Feldgänge

Das (Be)Zeichnen des Felds der Walking Art

Weiters soll ein Walking Interview mindestens zehn Minuten und maximal zehn Tage lang sein. Innerhalb dieser Zeitspanne ist es der/dem Interviewten überlassen, die konkrete Dauer zu bestimmen. Mit diesen Bedingungen wird bereits im Vorfeld des Walking Interviews eine Situation geschaffen, die es außerhalb der Alltagsroutine situiert und durch die Verortung im öffentlichen Raum für Unvorhersehbares öffnet. Sollte die/der eingeladene KünstlerIn mit diesen Bedingungen einverstanden sein, wird ein Treffpunkt innerhalb Europas vereinbart. Meine Anreise zu den oftmals entlegenen Orten, wie beispielsweise Penryn im Südwesten Englands*7 *(7), sehe ich dabei als ersten Schritt meines ‚Feldgangs’ und somit als ein Segment der Kontur des zu zeichnenden Felds. Bereits am Weg zu dem vereinbarten Treffpunkt dokumentiere ich meine Gedanken, indem ich sie während des Gehens auf Band spreche. Diese Tonaufnahmen bleiben jedoch unveröffentlicht und dienen lediglich dazu, den inneren Monolog, der meine Perspektive auf das Walking Interview darlegt und Teil des Transkripts wird, zu einem späteren Zeitpunkt erfahrungsgetreu verfassen zu können. Auch während des Walking Interviews selbst werden Tonaufnahmen gemacht. Durch die Verkabelung sind meine InterviewpartnerInnen und ich während der gesamten Dauer des Walking Interviews in enger Gehdistanz miteinander verbunden. Dies bewirkt oftmals eine Anpassung des Gehrhythmus.

Walking Interview mit Daniel Belasco Rogers und Daniela Hahn. Foto: Daniela Hahn, © Daniela Hahn und Brigitte Kovacs

Im Gleichklang der Schritte entwickelt sich ein Gedanken- und Redefluss, der zwar durch meine Fragen gelenkt, jedoch nicht von ihnen dominiert wird. Vielmehr ist es mein primäres Anliegen, der Künstlerin bzw. dem Künstler eine (Rede-)Plattform zu bieten, um ihren/seinen spezifischen Standpunkt bzw. Zugang zum Gehen zu erläutern.

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Bippus, Elke (2005): Landschaft-Karte-Feld: Felder zeichnen. Bremen: thealit.

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Bippus, Elke (2009): Einleitung: Kunst des Forschens. In: Bippus, Elke (Hg.): Kunst des Forschens. Praxis eines ästhetischen Denkens. Zürich-Berlin: diaphanes, S 7-26.

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Braidotti, Rosi (2002): Metamorphoses: Towards a Materialist Theory of Becoming. Malden, MA: Polity Press.

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Collier, Mike/Morrison-Bell, Cynthia (Hg.) (2013): Walk on. From Richard Long to Janet Cardiff. 40 years of art walking. Sunderland: Art Editions North.

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Debord, Guy (1956): Theory of the Dérive. Online unter http://www.cddc.vt.edu/sionline/si/theory.html (23.4.2016)

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Fischer, Ralph (2011): Walking Artists. Über die Entdeckung des Gehens in den performativen Künsten. Bielefeld: Transcript Verlag.

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Gallissaires, Pierre (1995): Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten. Aus dem Französischen übersetzt von Gallissaires, Pierre/Mittelstädt, Hanna/Ohrt, Roberto. Hamburg: Edition Nautilus.

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Oppezzo, Marily/Schwartz, Daniel (2014): Give Your Ideas Some Legs: The Positive Effect of Walking on Creative Thinking. In: Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition. 40. Jg., H. 4, S. 1142-1152  und online unter https://www.apa.org/pubs/journals/releases/xlm-a0036577.pdf (1.4.2017).

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Ulmer, Jasmine (2014): Embodied writing: choreographic composition as methodology. In: Research in Dance Education. 16. Jg., H. 1, S. 33-50.

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Walking Interview mit Daniel Belasco Rogers und Daniela Hahn, 28.4.2017

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Walking Interview mit Hamish Fulton, 29.11.2016

Ich verwende den Begriff des Interviews, da ich mit konkreten Fragestellungen in die Begegnungen mit den eingeladenen KünstlerInnen hineingehe. Da diese Begegnungen jedoch in ihrer Konzeption sowie Durchführung offen für Unerwartetes bleiben, wobei sich die tradierten Rollenzuschreibungen zwischen Interviewerin und Interviewten aufzulösen beginnen, handelt es sich vielmehr um gleichberechtigte Gespräche, die im Gehen stattfinden. So sind die Interviewten beispielsweise eingeladen, auch mir Fragen zu meiner Praxis zu stellen.

Hier sei auf Jasmine B. Ulmer verwiesen, die rekurrierend auf C.E. Moustakas festhält: „Within phenomenology, knowledge is produced through perception, intuition, and experience.” (Ulmer 2015: 38)

Auch wenn das Feld im kulturwissenschaftlichen Kontext primär von Pierre Bourdieus Begriff des sozialen Feldes geprägt ist, stellt Bourdieus Werk The Field of Cultural Production (1993) keine zentrale Referenz für mein Forschungsprojekts dar, da es mir weniger um Subjektivierung, soziale Rahmung und um die Analyse eines bestimmten Habitus geht als um ein ‚Spiel’ mit den diversen Bedeutungsebenen des Felds als Alltagsbegriff (vgl. u.a. http://www.duden.de/rechtschreibung/Feld oder https://www.merriam-webster.com/dictionary/field). So beziehe ich mich beispielsweise auf das Feld als spezifisches Forschungs- bzw. Fachgebiet, das Feld als abgegrenzte Bodenfläche oder auch als Spielfeld. Gleichzeitig stellen meine Feldgänge eine Modifizierung der empirischen Forschungsmethode der Feldforschung hin zu einer performativen Forschungsmethode dar.

Im Rahmen des Walking Interviews mit dem britischen Künstler Hamish Fulton (2016) gab dieser an, den Begriff der Walking Art bzw. der Walking Artists 1977 in Abgrenzung zu anderen Kunstformen wie der Land Art begründet zu haben. Obwohl es bis dato keine eindeutige Definition gibt, was genau darunter zu verstehen ist, so fand der Begriff doch in künstlerischen sowie wissenschaftlichen Diskursen internationale Verbreitung. Als Beispiel wäre hier die Publikation Walking Artists. Gehen in den performativen Künsten (2010) des deutschen Kulturwissenschafters Ralph Fischer zu nennen oder die Ausstellung Walk on. 40 Years of Art Walking (UK/2013). Für mich steht der Begriff der Walking Art für eine Vielzahl an künstlerischen Praktiken, bei denen das Gehen die Grundlage der Kunstproduktion darstellt.

Der Text Landschaft-Karte-Feld basiert auf einem Vortrag von Elke Bippus und der Künstlerin Katharina Hinsberg zum Thema Felder zeichnen im Kontext des Forschungsprojekts Kunst des Forschens.

Sowohl in ihrem Aufsatz Landschaft-Karte-Feld als auch in dem mit mir geführten Gespräch am 2.5.2016, das in Auszügen in diesem eJournal veröffentlicht wird (Felder zeichnen als künstlerisch-wissenschaftliche Praxis), assoziiert Bippus das Bezeichnen mit einer wissenschaftlich-beschreibenden Tätigkeit, währenddessen das Zeichnen eine performativ-selbstagierende Dimension aufweist. „Die Tätigkeit eines Wissenschaftlers, einer Wissenschaftlerin wird weniger mit einem Zeichnen denn mit einem Bezeichnen assoziiert. Etwas liegt vor und wird analysiert, klassifiziert, benannt und bestimmt. Die Beschreibung eines Feldes ist dabei abhängig von spezifischen Interessen, Objekten und Spielregeln, die von den Akteuren angenommen werden.“ (Bippus 2005: 5)

Walking Interview mit Moira Williams (2015).

Die Walking Interviews mit den niederländischen Künstlern Jeroen Jongoleen (2015) und Guido van der Werve (2016) wurden beispielsweise im Laufen durchgeführt, da die erhöhte Geschwindigkeit ihren künstlerischen Praxen entspricht.

Der Dérive (wörtlich: driften) ist eine von der Situationistischen Internationalen entwickelte, auf dem Gehen basierende Technik zur Erforschung einer Stadt. Unter dem Schlagwort ‚Umherschweifen‘ wurde sie von den Situationisten wie folgt definiert: „Mit den Bedingungen der städtischen Gesellschaft verbundene experimentelle Verhaltensweise: Technik des eiligen Durchquerens abwechslungsreicher Umgebungen. Im besonderen Sinne auch: die Dauer einer ununterbrochenen Ausübung diese Experiments.“ (Gallissaires 1995: 51)

Beim Walking Interview mit Jeroen Jongeleen wurden wir rund 15 Minuten von Polizisten kritisch observiert.

Aufgrund der technischen Vorgaben dieses eJournals werden im Rahmen dieses Beitrags nur exemplarische Hörproben zur Verfügung gestellt.

Bis jetzt fand nur ein Walking Interview zu dritt statt, nämlich jenes mit Daniel Belasco Rogers und Daniela Hahn.

Um herauszufinden, wie sehr die spezifische Atmosphäre und durchwanderte räumliche Umgebung des Walking Interviews in den Tonaufnahmen hörbar wird, bat ich den Künstler Philipp Grein seine Eindrücke während des Hörens eines Walking Interviews fortlaufend auf eine Papierrolle zu zeichnen. Dabei zeigte sich, dass das Setting des Walking Interviews realitätsnah erfasst und wiedergegeben wurde.

Zur etymologischen Bedeutung von Diskurs siehe: https://www.dwds.de/wb/Diskurs.

Zur etymologischen Bedeutung von zeichnen siehe: https://www.dwds.de/wb/zeichnen.

Brigitte Kovacs ( 2017): Feldgänge. Das (Be)Zeichnen des Felds der Walking Art. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/feldgange/