Geschichten ‚mit Zukunft‘
Pop-Up-Erzähllabore als künstlerische Experimentierräume im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit
I. Experimentierräume als ‚Erfahrungsräume kultureller Demokratie‘
Angesichts der Dringlichkeit und der Komplexität der Herausforderungen rund um die Klimakrise im Speziellen und nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen, aber auch aufgrund eines nach wie vor stark von Wissens-, Ergebnis- und Zielorientierung geprägten Verständnisses von Lehren und Lernen, setzt man in Bildungs- und Vermittlungskontexten vielfach noch immer darauf, Wissen und Kenntnisse ‚top-down‘ zu ‚übermitteln‘. Dies erweist sich für Zusammenhänge, in denen Transformationsprozesse initiiert werden sollen, als nicht angemessen, da damit nicht jene Ebene erreicht wird, die Menschen dazu veranlasst, auch tatsächlich zu handeln (vgl. z.B. Welzer 2013; (*12) Krämer 2018; (*7) Seitz 2018 (*10)). Klaus Seitz, Erziehungswissenschaftler und Leiter der Abteilung Politik von Brot für die Welt in Berlin, schlägt vor, die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft als „ergebnisoffenen, gesellschaftlichen Suchprozess“ zu begreifen, der auf „eine breite Partizipation der Menschen und ihre kreativen Potenziale“ setzt (Seitz 2018: 9). (*10) Damit betont er das transformative Potenzial von kulturellen und kreativen Praktiken und plädiert für einen „kulturellen Wandel“ (ebd.). (*10) Darüber hinaus spricht er in diesem Zitat mit Prozesshaftigkeit, damit verbundener Handlungsorientierung, Partizipation und Ergebnisoffenheit zentrale Aspekte an, die unseres Erachtens experimentelle Handlungen maßgeblich prägen.
Daher besteht aus unserer Sicht für Kontexte, in denen Transformationsprozesse initiiert werden sollen (aber auch darüber hinaus) ein geeigneter Zugang darin, Experimentierräume zu eröffnen. Dabei begreifen wir Experimentierräume als Erfahrungsräume, in denen sich Menschen in kommunikativen und kollaborativen Prozessen – unter Einbezug ihres individuellen Wissens und ihrer Erfahrungen sowie globaler Zusammenhänge – Visionen von einer wünschenswerten Zukunft aktiv ‚ermitteln‘ können. Das Wort ‚ermitteln‘ verwenden wir vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Erfahrungen zwar „in Form von Wissen und Kenntnissen, nicht [aber] als Erfahrungen des Subjekts vermittelbar“ sind. Vielmehr müssen sie durch das Subjekt in seiner „eigenen materiellen oder ideellen Tätigkeit“, also unmittelbar (selbst) gemacht werden (Sandkühler 2010: 565). (*9) Für Situationen, die als Erfahrungsräume inszeniert sind, müsste mit Blick auf die Personen, die sich in diese Räume begeben, der Begriff der Vermittlung daher richtigerweise durch jenen der ‚Ermittlung‘ ersetzt werden. Um Prozesse der ‚Ermittlung‘ zu ermöglichen, muss allerdings der adäquate Rahmen geschaffen werden. Dies ist unseres Erachtens eine Anforderung, die Personen, die diesen Raum eröffnen – die Vermittelnden –, erfüllen sollen/müssen. Um begrifflich klar zu sein, sprechen wir deshalb im Folgenden von Experimentierräumen, für die Ermittlung und Vermittlung im oben beschriebenen Sinne eine Rolle spielen.
In dem Projekt Räume kultureller Demokratie beschäftigt uns nun die Frage, wie solche Experimentierräume an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und Kultur konkret aussehen können. Theoretischer Ausgangspunkt ist der Kulturbegriff im Sinne der Cultural Studies. Dieser geht davon aus, dass Kultur eine dynamische und konflikthafte Praxis ist, die im Alltagshandeln der Menschen ihren Ausdruck findet. Das traditionelle westliche, bürgerliche Verständnis von Kultur ist geprägt von der Differenzierung zwischen vermeintlich ‚Eigenem‘ und ‚Fremden‘ sowie von Hierarchisierung und damit einhergehenden Ausschlüssen (vgl. Mörsch 2016: o.S.). (*8) In solch ein elitäres, von der Idee einer Hochkultur geprägtes Verständnis intervenieren die Cultural Studies.*1 *(1) Sie nehmen die Analyse von Macht und Ungleichheiten, von Ausschlüssen, aber auch von Selbstrepräsentation und Ermächtigung, Solidarität und gesellschaftlicher Verantwortung in den Fokus. Entscheidend ist dabei, dass sie die Gleichsetzung von ‚Kultur‘ mit ‚Hochkultur‘ dezidiert ablehnen. Stattdessen verstehen die Cultural Studies Kultur als umfassende Praxis, als „doing culture“, die alltagskulturell reproduziert wird und eng mit dem Sozialen verbunden ist (vgl. Hörning/Reuter 2004). (*5) Indem damit eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Praktiken in den Blick rückt, wird ein Zugang eröffnet, der künstlerische Ausdrucksformen und alltagskulturelle, mediale Produktionen auf eine Ebene stellt und auch ihre Überschneidungen und Brüche umfasst. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass Menschen in die kulturelle Bedeutungsproduktion und die damit einhergehenden Machtverhältnisse eingreifen können, indem sie selbst Kultur produzieren, werden hegemoniale Strukturen und Ausschlüsse in den Blick genommen und analysiert (vgl. Klaus/Zobl 2019). (*6)
Unter solch einem Kulturbegriff gerahmte Praktiken können das Erreichen des übergreifenden Ziels, gesellschaftlichen Wandel im Sinne von Demokratie, Inklusion und Emanzipation aller Menschen zu erreichen, stützen. Dabei geht es nicht darum, eine Demokratisierung von Kultur – im Sinne einer Erweiterung des Zugangs zu und der Partizipation an dominanten kulturellen Formen und traditionellen Kunstinstitutionen – anzustreben, sondern um die Ausgestaltung einer „kulturellen Demokratie“ (vgl. Gaztambide-Fernandez 2013). (*4) Ihr Ausgangspunkt sind die kulturellen Praktiken, Alltagswelten und Erfahrungen der Citizens*2 *(2) sowie die dringlichen Themen, die sie – uns – beschäftigen und betreffen.
Katharina Anzengruber, Elke Zobl ( 2021): Geschichten ‚mit Zukunft‘. Pop-Up-Erzähllabore als künstlerische Experimentierräume im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/geschichten-mit-zukunft/