinäres Stadtforschungs- und Entwicklungsprojekt, angesiedelt am KIT, welches das Ziel verfolgt, die Karlsruher Oststadt exemplarisch in einem offenen, dialogbasierten und langfristig angelegten Prozess in ein nachhaltiges Stadtquartier zu transformieren. Im Mittelpunkt steht hierbei das gemeinsame Wirken der Stadtgesellschaft, vor allem der Bürger:innen. Die Transformation soll in einem Schulterschluss von Wissenschaft, Bürgerschaft, Politik und Privatwirtschaft erfolgen.“  (Meyer-Soylu et al. 2016: 32).

Genaue Beschreibungen der NachhaltigkeitsExperimente finden sich im Buch Dein Quartier und Du. https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000076132

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit

Mehr Informationen zum Projekt gibt es auf www.klimaschutzgemeinsamwagen.de und www.itas.kit.edu/projekte_mewa18_kia.php.

Alle Experimente sind auf der Website des Projekts detailliert beschrieben und können als Inspiration an anderer Stelle verwendet werden. www.klimaschutzgemeinsamwagen.de/selbstexperimente/

Sarah Meyer-Soylu, Colette Waitz ( 2021): Experimentansätze aus dem Reallabor: Über das Potenzial, spielerisch zu einer Kultur der Nachhaltigkeit zu inspirieren. Ein Bericht aus der Praxis . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/experimentansaetze-aus-dem-reallabor-ueber-das-potenzial-spielerisch-zu-einer-kultur-der-nachhaltigkeit-zu-inspirieren/