Der Diskurs in seiner etymologischen Bedeutung von lat. Discursus, ‚das Auseinanderlaufen, Umherrennen‘ bzw. lat. Currere, ‚laufen, rennen, eilen‘*14 *(14) findet in der Performance von Walking Interviews eine konkrete Ausformulierung als Zahl der ergangenen Schritte. Während der Performance eines Walking Interviews nehme ich mit einer Schrittzähler-App die Anzahl der gegangenen Schritte auf. Diese Zahl findet Eingang in das Transkript jedes einzelnen Walking Interviews. Sie wird gemeinsam mit der Zeit- und Ortsangabe in der Überschrift angeführt und steht für die Dauer bzw. körperliche Intensität der jeweiligen Begegnung. Die Summe aller Schritte symbolisiert auf der Metaebene aber auch den Prozess, den es braucht, um die Kontur des Feldes der Walking Art mit meinen Füßen zu zeichnen. Sie steht somit für den Verlauf des Forschungsprojekts per se.
Im Anschluss an ein Walking Interview zeichne ich mit der Hand und aus meiner Erinnerung den Weg, den ich mit meiner/m GesprächspartnerIn gemeinsam gegangen bin. Da diese Zeichnungen aus einer einzelnen Line bestehen, nenne ich sie one-line-drawings. Wie das Gehen und das Denken ist auch das Zeichnen prozessorientiert. In den Zeichnungen wird der gedankliche Prozess des Sich-Zurückerinnerns an die ephemere Bewegung sichtbar. Anstatt die geographische Wegstrecke vermeintlich authentisch wiederzugeben, zeigt sich in den Zeichnungen die Verschiebung zwischen der Erinnerung an einen Ort bzw. an eine ephemere Bewegung im Verhältnis zum realen Ort bzw. der realen Bewegung. Das wird beispielsweise im Vergleich zwischen meiner aus der Erinnerung gefertigten Handzeichnung und der digitalen GPS-Zeichnung, die Daniel Belasco Rogers aus den während unseres Walking Interviews gesammelten GPS-Daten kreierte, besonders deutlich.
In der etymologischen Bedeutung von ‚zeichnen‘ als ‚mit einem Zeichen versehen‘*15 *(15) fungieren die one-line-drawings auch als visuelles Symbol für jeden einzelnen Walk. In der Gegenüberstellung der verschiedenen Zeichnungen zeigt sich die Vielfalt der geschaffenen ‚Gesprächsräume‘.
In einem letzten Mediatisierungsschritt transkribiere ich die Tonaufnahmen, wobei ich am Anfang und am Ende der Transkription einen Monolog als inhaltliche Klammer einfüge. Während bei den Walking Interviews die Stimme der/des Interviewten im Zentrum steht, ist es meine eigene Stimme in Form eines inneren Monologs, die Einblick in die räumliche, zeitliche, emotionale Einbettung des Interviews und in meine persönlichen Erfahrungen gibt. Die zentralen Erkenntnisse meines Forschungsprojekts beruhen somit auf Körperwissen, das durch meine eigenen Bewegungen generiert wird. Um das subjektiv gewonnene und in meinem ‚Körperarchiv‘ gespeicherte Wissen auch anderen zugänglich zu machen, transformiere ich die für mich wesentlichsten Aspekte jeder Begegnungen in Artefakte. So finden sich in den Gesprächstranskriptionen inhaltliche Aussagen, in den Tonaufnahmen kann die spezifische Atmosphäre einer Begegnung nachempfunden werden und die Zeichnungen zeigen meine Erinnerungen an die ergangenen Wegstrecken und geben gleichermaßen Auskunft über das vom Künstler/von der Künstlerin gewählte Setting. Dabei ermöglichen die unterschiedlichen audiovisuellen Qualitäten der verschiedenen Medien das Feld der Walking Art auf mehreren sinnlichen Ebenen zu erfahren. Was für mich als Performerin zutrifft, gilt somit auch für die RezipientInnen: „Es geht nicht um einen Überblick, sondern um die Erfahrungen, die man machen kann, wenn man sich in ein Feld begibt.“ (Bippus 2005: 20) (*2) In diesem Sinn erhebt mein Forschungsprojekt nicht den Anspruch eines allumfassenden Überblicks über das bis dato noch vage definierte und sich stetige in Bewegung befindliche Feld der Walking Art. Vielmehr soll RezipientInnen ermöglicht werden, durch die von mir angefertigten Artefakte Einblicke in diese spezifische künstlerische Praxis nehmen zu können.
Brigitte Kovacs ( 2017): Feldgänge. Das (Be)Zeichnen des Felds der Walking Art. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/feldgange/