„Gemeinsam die Stadt zum Blühen bringen“

4. Fazit & Ausblick: Die Eigenlogik einer neuen Ordnung des Sinnlichen

Durch die Eigenlogik der Stadt (Berking/Löw 2008)star (* 1 ) gibt es sowohl spezifische Möglichkeiten als auch spezifische Einschränkungen für das urbane Handeln.
Die Möglichkeiten, die in Salzburg entstehen, scheinen insbesondere mit der überschaubaren Größe der Stadt Salzburg zusammenzuhängen. Das Potenzial zum direkten Kontakt zwischen AkteurInnen in den städtischen Strukturen sowie in der Zivilgesellschaft und die Möglichkeit dadurch vertrauensvolle Beziehungen aufbauen zu können, gründet zum Teil in dieser lokalen Verfasstheit. Die Netzwerkdichte, die sich ebenfalls durch die Größe der Stadt erklärt, macht es möglich, dass AkteurInnen zuweilen in mehreren Feldern tätig sind und relativ bald einen Überblick über AnsprechpartnerInnen haben können. Außerdem können sie durch ihre Mehrfachfunktionen spezifische Kommunikationskanäle und Kooperationsmöglichkeiten nutzen. In Stadt und Land Salzburg wird gerne der gebürtige Salzburger Philosoph Leopold Kohr zitiert, der berühmt für seine Philosophie der kleinen Einheiten ist.*6 *( 6 )  Auch Christine meint, die Stadt Salzburg sei insbesondere auf Grund ihrer Größe ein ideales Feld für kooperatives Handeln:

„Ich finde das einfach schön, dass man, sobald man loslegt, sieht, dass das wirklich möglich ist und das ist aber vielleicht schon auch Salzburg, dass es von der Größe so groß ist, dass da das Vertrauen da ist, […] ich habe das Gefühl, das ist gerade so eine richtige Größe und das hat der Leopold Kohr eigentlich auch gesagt: … dass Salzburg echt eine gute Größe hat, weil es ja ums menschliche Maß immer auch geht und da kann man solche Sachen super machen.“ (CB: 33)star (* 6 )

Jeder Ort bringt auch einen spezifischen diskursiven Rahmen, eine Bedeutungsebene mit sich, die aus den Inhalten und AkteurInnen sowie aus der lokalen Geschichte zusammengesetzt ist. Diese Ortseffekte (Bourdieu 1997)star (* 2 ) wirken sich wiederum auf die Möglichkeiten der  Herstellung von Gemeinschaft und kollektiver Identität im Lebensraum Stadt aus.
Welche Route am Pflanztag für die Aktion Sonnenblume gewählt wurde, ist u. a. Ausdruck der lokalen Ortseffekte der Stadt Salzburg. Die Altstadt wurde vermieden und Stadtteile wurden ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, die im innerstädtischen Gefüge das „andere Salzburg“ repräsentieren – nicht das touristische oder hochkulturelle, sondern ein kreativwirtschaftlich und migrantisch geprägtes Salzburg, das für Veränderung und Aufbruch steht. Die Belastung der Altstadt als ökonomisches Zentrum von Tourismus und hochkultureller Vermarktung stellt für das Handeln im urbanen Raum eine relativ massive Einschränkung, die aus der Eigenlogik der Stadt Salzburg erwächst, dar.

Die lokalen Strukturen und Eigenlogiken ermöglichen also spezifische Formen von Teilhabe, die sich wiederum – um auf Rancières Überlegungen der Aufteilung des Sinnlichen zurückzukommen – in der Herstellung spezifischer Räume und Zeiten kollektiver Neudefinitionen manifestieren. Die Praktiken der Selbstorganisation zwischen kommunalen Strukturen und Zivilgesellschaft, die hier beleuchtet wurden, zeigen auf, wie im konkreten die „Aufteilung des Sinnlichen“ ein Feld kollektiver Gestaltung ist und wie es die Kooperation von AkteurInnen unterschiedlicher Positionen im sozialen Raum braucht, um eine Neugestaltung zu erzielen.
Als ein Effekt der regen Netzwerktätigkeit der Initiative blattform rund um die Aktion Sonnenblume ist u. a. die beginnende Herausbildung eines neues Feldes in der Stadt Salzburg zu beobachten: eines Feldes, das über die strukturellen Abgrenzungen vom kommunalen Apparat und StadtbewohnerInnen hinaus reicht bzw. die Grenze als solche verwirft und einen gemeinsamen Handlungsraum etabliert. Nach Bourdieu konstituieren sich Felder durch die in ihnen agierenden AkteurInnen, die je relevanten Institutionen sowie vor allem durch die Bewegung der einzelnen AkteurInnen zwischen den Bezugspunkten eines Feldes und unterschiedlichen Feldern einer Stadt.
Als möglicher Netzwerkknotenpunkt zukünftiger Initiativen, Projekte oder Einzelvorhaben urbanen Gärtnerns in der Stadt Salzburg wurde über die Aktion bereits ein neuer städtischer  Diskurs- und Handlungsraum geöffnet. Wie im Interview mit der Initiatorin der Aktion Sonnenblume immer wieder erwähnt wird, haben sich bereits viele Möglichkeiten für weitere Projekte und Kooperationen dargestellt, ob alle „Ästchen“ weiter verfolgt werden, ist dabei eine Frage der Ressourcen und der Dringlichkeit des jeweiligen Themas für die einzelnen AkteurInnen. Dazu meint sie: „Um welche Ästchen kümmert man sich besonders drum und hegt das und pflegt das, weil man das besonders wichtig empfindet und welche wären schön, aber geht sich halt leider nicht aus… und was passiert eh von alleine? Viele Dinge entstehen alleweil mittlerweile schon ohne uns…“. (CB: 23)star (* 6 )

Zum Schluss…

Christine: „[…] ich glaube, ich könnte mich nicht mehr auf die private Rolle zurückziehen, also ich glaube, soviel bin ich Bürgerin und nicht mehr Privatperson in der Stadt Salzburg, dass ich einfach das Gefühl habe, mein Handeln ist politisch.“ (CB: 34)star (* 6 )

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Berking, H. and M. Löw, Eds. (2008). Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung. Interdisziplinäre Stadtforschung. Frankfurt/Main, New York.

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Bourdieu, Pierre: Ortseffekte, in: Ders. et al (Hg.): Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, UVK Universitätsverlag Konstanz, 1997, S. 117-127.

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Rancière, Jacques: Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien, Berlin: b_books, 2008, 2. Auflage (Originalausgabe „Le Partage du sensible. Esthétique et politique, Paris: La Fabrique Éditions, 2000).

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Ders.: Der emanzipierte Zuschauer, (aus dem Französischen von Richard Steurer orig. Titel: Le spectateur émancipé, Editions La fabrique, Paris, 2008); Wien: Passagen Verlag, 2009.

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Spielmann, Walter: Gartenglück auf 19 mal 36 m² (Barbara Reisinger und Gerold Tusch), in: Spielmann, Walter /Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen /Lebensministerium (Hg.): Die Einübung des anderen Blicks. Gespräche über Kunst und Nachhaltigkeit, S. 63-76.

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Andere Quellen:

Interview mit Christine Brandstätter, Salzburg, 30.5.2012

 

Das ABZ ist eine Einrichtung der Katholischen Aktion im Salzburger Stadtteil Itzling.

Es berichteten ORF-Radio-Salzburg, Salzburger Nachrichten, Stadtnachrichten, Krone, Standard, basics und Woman.

Mit Volxküche wird eine Praxis des kollektiven Kochens bezeichnet, bei der zum Selbstkostenpreis oder auch darunter Essen, meist vegetarisch oder vegan, zubereitet und ausgegeben wird. Volxküchen gibt es in unterschiedlichen Formen, und sie sind Teil linksalternativer Alltagspraxen. Vgl. u. a. http://de.wikipedia.org/wiki/Volxk%C3%BCche, 7.8.2012.

Das Forum Andräviertel ist ein Stadtteilverein, in dem UnternehmerInnen, Kulturschaffende und BewohnerInnen organisiert sind und ein besonderer Fokus in der Kreativbranche liegt.

Vergleiche dazu beispielsweise Walter Spielmann (2009: 64), der in einer Einleitung zum Interview über das gemeinschaftsgärtnerische Kunstprojekt in Oberndorf, „Spielwiese/Gartenglück“ der KünstlerInnen Barbara Reisinger und Gerold Tusch, ebenfalls auf den Philosophen Kohr verweist.

Laila Huber ( 2012): „Gemeinsam die Stadt zum Blühen bringen“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 01 , https://www.p-art-icipate.net/gemeinsam-die-stadt-zum-bluhen-bringen/