Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage

Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser

„Die einzige Möglichkeit für Gerechtigkeit im Kulturbetrieb zu sorgen, ist, Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu schaffen.“

Welche Maßnahmen sind deiner Meinung nach am wichtigsten, um im Kulturbetrieb Veränderungen in Richtung mehr Gerechtigkeit und Diversität in Gang zu setzen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich würde vorschlagen, beim Bildungssystem anzusetzen und dafür zu sorgen, dass wir selbstbewusste, selbständig denkende Kinder und Jugendliche in die Welt schicken, die sich voneinander nicht so sehr unterscheiden, wie es jetzt der Fall ist. Die einzige Möglichkeit, für Gerechtigkeit im Kulturbetrieb zu sorgen, ist, Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu schaffen. Ich glaube nicht, dass es anders gehen wird.

Wir müssen unser Bildungssystem überdenken und können dadurch hoffentlich einen Wandel in der Gesellschaft hervorrufen. Die Gesamtschule wäre ein Anfang, aber eben auch nur ein Anfang. Es gibt große Ängste, wenn zum Beispiel Flüchtlingskinder in den allgemeinen Klassen sind und nicht extra unterrichtet oder in die Sonderschule geschickt werden. Trotzdem ist es der richtige Weg. Und es gibt Vorbilder! Zum Beispiel Konzepte aus Schweden, wo es mittlerweile ein völlig anderes Schulsystem gibt. Dort bemüht man sich darum, die vermeintlich Schwächsten, die nicht in Schweden geboren wurden und nicht dieselben Startvorteile wie schwedische Kinder haben, mitzunehmen, aber auch die ‚Einheimischen‘, die fürchten, dass „unsere Kinder in so gemischten Klassen nichts lernen“, und die andere diskriminieren.

Schweden fehlt es nicht an Exzellenz in verschiedensten Bereichen – Kunst, Kultur, im universitären Bereich, in der Forschung –, obwohl dort den Noten abgeschworen wurde und Flüchtlingskinder oder ‚Ausländerkinder‘ in dieselbe Klasse gehen wie die schwedischen Kinder. Oft kommt das Argument der ‚Ausländerkriminalität‘ in Malmö. Dabei geht es aber nicht um ‚Ausländer‘, sondern um soziale Klassen, um Menschen, die keine anderen Möglichkeiten haben, zu Geld zu kommen, als Drogen zu verkaufen. Diese wird es immer geben, und wenn es nicht die Jugos oder die Afghanen oder wer auch immer sind, dann werden es die Schweden sein. Du brauchst diese ‚Reservearmee‘ des Kapitalismus. Der Kapitalismus ist natürlich zu überdenken. Es ist leider schwierig, das Gute im Schlechten zu leben.

Wie schon gesagt, alle Initiativen für mehr Diversität im Kulturbereich sind vorerst gut. Aber im Großen und Ganzen werden wir unsere Ziele breiter, größer machen müssen, träumen und nach den Sternen greifen müssen, sonst wird sich nichts ändern. Dafür sitzt die Klasse, die jetzt an der Macht ist, zu bequem in ihren Sesseln.

Wie nimmst du die Diskussionen über Klasse und soziale Herkunft in Bezug auf Diversität in Kultureinrichtungen wahr? Spielt Klassismus darin eine Rolle?

Immer mehr. Ob der Begriff des Klassismus, der auf universitärer Ebene stark diskutiert wird, im Kulturbetrieb schon Fuß gefasst hat, wage ich aber zu bezweifeln. Das hängt auch wieder von den Akteuren und Akteurinnen ab und davon, wie sensibilisiert sie für das Thema sind.

Wo muss man konkret in einzelnen Institutionen – wie dem Landestheater oder Das Kino – ansetzen, um beispielsweise ein diverseres Publikum zu erreichen?

Thematisch, indem zum Beispiel – ich rede jetzt von meiner ‚Jugo‘-Bubble – jugoslawische Filmabende gemacht werden. Türkische Filmabende, Flüchtlingsfilmabende. Das Kino bietet sehr viel in diese Richtung und ist wirklich ein Lichtblick für die Kulturlandschaft in Salzburg, wo es nicht so viele Lichtblicke gibt.

Das Studio West zeigt die meisten Filme im Das Kino, und wenn wir Filme über Türk:innen, Afghan:innen zeigen, kommen diese auch und lernen Das Kino kennen. Wenn man die Menschen von Anfang an einbezieht und mitnimmt, dann gehen sie auch ins Kino. Sonst wäre meine Freundin, die türkische Schneiderin, wahrscheinlich eher nicht in Das Kino gekommen.

Auch gratis Eintritte können zu mehr Diversität beitragen, weil die Kosten für viele oft eine Zugangsschwelle zu Kunst und Kultur sind. Wichtig ist auch, mit Kindern ins Kino zu gehen, ihnen das Gefühl zu geben, dass ihre Kultur wertvoll ist. Dabei gehe ich von mir aus, weil ich so viel Negatives erlebt habe. Das Schönste ist für mich immer, wenn mir jemand das Gefühl gibt, meine Herkunftskultur zu kennen und zu schätzen – also wenn jemand zum Beispiel weiß, dass Ivo Andrić aus dem ehemaligen Jugoslawien ist und den Nobelpreis gewonnen hat – und wir nicht nur als diejenigen gesehen werden, die, sehr überspitzt gesagt, für die Österreicher:innen die Klos putzen.

Was bräuchte es in Bezug auf die in den Institutionen arbeitenden Akteuer:innen, die Leitung, die Mitarbeiter:innen?

Vorurteilsfrei und interessiert durchs Leben gehen und proaktiv gewisse Themen und Inhalte mit reinnehmen. Ich weiß nicht, ob man da mit Quoten etwas machen könnte. Meiner Erfahrung nach sind im Kulturbereich sehr viele Menschen, die von Haus aus offener sind als der Mainstream und mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenzuarbeiten.

Djordje Čenić, Anita Moser ( 2022): Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage. Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/gerechtigkeit-im-kulturbetrieb/