Frictions and Fractions?! Kritische Perspektiven auf Kulturarbeit, Kulturvermittlung und Diversity
PPB: Die kritischen und politischen Diversity-Ansätze sehen sich als antidiskriminatorisch, bei ihnen steht gesellschaftlicher Wandel hin zu sozialer Gerechtigkeit im Mittelpunkt. Das Kritische Diversity würde also zum transformativen Ansatz tendieren, wenn auch anders formuliert. Dass eben keine unhinterfragte weiße Hegemonie mehr möglich ist – mit all ihren Inhalten, Ein- und Ausschlussmechanismen, dass Weiße nicht automatisch bessere Chancen haben. Da beziehen wir uns auf Ansätze des Kritischen Weißseins und der postkolonialen Theorien.
AM: Auch die kritische Kulturvermittlung, die sich u.a. auf Postcolonial und Queer Studies bezieht, verfolgt das Ziel, dass sich das ganze System verändert. Damit sich die Institutionen und die gesamte Kulturlandschaft ändern, braucht es meines Erachtens jedoch konkrete Maßnahmen, die über Kulturvermittlung hinausgehen oder aus dieser heraus entstehen und sämtliche Aspekte der Kulturarbeit betreffen, insbesondere auch die organisatorische Ebene und die der Kulturpolitik. Mark Terkessidis (2017) (*21) spricht von „Vielheitsplänen“, die in Bezug auf unsere Gesellschaft der Vielheit zu entwickeln seien, um einen Perspektivenwechsel und eine Neujustierung der Organisationen zu bewerkstelligen. Migration sieht er dabei als „eine Art Passepartout“ (Terkessidis 2017: 9), (*21) um zahlreiche grundsätzliche Aspekte des Wandels zu diskutieren. Viele seiner allgemeinen Überlegungen lassen sich auf den Kunst- und Kulturbereich umlegen, etwa die Forderung nach umfassender Organisationsentwicklung, Anonymisierung von Bewerbungen, Erweiterung der Netzwerke, Änderung der Kommunikationskanäle, Thematisierung rassistischer Wissensbestände etc. Kulturarbeit als kritische Praxis ist meinem Verständnis nach als Prozess einer radikalen Neuausrichtung des gesamten Kulturbetriebs zu sehen.
Selbstbestimmung und Fremdbestimmung
AM: Ich bin gedanklich noch bei dem „Dilemma“, das wir vorhin diskutierten, also dass man von Identitäten wegkommen müsse. Paul Mecheril (2012) (*10) spricht von der „Unmöglichkeit der Anerkennung“ und meint damit, dass im Grunde jede Anerkennung von Identitätsentwürfen immer auch mit einer Begrenzung einhergeht, also dass nur einige Aspekte oder jemand aus einer spezifischen Perspektive er- und anerkannt wird. Dies hängt mit der grundsätzlichen Unmöglichkeit umfassender Anerkennung zusammen oder wie Mecheril sagt: „Der Andere ist nicht anerkennbar, da der Andere nicht erkennbar ist.“ (Ebd.: 31) (*10) Daher braucht es eine Reflexion darüber sowie die Anerkennung der Nicht-Erkennbarkeit bzw. der Unbestimmtheit des Anderen. Dieses „paradoxe Moment“ müsste daher immer auch ein Moment allgemeiner Bildung sein. Das heißt, es immer auch mit zu bedenken, beispielsweise wenn mit der Kategorie „Menschen mit Behinderung“ gearbeitet wird, um festzustellen, von welchen Ausschlüssen sie betroffen sind. Natürlich werden mit der Verwendung solcher Kategorien diese auch wieder mit hergestellt und verfestigt. Aber geht es ganz ohne sie?
PPB: Naja, es geht schon auch ohne Kategorisierung, zumindest ohne Fremdkategorisierung, also z.B. von Seiten der Organisationen, den Kunstvermittler_innen und Kulturarbeiter_innen, wenn sie nicht selber Teil der Communities sind. Es geht ja nicht darum, zu sagen „Das gibt es nicht“ oder „Die gibt es nicht“. Sondern danach zu fragen, wie z.B. BeHinderung hergestellt wird als etwas, das weniger wert sei als eine bestimme Vorstellung von Gesundheit (vgl. auch den Beitrag von Magdlener in diesem eJournal): in unseren tagtäglichen Handlungen, über Gesetze, durch Stufen und Lautsprache, durch Stereotypen etc. Es gibt viele Diversity-Ansätze, die sagen: „In unserem Team haben wir eine Behinderte und einen Schwulen und einen Migranten und eine Frau und das ist ein diverses Team.“ Kritische Ansätze antworten darauf: „Das kann nicht sein, man muss sich schon diskriminierungskritischer beschäftigen“.
AM: Da bei diesen „kosmetischen“ Diversity-Ansätzen die Strukturen unangetastet bleiben.
PPB: Genau. In Bezug auf Kultureinrichtungen wäre zum Beispiel zu fordern: Schaut euch mal eure eigenen Strukturen an. Was für Diskriminierungs-, Privilegierungs- und Normierungsprozesse finden da statt? Dabei haben Sprache und Kommunikation einen zentralen Stellenwert. Diversity entsteht über sprachliche Handlungen – Vlatka Frketić nennt das Communicating Diversity. Die sprachliche Ebene wird in Reflexionsprozessen oft übersehen, dabei sind Fragen wie: „Was mache ich, wenn ich spreche, höre, gebärde, lese?“, „Welche unausgesprochenen Regeln gibt es in der jeweiligen Organisation (Gesten, Kleidung, Ein- oder Mehrsprachigkeit, Fachsprachen etc.)?“ oder „Welchen Stellenwert haben die verschiedenen Nationalsprachen in der Gesellschaft?“ sehr wichtig, wenn wir Ein- und Ausschlussprozesse hinterfragen wollen.
Persson Perry Baumgartinger, Anita Moser ( 2018): Frictions and Fractions?! Kritische Perspektiven auf Kulturarbeit, Kulturvermittlung und Diversity. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/frictions-and-fractions-kritische-perspektiven-auf-kulturarbeit-kulturvermittlung-und-diversity/