Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage

Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser

Kannst du dazu noch Beispiele nennen?

Wir hatten im Studio West die schöne Reihe Salzburg globale Stadt, in der wir Porträts über Menschen gemacht haben, die nicht in Österreich oder Salzburg geboren sind, hier aber schon lange Zeit leben, ein wichtiger Teil der Gesellschaft sind, aber kaum Aufmerksamkeit bekommen. Wir haben diese Menschen integriert und Videoporträts über sie gemacht – zuerst in Salzburg Stadt, dann auch in Salzburg Land. Das war richtig schön, weil wir damit ein breiteres Publikum ansprechen und aus unserer Bubble rauskommen konnten. Bei den Veranstaltungen waren nicht die üblichen Studio-West-Besucher:innen, sondern zum Beispiel auch die Arbeitskolleg:innen unserer Protagonist:innen.

Das Konzept der globalen Stadt gibt es in ganz Europa. Dabei werden oft Role Models oder ‚erfolgreiche Ausländer:innen‘ porträtiert. Mein Ansatz war aber, alltägliche Menschen zu zeigen. Ich habe von der Schneiderin, zu der ich immer meine und die Sachen der ganzen Familie bringe und mit der ich gerne plaudere, ein Porträt gemacht. Es war interessant, dass ihre Kund:innen auf einmal bei unseren Studio-West-Veranstaltungen erschienen sind, teilweise zum ersten Mal etwas von Diversität gehört haben und wieso es wichtig ist, nicht in Österreich geborenen Menschen den Raum zu geben, den autochthone Österreicher:innen auch haben. Da ergaben sich spannende Diskussionen.

So kann ich – wenn es um Diversität geht – mit meinen Möglichkeiten und in dem Rahmen, den wir als Studio West bieten können, einen Beitrag leisten. Ich habe das Gefühl, dass sich die Gesellschaft öffnet, nicht zuletzt durch Initiativen wie D/Arts. In Wien gibt es diesbezüglich sicher mehr, in Salzburg weniger – aber wir im Studio West arbeiten daran und schauen, dass wir dieses Thema in die Stadt und ins Land bringen.

Und noch ein anderes Beispiel: Als ich ins Studio West gekommen bin, war Gendern ein Fremdwort. Es waren – man muss es so sagen – die weißen Männer, die dort saßen und sich nie mit dem Thema auseinandergesetzt hatten. Nachdem ich einen großen Teil des Schriftverkehrs übernommen hatte und irgendwann alles über mich lief, habe ich immer gegendert und Texte entsprechend korrigiert, die ich von außerhalb oder von meinen Kollegen – viele Kolleginnen hatten wir im Studio West nie – bekam. Mit der Zeit haben sie gemerkt, dass es etwas bringt, Menschen nicht nur mitzumeinen, sondern wirklich anzusprechen. Mittlerweile wird gegendert mit Gendersternchen oder anderen Möglichkeiten, die es gibt. Das ist ein schöner Erfolg, finde ich. Das ist nicht von heute auf morgen gegangen, aber im Laufe der Jahre konnte ich da etwas bewirken – und es ist spannend zu beobachten, dass man etwas bewirken kann.

Das stimmt mich positiv und darum bin ich gerne bei Projekten dabei, bei denen es nicht nur um die inhaltliche, sondern auch um die formale Ebene geht, also zum Beispiel um die Frage, an wen man sich mit einem Projekt richtet, wen man mitnimmt, wen man mitnehmen muss und auch wer nicht mitdarf. Darüber muss man nämlich auch reden: Wen wollen wir nicht dabeihaben? Ich merke immer wieder, wie viele Menschen es noch gibt, die sehr ‚anti Diversität‘ sind. Erschreckend eigentlich. Der Kampf ist erst am Anfang, das wird noch ein langer, langer, langer Weg, aber es tut sich was und das ist gut.

„Man muss schon sehr im Underground unterwegs sein, um diverse Geschichten mitzuerleben, oder man schreibt sie selbst.“

Du hast Salzburg angesprochen. Kannst du deine Wahrnehmung in Bezug auf Diversität in Salzburgs Kultureinrichtungen konkretisieren?

Du kennst die Rolle Salzburgs in der Hochkultur: Salzburg atmet Hochkultur, Salzburg ist Hochkultur. Diese ist wie eine Art Fassade, von der sehr viele Leute sehr gut leben, vor allem auch Kultureinrichtungen. Aber sehr viele Kultureinrichtungen leben durch die Festspiele wahrscheinlich nicht so gut, weil ein großer Teil der Ressourcen in diesen Bereich fließt.

Djordje Čenić, Anita Moser ( 2022): Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage. Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/gerechtigkeit-im-kulturbetrieb/