Go Public mit WK.

Ein Gartenhaus und seine Folgen: Kassel 2012

Streng genommen hätte WK die Einladung gar nicht annehmen dürfen. Aber dann – documenta-Jahr, das Thema schien ja wie maßgeschneidert, endlich auch mal wieder eine große Klausur, in sechs Wochen lässt sich schon was anderes auf die Beine stellen als in drei … Geld spielte für diese Institution jedenfalls keine so große Rolle. Wenn schon Kunst, dann richtig … Wenn schon WochenKlausur, dann keine Gesprächsrunden, von denen es eh schon genug gibt, sondern handfeste Ergebnisse …

Ein Konzept wurde entwickelt, den potentiellen Gastgebern zur Begutachtung überlassen, das ist auch Usus bei jeder Klausur, und schlussendlich auf Basis dieses Konzeptes ein Vertrag abgeschlossen. Sechs Wochen in Kassel. Ziel: Zwei SozialarbeiterInnen sollen am Lutherplatz, einem sogenannten „sozialen Brennpunkt“, wo sich drogen- und alkoholkranke Menschen treffen, Hilfe anbieten, für Konfliktreduktion sorgen und die Kommunikation zwischen allen Platznutzergruppen verbessern – eingeschlossen die MitarbeiterInnen des Stadtkirchenamtes, einer kirchlichen Erwachsenenbildungseinrichtung und der Lutherkirchengemeinde. Es ist ihr Platz. Die Kirche ist Grundeigentümerin und damit Hausherrin, wenn man so will.

„Die Kirche“ wünschte sich eigentlich einen Ort, wo Familien im Sommer picknicken, wo Boule gespielt wird, wo man vielleicht auch noch gut essen kann, eine kleine urbane Erholungsoase … Sie wünschte sich das, was ich mehrfach als „positives Leben“ formuliert gehört habe. Dass „diese Menschen“ auch irgendwo hinmüssen, auch einen Platz brauchen, das wurde gar nicht in Abrede gestellt. So ein Platz sollte nur möglichst außer Sicht- und Erlebnisweite liegen. An alldem schuld sei überhaupt die Stadt, so der Tenor, die mit ihrer konsequenten Vertreibungspolitik die Leute auf kirchliches Territorium gedrängt habe und die Kirche mit dem Schaden sitzen lässt. Seitens der Ordnungspolitik der Stadt schien man froh, dass es den Lutherplatz gibt, irgendwo müssen „diese Menschen“ ja hin (und wenn sie aus der Innenstadt raus sind, umso besser).

Als WK nach Kassel kam, war dieser Ort längst zum schlagzeilengenerierenden Dauerbrenner in der Lokalpresse avanciert. Zwei Initiativen des Bürgermeisters, die viel Geld kosteten, und das bei Ebbe in der kommunalen Kasse, wurden noch vor ihrer geplanten Realisierung in Grund und Boden kritisiert. Der Diskurs hatte sich destruktiv verkantet, und der Frustpegel lag bei allen Beteiligten hoch. Und mittendrin, im Abseits, all jene Leute, die mit ihrem Anblick das Stadtbild stören, die sich einen Platz wünschten, wo sie in Ruhe gelassen werden. Im Idealfall einen rechtsfreien Raum …

In diese komplexe Interessenslage tauchten wir ein. Zum Glück hatten wir uns vorab noch mit Leuten von der Suchthilfe Wien getroffen, wenigstens ein bisschen Rüstzeug mitnehmen. Vor Ort dann waren vor allem Diplomatie und Verhandlungsgeschick gefragt und ein dickes Fell. Erst mal die Lage sondieren. Hören, was alle Beteiligten zu sagen haben. Die Gruppe, wieder in neuer Zusammensetzung, tauschte sich permanent aus. So hatte ich das noch nicht erlebt. So viele Eindrücke, die man vor lauter Zielorientierung gar nicht verarbeiten kann. Ich konnte viele Sorgen verstehen und Ängste nachvollziehen, ich war aber auch schockiert über das, was ich hörte. Auch seitens der Kirche. Keine Sozialarbeiterin und keinePolitikerin zu sein und als „freie Künstlerin“ zu agieren, das mag sicherlich Vorteile haben, aber ich empfand den Druck, das hinzukriegen, sehr hoch. Hier hingen Menschen davon ab, dass „die Künstler“ nicht versagen, so kam es mir vor. Und wieder das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Unter Beobachtung zu stehen.

Das große Dilemma in Kassel: WK hatte eine Einladung der Evangelischen Kirche angenommen und sollte damit quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das Documenta-Rahmenprogramm der Kirche bedienen und „das Problem“ am Lutherplatz zu lösen. Dadurch aber fehlte der Gruppe der neutrale Boden, der Rückzugs- und Schutzort, den eine Kunstinstitution bieten kann. Man verstand uns als teilweise als Auftragnehmer, wir aber sahen uns frei – eine schwierige Situation, noch dazu wenn der „Auftraggeber“ etwas in Auftrag gegeben hatte, was wie sich dann vor Ort herausstellte gar nicht erwünscht schien. Das war die eine Front – die interne, die es zu knacken galt. Die andere bestand zwischen Stadt und Evangelischer Kirche, jedenfalls was den Lutherplatz betraf. Denn diese beiden Seiten mussten ins Boot, sollten die Finanzierung der Sozialarbeit gemeinsam übernehmen. So jedenfalls der Plan …

Nadja Klement ( 2013): Go Public mit WK.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/go-public-mit-wk/