Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage

Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser

„Diese meine Geschichte, diese Geschichte meiner Familie im Zeichen der Migration, ist mir unglaublich wichtig und ich will sie erzählen und unter die Leute bringen.“

Was ist dir in deiner künstlerischen Arbeit besonders wichtig?

Ich habe immer schon an der Geschichte meines Lebens gearbeitet. Von Anfang an habe ich gemerkt, dass etwas anders ist bei mir. Das waren meine Herkunft und die damit verbundene soziale Klasse. Je älter ich wurde, desto wichtiger wurde es mir, das zu kommunizieren.

Von der ersten Klasse Volksschule bis einschließlich der ersten Klasse Gymnasium bin ich mehrere Stunden in der Woche in den muttersprachlichen Zusatzunterricht gegangen. Dabei ging es weniger um Sprachvermittlung als darum, uns im Sinne des Titoismus zu indoktrinieren. Für mich spannend und verwirrend war, dass im damaligen Jugoslawien von der Arbeiter:innen-Selbstverwaltung geredet wurde, und wir in Linz in Elendsquartieren auf der Wiener Straße, umgeben von Schimmel und Mäusen und ohne WC und Bad – also in wirklich prekären Verhältnissen – lebten. Wie kann es sein, dass es in einem Land wie Österreich so völlig ungleiche Schichten und unterschiedliche Lebenskonzepte parallel zueinander gibt? Diese Frage hat mich schon immer eher fasziniert als traurig gemacht.

Der 2016 herausgekommene Film Unten beschreibt am besten meine Tätigkeit als Dokumentarfilmer. Gemeinsam mit dem Kollegen Hermann Peseckas, dem bekanntesten unabhängigen Filmemacher aus Salzburg, fing ich 2009 an, an dem Buch zu dem Film zu schreiben. Als wir den Film schließlich 2016 herausbrachten, hatten wir damit – für mich relativ überraschend – großen Erfolg. Ich wusste nicht, wen dieser Film interessiert, wie er beim Publikum ankommt. Ich hatte wenig Selbstbewusstsein in diese Richtung, aber die Zweifel haben sich zerstreut, als wir zu zahlreichen Festivals eingeladen wurden und dort auch sehr schöne Preise gewonnen haben.

30 Jahre vor dem Film Unten gab es einen Film von Goran Rebić, in dem er die Geschichte seines Vaters, ebenfalls ein Gastarbeiter, aber aus Serbien – wir hingegen sind Serb:innen aus Kroatien – verarbeitet hat. Aus der Perspektive von ‚Betroffenen‘ gab es sonst nicht viel. Natürlich wurde irgendwann auch in Österreich begonnen, die Geschichte der Gastarbeiter:innen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Aber in einem unabhängigen künstlerischen Rahmen gab es in Österreich nichts bis 2016, als wir dieses mehr oder weniger dokumentarfilmische Standardwerk schufen. Das ist auch der Grund, dass sehr viel Nachfrage bestand, der Film erfolgreich war und viele Leute ins Kino gegangen sind. Ich werde immer noch von verschiedenen NGOs und Kultureinrichtungen angesprochen, Unten zu zeigen. Diese Anerkennung hat mich sehr positiv gestimmt.

Filmstill aus <em>Unten</em> © Djordje Čenić

Filmstill aus Unten © Djordje Čenić

Filmstill aus <em>Unten</em> © Djordje Čenić

Filmstill aus Unten © Djordje Čenić

Djordje Čenić, Anita Moser ( 2022): Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage. Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/gerechtigkeit-im-kulturbetrieb/