Experimentansätze aus dem Reallabor: Über das Potenzial, spielerisch zu einer Kultur der Nachhaltigkeit zu inspirieren

Ein Bericht aus der Praxis

Potenziale des Experimentierens

Insgesamt zeigt die Erfahrung mit beiden Ansätzen, dass das Experimentieren ein gut geeignetes Format ist, um Menschen an das Thema Nachhaltigkeit heranzuführen. Das große Potenzial des Experimentierens liegt in seinem spielerischen Ansatz. Es wird Freude am Thema geweckt und durch die Möglichkeit, etwas auszuprobieren, entsteht die Freiheit, sich ohne Zwang mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Die Teilnehmer:innen können austesten, was ins eigene Leben passt, was einfach geht, was schwieriger ist. So finden sie heraus, wo die eigene Motivation liegt, was Freude bereitet und was schwerer fällt.

Durch das Herunterbrechen auf einzelne Themenbereiche und konkrete Handlungsweisen wird Nachhaltigkeit im Alltag umsetzbar. Zudem macht der begrenzte Zeitraum eines Selbstexperiments es leichter, sich dafür zu entscheiden. Er setzt die Hürde herab, Neues auszuprobieren und nimmt Druck heraus. Man entscheidet sich eben nicht für ein komplett veganes Leben für immer, sondern nimmt sich einen begrenzten Zeitraum, beispielsweise 12 Wochen, vor. Das ist machbar und nimmt zudem Druck von außen, sollte man sich danach wieder umentscheiden.

Darüber hinaus konnte beobachtet werden, dass die Beschäftigung mit einem Nachhaltigkeitsbereich Interesse an weiteren wecken kann. Mit den Experimenten wurden in beiden Formaten eine Vielfalt an Themen abgedeckt und angeboten. Damit kann Nachhaltigkeit aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und erlebt werden.

Die Ansätze geben die Möglichkeit, in nachhaltige Handlungsweisen hineinzuschnuppern und damit über den eigenen Tellerrand zu schauen. Sie regen dazu an, Interesse an den vielen Facetten von Nachhaltigkeit zu entwickeln und zu erkennen, welchen eigenen Beitrag man dazu leisten kann. Dadurch, dass die Selbstexperimente einzelne Bereiche von Nachhaltigkeit beleuchten und gezielt aufbereiten, wird das Thema greifbar. Der überwältigende Umfang wird aufgebrochen in „machbare“ Teile, die im Alltag hinterfragt und ausprobiert werden können.

Beide Experimentformate bieten die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen, Erfahrungen zu teilen, über Herausforderungen zu sprechen und Erfolgserlebnisse zu feiern. Das motiviert und hilft bei der eigenen Reflexion.

Das Potenzial, eine Community aufzubauen, ist vor allem bei Experimentformat (A) gegeben. Dieses gab zwar einen thematischen Rahmen vor, Kreativität und Ideenentwicklung standen hier aber im Vordergrund. Eigene Ideen zu entwickeln und als Projekte umzusetzen, ist eine wertvolle intrinsische Motivation für die Teilnahme. Dafür ist das Experimentformat (B) vermutlich schneller und mit weniger Aufwand übertragbar in andere Städte und Kommunen. Es können Selbstexperimente für ein gewünschtes Thema entwickelt werden und diese dann, gegebenenfalls auch durch geschulte Multiplikator:innen (die die Selbstexperimente anleiten), ohne größere Änderungen an vielen anderen Orte angeboten werden. Das ist finanziell und vom Personaleinsatz her ein großer Vorteil. Die Erfahrung hat ebenso gezeigt, dass das Format zumindest im Kontext Lehre an der Universität online sehr gut umsetzbar ist.

Zusammenfassung

Abschließend lässt sich sagen, dass beide Formate einen guten Rahmen vorgeben und geeignet sind, das Experimentieren für eine Kultur der Nachhaltigkeit innerhalb der Gesellschaft anzuregen. Mit beiden beschriebenen Ansätzen versuchten wir, ein positives Bild von Nachhaltigkeit zu zeichnen und in die Welt zu tragen. Wir wünschen uns, dass es immer mehr solche kreativen Ansätze geben wird, die den Menschen Lust auf Nachhaltigkeit machen und dem Streben der Menschheit nach einer Kultur der Nachhaltigkeit behilflich sind.

Denn was wir für eine nachhaltigere Welt brauchen, sind viele Menschen, die anfangen; viele, die ein bisschen etwas tun, ohne allzu großen Perfektionismus und den Druck, alles richtig machen zu müssen. Das nimmt nämlich die Freude an der Sache. Und die braucht es unserer Erfahrung nach, um Dinge zu verändern.

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Albiez, Marius (2021): Quartier Zukunft – Labor Stadt: Methoden im Reallabor I & II. Inputs im Rahmen der Fachtagung: Herausforderung Reallabor: Methoden | Übertragbarkeit | Impact. Karlsruher Transformationszentrum (KIT), Wuppertal Institut, StadtManufaktur (TU Berlin), im Rahmen des Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit, 18.02.2021.

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Beecroft, Richard (2019): Das Reallabor als transdisziplinärer Rahmen zur Unterstützung und Vernetzung von Lernzyklen. Dissertation. Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg. Online verfügbar unter https://pub-data.leuphana.de/frontdoor/deliver/index/docId/1031/file/diss_2020_beecroft_richard.pdf, zuletzt geprüft am 22.10.2020.

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Beercroft, Richard; Trenks, Helena; Rhodius, Regina; Benighaus, Christina; Parodi, Oliver (2018): Reallabore als Rahmen transformativer und transdisziplinärer Forschung: Ziele und Designprinzipien. In: Rico Defila und Antonietta Di Giulio (Hg.): Transdisziplinär und transformativ forschen. Eine Methodensammlung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 75–99.

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Hauff, Volker (Hg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. [der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung]. Ungekürzte Ausg. mit e. neuen Vorw. zur dt. Ausg. Greven: Eggenkamp.

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Kopfmüller, Jürgen; Brandl, Volker; Jörissen, Juliane; Paetau, Michael; Banse, Gerhard; Coenen, Reinhard; Grunwald, Armin (2001): Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren. Berlin: edition sigma (Global zukunftsfähige Entwicklung – Perspektiven für Deutschland, 1).

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Meyer-Soylu, Sarah; Parodi, Oliver; Trenks, Helena; Seebacher, Andreas (2016): Das Reallabor als Partizipationskontinuum. Erfahrungen aus dem Quartier Zukunft und Reallabor 131 in Karlsruhe. In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 25 (3), S. 31–40. Online unter http://www.tatup-journal.de/downloads/2016/tatup163.pdf.

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MWK (2013): Wissenschaft für Nachhaltigkeit. Herausforderung und Chance für das baden-württembergische Wissenschaftssystem. Expertengruppe „Wissenschaft für Nachhaltigkeit“ – Bericht. Unter Mitarbeit von Uwe Schneidewind und Karin Boschert. Stuttgart. Online unter https://mwk.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mwk/intern/dateien/pdf/Wissenschaft_f%C3%BCr_Nachhaltigkeit/Expertenbericht_RZ_MWK_Broschuere_Nachhaltigkeit_Web.pdf.

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Parodi, Oliver; Beecroft, Richard (2016): Reallabore als Einrichtungen der Nachhaltigkeitsforschung und Transformation – Wo, woher, wohin? In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 25 (3).

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Parodi, Oliver (2019): Wider eine Engführung des Reallabor-Konzepts. Eine Antwort auf „Die Grenzen der Erkenntnis im Reallabor”. In: Ökologisches Wirtschaften (2), S. 8–9.

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Seebacher, Andreas; Albiez, Marius; Parodi, Oliver; Quint, Alexandra; Zimmer-Merkle, S; Walter, I (2019): Wie Nachhaltigkeit möglich ist. Leporello, 3. Auflage.

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Quartier Zukunft; Parodi, Oliver; Trenks, Helena; Waitz, Colette; Meyer-Soylu, Sarah; Seebacher, Andreas; Quint, Alexandra (Hg.) (2020): Dein Quartier und Du – Nachhaltigkeitsexperimente im Reallabor zu Nachbarschaften, Bienen, Naschbeeten, Kreativität und Konsum: KIT Scientific Publishing.

„Das Quartier Zukunft – Labor Stadt ist ein transdisziplinäres Stadtforschungs- und Entwicklungsprojekt, angesiedelt am KIT, welches das Ziel verfolgt, die Karlsruher Oststadt exemplarisch in einem offenen, dialogbasierten und langfristig angelegten Prozess in ein nachhaltiges Stadtquartier zu transformieren. Im Mittelpunkt steht hierbei das gemeinsame Wirken der Stadtgesellschaft, vor allem der Bürger:innen. Die Transformation soll in einem Schulterschluss von Wissenschaft, Bürgerschaft, Politik und Privatwirtschaft erfolgen.“  (Meyer-Soylu et al. 2016: 32).

Genaue Beschreibungen der NachhaltigkeitsExperimente finden sich im Buch Dein Quartier und Du. https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000076132

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit

Mehr Informationen zum Projekt gibt es auf www.klimaschutzgemeinsamwagen.de und www.itas.kit.edu/projekte_mewa18_kia.php.

Alle Experimente sind auf der Website des Projekts detailliert beschrieben und können als Inspiration an anderer Stelle verwendet werden. www.klimaschutzgemeinsamwagen.de/selbstexperimente/

Sarah Meyer-Soylu, Colette Waitz ( 2021): Experimentansätze aus dem Reallabor: Über das Potenzial, spielerisch zu einer Kultur der Nachhaltigkeit zu inspirieren. Ein Bericht aus der Praxis . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/experimentansaetze-aus-dem-reallabor-ueber-das-potenzial-spielerisch-zu-einer-kultur-der-nachhaltigkeit-zu-inspirieren/