Geschichten ‚mit Zukunft‘

Pop-Up-Erzähllabore als künstlerische Experimentierräume im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit

Hinzu kommen die je unterschiedlichen Erwartungshaltungen der Menschen, die sich ‚in unsere Räume begeben‘ und sie individuell nutzen und ausgestalten (sollen). Welche Bedingungen möchten etwa jene Menschen vorfinden, um über eine Zukunft mit Zukunft zu sprechen und ins Tun zu kommen, die in Mattsee an unseren Erzähllaboren vorbeigegangen sind?

Und nicht zuletzt ist da noch die Herausforderung der Übertragbarkeit der künstlerischen Experimentierräume, beispielsweise der Erzähllabore: Können sie auf andere Kontexte – etwa schulische oder museale – übertragen werden? Was muss kontextbezogen adaptierbar sein? Und: Welche Rolle spielt dabei, welche Person(en) sie jeweils ‚eröffnen‘?

„Wie viel Mut haben wir eigentlich auf das Prozessorientierte?“

„Wie […] drängt sich dann doch wieder diese Suche nach einem Ergebnis mit rein? Was muss am Ende dann, weil es ja auch ein Forschungsprojekt ist, hergezeigt werden? Wie weit darf das in dem Suchen, im Fragen bleiben?“ (Stephanie Müller)

Wenn Stephanie Müller in diesem Zitat noch einmal sehr klar auf den Punkt bringt, worin zentrale Herausforderungen dieses Projektes – wie sie oben bereits angesprochen wurden und ihrerseits alleiniger Forschungsgegenstand sein könnten – bestehen, so sind es in erster Linie die beiden Fragen, die diese Aussage rahmen, die uns als passend erscheinen, um diesen Text abzuschließen und gleichzeitig, im Sinne eines Ausblicks, nächste Projektschritte anzudeuten:

Tatsächlich resultiert aus unseren bisherigen Erfahrungen – nicht nur in Bezug auf Mattsee, sondern den gesamten Projektprozess betreffend – die Erkenntnis, dass sich nicht nur für unsere verschiedenen künstlerischen Experimentierräume das gemeinsame künstlerisch-experimentelle Tun als methodisches Handlungsprinzip im Sinne eines prozesshaften, ergebnisoffenen ‚Ermittelns‘ von wünschenswerten Zukünften als konstitutiv erweist. Auch das Entwickeln und Erproben verschiedener Umsetzungsformate und Materialien selbst muss als ergebnisoffener, gemeinschaftlicher Suchprozess verstanden werden, in dem Verschiedenes ausprobiert, adaptiert, weiterentwickelt, aber auch wieder verworfen werden kann. Die damit verbundenen Unsicherheiten sind nicht immer leicht auszuhalten, hierin besteht allerdings die Spur, die wir versuchen weiterzuverfolgen.

Zusammenfassend erweisen sich für uns neben den Herausforderungen, die Prozessorientierung und Ergebnisoffenheit mit sich bringen, Fragen von Dokumentation, der Umgang mit Erwartungshaltungen und das Abbilden von Vielstimmigkeit als zentral.

Mitte September 2021 eröffneten wir in Seekirchen am Wallersee weitere künstlerische Experimentierräume und konnten wiederum viele neue Erfahrungen sammeln. Die Reflexion der dabei gemachten Erfahrungen und Beobachtungen stellt einen wichtigen weiteren Schritt in unserem Projekt dar, insbesondere in Hinblick auf die Auseinandersetzung und die weitere Diskussion von – im vorliegenden Beitrag aufgeworfenen – Fragen. Fortsetzung folgt.

 

Dank

Wir danken Klaus Erika Dietl, Jan-Phillip Ley und Stephanie Müller für ihre großartige Arbeit in Mattsee und für ihre detaillierten Reflexionen zum dortigen Prozess, die die Basis für diesen Text bilden. Darüber hinaus bedanken wir uns bei Fabian Schmid und dem OTELO Mattsee, das für uns eine wertvolle Andockstation vor Ort darstellte. Unser Dank gilt auch der so großartig motivierten und motivierenden Reallabor-Gruppe sowie dem Projektteam Sandra Kobel (Salzburg Museum), Timna Pachner und Sophia Reiterer (beide Universität Salzburg) für die intensive und produktive Zusammenarbeit.

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Anzengruber, Katharina/Zobl, Elke (erscheint im November 2021): Zukunft mit Zukunft. Künstlerische Experimentierräume und kulturelle Nachhaltigkeit. In: Rauscher, Erwin/Sippl, Carmen (Hrsg.), Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren. Innsbruck, Wien: Studienverlag.

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Di Giulio, Antonietta/Defila, Rico (Hrsg.) (2018): Transdisziplinär und transformativ forschen. Eine Methodensammlung. Wiesbaden: Springer VS.

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Fischer, Daniel/Fücker, Sonja/Selm, Hanna/Storksdieck, Martin/Sundermann, Anna (2021): SusTelling: Storytelling für Nachhaltigkeit. In: Fischer, Daniel/Fücker, Sonja/ Selm, Hanna/Sundermann, Anna (Hrsg.); Nachhaltigkeit erzählen. Durch Storytelling besser kommunizieren? S. 21–36. München: oekom.

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Gaztambide-Fernández, Rubén (2014): Warum die Künste nichts tun. Auf dem Weg zu einer neuen Vision für die kulturelle Produktion in der Bildung. In: Hamer, Gunhild  (Hrsg.): Wechselwirkungen. Kulturvermittlung und ihre Effekte, S. 51–86. München: Kopaed.

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Hörning, Karl H./Reuter, Julia (Hg.) (2004): Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis. Bielefeld: transcript.

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Klaus, Elisabeth/Zobl, Elke (2019): Kritische kulturelle Produktion im Kontext von Cultural Studies und Cultural Citizenship. In: Zobl, Elke/Klaus, Elisabeth/Moser, Anita /Baumgartinger, Persson Perry (Hrsg.): Kultur produzieren. Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion, S. 19–31. Bielefeld: transcript.

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Krämer, Georg (2018): Transformative Bildung: Zwischen Katastrophen-Pädagogik und Subjektorientierung. In: VENRO (Hrsg.): Globales Lernen: Wie transformativ ist es?. Impulse, Reflexionen, Beispiele, S. 12–15. Berlin: VENRO.

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Mörsch, Carmen (2016): Urteilen Sie selbst: Vom Öffnen und Schließen von Welten. In Kultur öffnet Welten. Online unter https://www.kiwit.org/kultur-oeffnet-welten/positionen/position_2944.html, abgerufen am 12.10.2021.

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Sandkühler, Hans Jörg (Hrsg.) (2010): Enzyklopädie Philosophie. Hamburg: Meiner.

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Seitz, Klaus (2018): Globales Lernen als Transformative Bildung für eine zukunftsfähige Entwicklung. In: VENRO (Hrsg.): Globales Lernen: Wie transformativ ist es?. Impulse, Reflexionen, Beispiele, S. 7–11. Berlin: VENRO.

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Quartier Zukunft (Hrsg.) (2020): Dein Quartier und Du. Nachhaltigkeitsexperimente im Reallabor zu Nachbarschaften, Bienen, Naschbeeten, Kreativität und Konsum. Karlsruhe: Scientific Publishing.

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Welzer, Harald (2013): Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt am Main: Fischer.

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Zobl, Elke (2019): Kritische kulturelle Teilhabe. Theoretische Ansätze und aktuelle Fragen. In: Zobl, Elke/Klaus, Elisabeth/Moser, Anita/Baumgartinger, Persson Perry (Hrsg.): Kultur produzieren. Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion, S. 47–60. Bielefeld: transcript.

Mörsch weist darauf hin, dass verschiedene Bewegungen an der Erweiterung des Kulturbegriffs beteiligt waren, wie „die europäischen Bewegungen der Arbeiterbildung, […], die sich gegen die ‚musische Bildung’ abgrenzende ‚kulturelle Bildung’ in der BRD, die lateinamerikanische Befreiungspädagogik oder die Widerstandsbewegungen der Dekolonisierung und der Indigenen“ (Mörsch 2016: o.S.).

Wir beziehen uns hier auf das aus dem angloamerikanischen Raum stammende Konzept der Cultural Citizenship, das zivilgesellschaftliche Ansprüche auf eine Mitgestaltung kultureller Bedeutungsproduktion betont (Klaus/Zobl 2019).

Reallabore bezeichnen „ein Forschungsformat, in dem transdisziplinär geforscht wird und gleichzeitig ein expliziter transformativer Anspruch verfolgt wird“ (Defila/Giulio 2018: 9). Es handelt sich dabei um hybride Gebilde (Projekte, Unternehmungen) an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft. Dementsprechend sind sie partizipativ auf die Beteiligung von Wissenschafter:innen und Akteur:innen aus der Praxis und Zivilgesellschaft angelegt und verfolgen eine dreifache Zielsetzung: die Produktion von Erkenntnissen und Wissen (Forschungsziele), das Anstoßen von Transformationsprozessen (Praxisziele) sowie ein Voneinander-Lernen und Vermitteln (Bildungsziele) (vgl. Defila/Giulio 2018: 11).

Im weiteren Textverlauf verwenden wir auch die Abkürzung Räume-Projekt zur Bezeichnung des Projektes Räume kultureller Demokratie.

Realexperimente sind der Kern von Reallaboren. In ihnen werden Innovationen erprobt und in Bezug auf ihre Übertragbarkeit auf andere Kontexte überprüft. Sie sind demnach stark selbstreflexiven Charakters und können temporär und/oder langfristig angelegt sein. Zentral ist es, in diese Realexperimente verschiedene Beteiligungsformate mit je unterschiedlicher Beteiligungsintensität zu integrieren.

Um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie Reallabore umgesetzt werden können, empfehlen wir die Website der Plattform Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit: https://www.reallabor-netzwerk.de.

Dem Geschichtenerzählen wird in Nachhaltigkeitskontexten – dann vielfach unter dem Begriff ‚Storytelling‘ gefasst – große Bedeutung beigemessen. Storytelling wird zum einen dazu herangezogen, „um ganz konkrete Lösungsansätze für komplexe und verzwickte (wicked) Nachhaltigkeitsherausforderungen zu entwickeln, [ist] zum anderen jedoch daran geknüpft, Menschen in eine Auseinandersetzung mit diesen komplexen Problemstellungen zu bringen und sie an der Ko-Produktion möglicher Lösungen zu beteiligen“ (Fischer et al. 2021: 22). Die Ziele, die damit einhergehen, sind demnach „bildend auf Rezipierende zu wirken (Bildungswirkung) und den Wandel im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu fördern (Nachhaltigkeitswirkung)“ (Fischer et al. 2021: 27). Wenngleich dem Storytelling im hier beschriebenen (und den Diskurs um Storytelling und Nachhaltigkeit im Allgemeinen prägenden) Sinne also auch eine ‚aktivierende‘ Funktion zukommt, so steht doch die Wirkungsorientierung im Vordergrund – und damit einhergehend der Moment der ‚Übermittlung‘ im Sinne von: „Mit welchen erzählerischen Strategien kann der:die Erzähler:in bei den Rezipient:innen einen möglichst starken Effekt erzielen und sie dazu motivieren zu handeln?“. Wir versuchen im Räume-Projekt ein Stück weit den ‚umgekehrten‘ Weg zu gehen, also nicht Erzählstrategien zu nutzen, um komplexe Probleme verständlich aufzubereiten und die Menschen dazu zu bewegen, sich an deren Lösung zu beteiligen, sondern unmittelbar bei ihnen anzusetzen. Da dieser Zugang also nicht den – wenngleich auch sehr breit gefächerten – Konzepten von Storytelling entspricht, verwenden wir das deutsche Pendant „Geschichtenerzählen“.

Katharina Anzengruber, Elke Zobl ( 2021): Geschichten ‚mit Zukunft‘. Pop-Up-Erzähllabore als künstlerische Experimentierräume im Kontext von Klimawandel und Nachhaltigkeit . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 12 , https://www.p-art-icipate.net/geschichten-mit-zukunft/