„Gerade in ländlichen Räumen ist es wichtig, mit dem Begriff Feminismus zu arbeiten“

Stefania Pitscheider Soraperra im Gespräch mit Anita Moser über Entwicklungen, Herausforderungen und Teilhabestrategien des Frauenmuseum Hittisau

 

Gibt es Diversity-Konzepte, mit denen Sie arbeiten, oder andere Ansätze, damit Vielfalt auf unterschiedlichsten Ebenen, beispielsweise in Bezug auf das Personal, repräsentiert wird?

Das passiert eher auf der Praxisebene, nicht so sehr auf der Konzeptebene – und spiegelt sich schon in der Art, wie das Team zusammengesetzt ist. Es besteht aus 20 Frauen, die Jüngste ist 16, die Älteste ist 76. Irma ist letztes Jahr quasi in Pension gegangen und jetzt gerade 90 geworden. Die Frauen haben sehr unterschiedliche Backgrounds, eine hat zum Beispiel Gender Studies studiert, eine andere ist Bäuerin. Wir hatten eine Syrerin im Team, die inzwischen weggezogen ist und studiert. Wir überlegen jetzt, dass eine der geflüchteten oder zugezogenen Frauen das Frauencafé übernimmt und dabei geringfügig angestellt wird. Das heißt, die Offenheit ist durchaus da. Generell ist unser Team für eine ländliche Region sehr gemischt. Eine kommt aus Dänemark, andere aus Deutschland und der Schweiz, ich bin ladinischer Muttersprache und italienische Staatsbürgerin.

 

„Ich finde es unerlässlich, über den Tellerrand hinauszuschauen.“

 

Was ist das Spezifische, wenn man Kulturarbeit in ländlichen Räumen macht?

Ich halte das duale Arbeiten für ganz entscheidend. Auf der einen Seite geht es darum, den Ort und alle, die hier wohnen, gut im Blick zu haben. Gleichzeitig ist eine Nabelschau nicht produktiv. Ich finde es unerlässlich, sich mit dem, was es weit draußen gibt, in Beziehung zu setzen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Erst in der Beziehung zum Anderen können wir verstehen, wer wir sind, was wir sind und was wir hier tun. Für uns ist es zum Beispiel wichtig zu fragen, wie es Frauen in Afrika geht. Man muss intersektionale Dinge im Blick haben, um wirklich gut arbeiten zu können.

Eine „Mia san mia“-Haltung halten wir für nicht sehr produktiv. Das ist auch mit dem Team ausverhandelt. Was die Arbeit aber schwierig macht, sind die patriarchalen Strukturen, mit denen wir es zu tun haben und die hier vielleicht ausgeprägter sind als anderswo. Mittlerweile glaube ich, dass die Anzahl an offenen Menschen oder an Menschen, die bereit sind, anders zu agieren, in urbanen Räumen prozentuell nicht höher ist als in ländlichen Räumen, in absoluten Zahlen aber schon. Das heißt, du musst dir hier die Partnerinnen und Partner bewusst suchen – vielleicht mehr als in Großstädten oder Städten, wo sich Szenen bilden.

 

Ausstellung „Frauenwahlrecht“. Foto: Lutz Werner

 

Ist Mobilität ein Thema?

Ja, Mobilität ist ein großes Thema im ländlichen Raum. In den Diskussionen um CO2-Steuern hat man gesehen, welche Projektionen es in Bezug auf Mobilität im ländlichen Raum gibt. Mobilität ist entscheidend – und ich staune immer wieder, wie sehr die Menschen bereit sind, in Bewegung zu bleiben und in Bewegung zu gehen. Man muss sagen, dass dafür die Rahmenbedingungen in Vorarlberg sehr gut sind. Es ist ein kleines, überschaubares Land. Die Busnetze sind gut, jede halbe Stunde gibt es einen Bus nach Hittisau. Es geht recht flott von Dornbirn und von Bregenz. Die Gegend ist schön, man kann auch gut essen, weshalb es vielleicht mehr Motivation gibt, sich nach Hittisau zu begeben.

 

Was bräuchte es von kulturpolitischer Seite, damit Kulturarbeit in ländlichen Räumen gestärkt wird?

Geld ist sehr wichtig. An dem dreht und wendet sich viel. Mich persönlich ärgert immer, dass das Frauenmuseums ein praktisches Feigenblatt ist, mit dem man glaubt, das Thema gendersensible Kulturarbeit im ländlichen Raum abgedeckt zu haben. Aber wir sind schwer unterfinanziert. Unser Maßstab ist das jüdische Museum in Hohenems, das ausgezeichnete Arbeit macht – dort ist das Budget dreimal höher. Da möchten wir hin. Bei uns ist es in den letzten 20 Jahren zwar mehr geworden, aber es ist einfach zu wenig da. Der Gender Pay Gap spiegelt sich auch in der Art und Weise, wie Fraueninstitutionen finanziert sind.

Wir wollen aber nicht immer die Bittstellerinnen sein. Es war irgendwann notwendig, zu sagen: „Entweder ihr finanziert uns weiter, oder wir stellen uns zur Diskussion für andere Gemeinden. Bei all dem, was wir mitbringen, finden wir garantiert in kurzer Zeit fünf Gemeinden in Vorarlberg, die bereit sind, uns dieses Geld zu geben und ein Haus zur Verfügung zu stellen.“

Wir haben ein Selbstbewusstsein entwickeln müssen, um der Gemeindepolitik gegenüber zu vermitteln, dass wir ein Geschäft für sie sind und nicht andersrum, und zu sagen: „Jeder Euro, den ihr investiert, bringt der Gemeinde mindestens vier weitere Euro.“ Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass Kultur sich tragen und wirtschaftlich etwas bringen muss, aber im Fall unseres Museums ist es so, dass es für die Gemeinde lukrativ ist. Das wird einerseits auf der Werbe- und Kommunikationsebene sichtbar, wenn man zum Beispiel im Rahmen einer Äquivalenzanalyse alle redaktionellen Beiträge, in denen Hittisau vorkommt, aufzeigt. Andererseits achten wir auch darauf, das Geld, das uns zur Verfügung steht, lokal und regional auszugeben. Außerdem bekommen wir zusätzliche Förderungen und Subventionen von anderen Stellen. Das heißt, in die Gemeinde kommt über unser Museum Geld, das es sonst nicht geben würde. Wir haben auch abgefragt, wie viel Geld unsere Besucherinnen und Besucher im Ort lassen. Es sind ungefähr 14.000 Personen pro Jahr – wenn jede im Schnitt 35 Euro im Ort lässt, ist das insgesamt viel Geld.

Kultur darf ruhig etwas kosten, aber in unserem Fall entschieden wir uns dazu, anders zu argumentieren, weil das Ringen um Finanzierung schon zwei Jahre gedauert hatte und das Museum immer wieder zum Spielball der Lokalpolitik wurde.

Anita Moser, Stefania Pitscheider Soraperra ( 2020): „Gerade in ländlichen Räumen ist es wichtig, mit dem Begriff Feminismus zu arbeiten“. Stefania Pitscheider Soraperra im Gespräch mit Anita Moser über Entwicklungen, Herausforderungen und Teilhabestrategien des Frauenmuseum Hittisau. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/gerade-in-laendlichen-raeumen-ist-es-wichtig-mit-dem-begriff-feminismus-zu-arbeiten/