Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage

Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser

Ich arbeite jetzt an derselben Geschichte – es ist aber keine Fortsetzung, sondern die gleiche Geschichte anders erzählt. In Unten habe ich das Publikum an der Hand genommen und mit einer Kommentarstimme alles genau erzählt. Es war mir sehr wichtig, mich zu erklären. Mittlerweile habe ich mich weiterentwickelt, künstlerisch und filmisch. Der damalige video-history-like-Ansatz war gut und auch wichtig. Jetzt ist mein Anspruch ein anderer. Ich will dieselbe Geschichte erzählen, ich will dieselbe Geschichte nur anders erzählen. Was mir dabei auffällt: Diese meine Geschichte, diese Geschichte meiner Familie im Zeichen der Migration, ist mir unglaublich wichtig und ich will sie erzählen und unter die Leute bringen. Wenn alles gut geht, werde ich 2022 zu produzieren anfangen. Der Arbeitstitel ist Unten 2. Schauen wir mal, was dabei herauskommt. Das weiß man bei Dokumentarfilmen oft nicht.

„Als Arbeiter:innenkind, als Migrant:innenkind hat man es in Österreich sehr schwer. Wir reden da von Rassismen, von Klassismus, natürlich auch von Sexismus.“

Du bist auch in D/Arts involviert. Warum ist dieser Zusammenschluss wichtig und was kann er bewirken – im Kulturbereich und darüber hinaus?

Ich finde, dass sich die Gesellschaft – ich rede von Österreich – im Kunst- und Kulturbereich so abbilden sollte, wie sie in realitas ist. Das passiert noch nicht. Jede Initiative ist wichtig, die für Gerechtigkeit in diesem Bereich sorgt. Als Arbeiter:innenkind, als Migrant:innenkind hat man es in Österreich sehr schwer. Wir reden da von Rassismen, von Klassismus, natürlich auch von Sexismus. Es ist schwierig, in gewisse Bereiche reinzukommen – zum Beispiel in die Forschung, in die Lehre, auf die Universitäten. Ich bin vielleicht ein Role Model dafür, wie man es schaffen kann, im Kunstbetrieb Fuß zu fassen und Anerkennung zu bekommen.

D/Arts finde ich gut, weil es ein von Beginn an durchdachtes, gutes Konzept hat, das unter anderem in den Veranstaltungen sehr viele Künstler und Künstlerinnen einschließt. Natürlich ist das nur ein Anfang. Wir müssen schauen, dass das Thema Diversität im Kultur- und Kunstbereich eine breite Aufmerksamkeit bekommt. Man muss vermeiden, nur in der eigenen Bubble zu bleiben. Das kenne ich auch aus der Praxis: Wenn wir im Studio West in Salzburg, einer Vereinigung unabhängiger FilmemacherInnen, wo ich Vereinsobmann bin, Filme zeigen, merke ich immer wieder, dass zwar hundert Leute zu einer Veranstaltung kommen, aber es sind hundert Leute, die ich beim Namen kenne. Diesen Menschen brauche ich eigentlich nicht erzählen, wieso Gerechtigkeit, humanistische Leitbilder, ein vorurteilsfreies Leben wichtig sind.

Wichtig ist, diese Themen Menschen näherzubringen, die interessiert sind, sich aber bei gewissen Fragen vielleicht nicht auskennen oder damit wenig anfangen können, das heißt, mit diesen Menschen zu diskutieren, sie an der Hand zu nehmen, zum Diskurs einzuladen. D/Arts ist eine Initiative, die ich gern unterstütze, weil ich glaube, dass sie diesen Ansatz in sich trägt.

Was verstehst du unter dem Begriff der Diversität. Gibt es bestimmte Konzepte oder theoretische Bezüge, auf die du zurückgreifst?

Nein, ich bin beim Thema Diversität weniger Theoretiker, sondern Praktiker. Mir ist es in meinem Leben sehr oft begegnet, dass ich abgestempelt wurde – und das tut oft weh. Das passiert überall, bei Freunden, Freundinnen, in der Schule, in der Arbeit. Mein Ansatz war immer: Ich ärgere mich nicht, sondern thematisiere das sofort und spreche die Menschen darauf an: „Das ist nicht okay, was du machst.“

Was tut man aber als 14-Jähriger, der in Österreich aufgewachsen ist, wenn einem die Lehrerin sagt, du wirst in Deutsch nie eine 1 bekommen, weil das nicht deine Muttersprache ist? Da kann man eigentlich nichts darauf sagen. Aber solche Erfahrungen haben mich zu dem gemacht, der ich bin, der sieht, dass es diese Diversität in der Gesellschaft gibt, aber dass man für ihre Anerkennung kämpfen muss, dass man alles dafür tun muss, andere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen mitzunehmen und gerechte Bedingungen zu schaffen. Es muss nicht jede ‚Ausländerin‘ eine Künstlerin oder eine Kulturschaffende werden. Mir aber war es immer wichtig, ihre Geschichten darzustellen.

Djordje Čenić, Anita Moser ( 2022): Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage. Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/gerechtigkeit-im-kulturbetrieb/