Geschichten ‚mit Zukunft‘
Pop-Up-Erzähllabore als künstlerische Experimentierräume im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit
„Am Ende haben die Menschen gesagt, die die Woche über mehrmals da waren: ‚Jetzt ist unsere Anlaufstelle weg.‘“ (Stephanie Müller)
Bushaltestelle und angrenzender Stiftsplatz wurden in Mattsee in der Zeit des Festivals zu einer Art Anlaufstelle: für Besucher:innen des Festivals Supergau, für interessierte Einwohner:innen, vor allem aber für Menschen in Mattsee, die sich wenig ‚gehört‘ fühlen. Letztere kamen immer wieder und verweilten oft sehr lange am Stück. Im Bedauern dieser Menschen darüber, dass mit Ende des Festivals auch die Erzähllabore abgebaut wurden und dem damit einhergehenden Wunsch, weiterhin eine ‚Anlaufstelle‘ zu haben, offenbart sich ein Problem, mit dem wir einerseits im Räume-Projekt konfrontiert sind, das darüber hinaus aber auch in der Reallabor-Forschung prominent thematisiert wird: Reallabore müssten, um Transformationsprozesse adäquat begleiten und per se nachhaltig agieren zu können, langfristig und – ohne dabei an Dynamik einzubüßen – auf Verstetigung hin angelegt sein. Diesem Desiderat stehen die Konventionen entgegen, wie sie die Förderlandschaft im deutschsprachigen Raum derzeit prägen – Projekte werden immer nur über bestimmte, oftmals sehr kurze Zeiträume gefördert. (vgl. das Interview mit Oliver Parodi in diesem eJournal).
Die Rahmenbedingungen, wie wir sie im vom Land Salzburg geförderten Räume-Projekt vorfinden, lassen zu, an verschiedenen Orten in Salzburg temporäre Experimentierräume zu eröffnen, die sich allerdings nach einem sehr begrenzten Zeitraum wieder ‚schließen‘. Ungeachtet der Tatsache, dass wir das Räume-Projekt nicht als Reallabor definieren, sondern uns an Charakteristika dieser Einrichtungen orientieren, gilt dafür dasselbe Desiderat: Um – im wahrsten Sinne des Wortes – ‚nachhaltig‘ agieren zu können, bräuchte es langfristig angelegte, lokale Anlaufstellen – offene Orte der Begegnung, des Austausches, des Miteinander-Tuns und Voneinander-Lernens. Dann ließen sich unsere künstlerischen Experimentierräume, etwa die Erzähllabore, als Realexperimente begreifen und langfristig ‚denken‘.
„Die große Frage […] ist: Wie kann man die Geschichten organisch festhalten?“
„[…] Ich weiß noch nicht, wie das Erfahrene Form annehmen kann. Man kann natürlich etwas in ein Buch schreiben, oder aufnehmen, aber ich überlege noch: Wie kann das ein Vektor werden, sodass mehrere Vektoren dann eine Mauer durchschlagen können? Jetzt mal blumig gesprochen.“ (Klaus Erika Dietl)
Fragen wie diese, von denen anzunehmen ist, dass Klaus Erika Dietl sie nicht nur aus seiner Rolle als Künstler stellt, sondern er wohl auch den Kontext ‚Forschungsprojekt‘, in dem das künstlerische Tun im Räume-Projekt steht, im Hinterkopf hat, beschäftigen uns grundsätzlich sehr. In ihnen spiegeln sich exemplarisch Herausforderungen wider, wie sie sich für Projekte, die an den Schnittstellen von Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft angesiedelt sind, ergeben. Mit Blick auf die Erzähllabore in Mattsee – um beim konkreten Beispiel zu bleiben – war es nicht nur Intention der beteiligten Künstler:innen, diese als offene Räume für Begegnungen und soziale Interaktionen auf Augenhöhe zu inszenieren. Dieser Zugang ist auch dem Räume-Projekt mit dem ihm zugrundliegenden Gedanken, Experimentierräume als ‚Erfahrungsräume kultureller Demokratie‘ zu eröffnen, sehr nah. Gleichzeitig handelt es sich beim Räume-Projekt aber um ein universitär verankertes Forschungsprojekt, ein Kontext, der – wissenschaftliche Verfahrensweisen und Wissensproduktion betreffend – mit bestimmten Erwartungshaltungen und Konventionen, einhergeht. Diese stehen dem Offenen, dem Prozesshaften, dem Nicht-Unmittelbar-Greifbaren und Nicht-Per-Se-Output-Orientierten, wie es für künstlerische Prozesse im hier beschriebenen Sinne konstitutiv ist, entgegen.
Sowohl aus künstlerischer als auch aus wissenschaftlicher Perspektive gilt es im Räume-Projekt deshalb kontinuierlich auszuloten: Wie viel Prozessorientierung ist möglich? Was muss im Rahmen des Projektes an konkreten Ergebnissen entstehen? Reicht es aus, Formate wie etwa die Erzähllabore als solche auszuprobieren und – wie in diesem Text– in ihrer Funktion als Experimentierräume zu reflektieren? Oder: Impliziert das Sammeln von Geschichten nicht immer auch deren Dokumentation und – davon ausgehend – die (Weiter-)Entwicklung von (neuen) Formaten? Wie kann eine solche Dokumentation aussehen? Wird man offenen, oft sehr persönlichen Gesprächen gerecht, wenn man sie beispielsweise streng mitprotokolliert? Und was passiert konkret dann damit?
Katharina Anzengruber, Elke Zobl ( 2021): Geschichten ‚mit Zukunft‘. Pop-Up-Erzähllabore als künstlerische Experimentierräume im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/geschichten-mit-zukunft/