Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage
Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser
Und im Bereich der Kulturpolitik?
Es bewerben sich viel weniger Menschen mit Migrationshintergrund oder mit einem diversen Hintergrund um Förderungen. Natürlich sind es dann insgesamt weniger Menschen, die diese Gelder bekommen. Da bräuchte es mehr Informationen und Unterstützung. Auch wenn es in den Jurys Menschen geben würde, die Geschichten von Migrant:innen kennen und verstehen, würde das seinen Unterschied machen. Ich habe selten eine Jury erlebt – mir fällt im Filmbereich oder bei der Vergabe von Stipendien eigentlich gar keine ein – wo jemand mit migrantischem Hintergrund drin gewesen wäre. Wir bräuchten eine diversere Durchmischung der Gremien. Wird daran eigentlich gearbeitet?
Im Rahmen des seit Herbst 2020 auf Bundesebene laufenden ‚Fairness Prozess‘, in den auch die Kulturlandesrät:innen der Bundesländer und Interessenvertretungen involviert sind, ist Diversität ein Thema und beispielsweise im Zwischenbericht konkret festgehalten, dass die künstlerische und kulturelle Arbeit marginalisierter Gruppen in Zukunft mehr in den kulturpolitischen Fokus rücken soll, ebenso, dass Auswahlgremien die Diversität der Beteiligten als Kriterium bei der Bewertung berücksichtigen sollen.
Fallen dir gute Beispiele von Kultureinrichtungen, Initiativen aus dem Filmsektor oder einem anderen Bereich – in Österreich oder auch darüber hinaus – ein, an denen sich Veranstalter:innen orientieren könnten?
Zum Beispiel die Brunnenpassage in Wien. Sie ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie man Kultur und Kunst mit den Menschen vor Ort leben kann. Das Angebot der Brunnenpassage an die Bewohner:innen vom 16. Bezirk ist großartig. Dort kommen Menschen mit Kultur und Kunst in Verbindung, die sonst überhaupt keine Möglichkeit haben, so ein Angebot in Anspruch zu nehmen, geschweige denn selbst als Künstler oder Kulturschaffende aktiv zu werden. So eine Einrichtung fehlt in Salzburg, denke ich.
Reicht eine Brunnenpassage?
Jeder Stadtteil bräuchte eigentlich so eine Einrichtung, das wäre nur fair, um einen Ausgleich im Kulturbetrieb zu schaffen. Ich habe mein ganzes Leben darum gekämpft, dass ich es mir irgendwie leisten kann, Kunst zu machen. Wir stellen uns die Frage, wie es sich als Künstler:in lebt, wenn man beispielsweise keine Eigentumswohnung hat, nichts geerbt hat oder keine Unterstützung durch eine/n Partner:in hat.
Menschen zu porträtieren, die in einer ähnlichen Lage sind, ist unser nächstes Projekt im Studio West: In Schräge Vögel, arme Schweine geht es um Künstler und Künstlerinnen im Prekariat bzw. um solche, die aus dem Prekariat kommen und trotzdem Kunst schaffen und von ihrer Kunst leben können. Das sind spannende Geschichten und hängen natürlich mit Klassismus zusammen.
Nächstes Jahr werden wir auch gezielt etwas über Kulturförderungen im Filmbereich anbieten. Das ist ein riesiges Thema für junge Filmemacher und Filmemacherinnen, denn sehr viele werden von den Hürden abgeschreckt. Aber es ist gut, dass es in Österreich überhaupt noch eine Filmförderung gibt, in vielen europäischen Ländern ist das in dieser Form nicht mehr der Fall. Im Rahmen unserer Schule des Dokumentarfilms im Studio West versuchen wir den Leuten, nachdem sie ihr erstes Projekt, ihren ersten Film, ihre erste Kurzdoku gemacht haben, zu vermitteln, was der nächste Schritt sein könnte, zum Beispiel für ein nächstes Filmprojekt um eine Förderung bei der Stadt Salzburg oder beim Land Salzburg anzusuchen. Es gibt Leute, die wir dadurch beim Einwerben von Förderungen bereits unterstützen konnten.
Dabei geht es einfach auch darum, sie dabei zu unterstützen, ihre Ideen verwirklichen zu können. In Wirklichkeit geht es um die Träume. Es ist ja oft ein Traum, Künstler oder Künstlerin zu sein. Aber wann ist der Zeitpunkt, wo man sagen kann, ich bin Künstlerin, ich bin Künstler? Sich so nennen zu können, sich das zugestehen zu können und das nötige Selbstbewusstsein dafür zu haben, ist ein wichtiger Punkt. Aber wenn jemand von Anfang an – oft auch aus Kunstfeindlichkeit, Bildungs- und Wissenschaftsfeindlichkeit – gesagt bekommt, das, was du machst, ist nichts wert, ist es natürlich viel schwieriger. Man kann daran verzweifeln oder daran arbeiten, unsere Gesellschaft gerechter zu machen.
Djordje Čenić, Anita Moser ( 2022): Gerechtigkeit im Kulturbetrieb braucht Gerechtigkeit in der Gesellschaft als Grundlage. Djordje Čenić im Gespräch mit Anita Moser. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/gerechtigkeit-im-kulturbetrieb/