Graphic Novel und ‚high‘ vs. ‚low‘ (23.3.2017)
In unserem letzten Logbucheintrag haben wir erste Überlegungen zu einer Parallelisierung des Feldes der Literatur- und jenem der Comicproduktion angedeutet. Darauf kommen wir zurück, indem wir die derzeit zu beobachtende Differenzierung zwischen Graphic Novels und Comics als Spaltung in ‚high‘ und ‚low‘ verstehen, auf die unter anderem Thomas Hausmanninger bereits hingewiesen hat (vgl. Hausmanninger 2013). (*14) Die Etikettierung als Graphic Novel bewirkt eine stärkere Assoziation mit dem Feld der Literatur als der Begriff ‚Comic‘; damit wollen Graphic Novels gewissermaßen als Teil der Hochkultur legitimiert sein. Damit greift das Feld der Comics auf die Sphäre des Literarischen zurück, um die eigene hochkulturelle Legitimität zu betonen – und dies vor allem in Zusammenhang mit jenen Comics, die als Graphic Novels firmieren: Als lettres de noblesse werden beispielsweise Rezensionen in literarischen Rubriken und Prämierungen durch Literaturpreise verstanden, so z.B. der Pulitzer-Preis 1992 für Spiegelmans Maus sowie der Literaturpreis von The Guardian (Kategorie Roman) 2001 für Chris Wares Jimmy Corrigan (vgl. Smolderen 2006: o. S.). (*18) Mancherorts werden Graphic Novels als eine neue Form von Literatur verstanden und (‚herkömmlichen‘) Comics gegenübergestellt (vgl. Smolderen 2006) oder aber, wenn Graphic Novels doch noch zum „breiteren Feld von Comics“ (Baetens 2011: 1138) (*1) gezählt werden, als das aktuellste ‚Entwicklungsstadium‘ dargestellt. In diesen Zuschreibungen manifestieren sich also zugrundeliegende Dichotomien, die durch die jeweiligen Zuschreibungen weiter gefestigt werden.
Teil dieser Aufwertung von Graphic Novels ist die Abgrenzung gegenüber dem Gros der Comicproduktion mit einer stark industriellen Prägung, für welche beispielsweise US-amerikanische Mainstream-Superheldencomics paradigmatisch sind: Sie werden oftmals unter dem Signum der Anonymität (unterschiedlichste Menschen arbeiten gleichzeitig an den seriell gefertigten Comics) in großen Studios und in Arbeitsteilung (Szenarist_innen/Zeichner_nnen/Kolorist_innen etc.) produziert. Indem diese einer Aura im Benjamin’schen Sinn entbehren, stehen ihnen die stärker kunsthandwerklich verstandenen Graphic Novels in der gegenwärtig produzierten Dichotomie auch hinsichtlich des Aspektes der Fertigung gegenüber. Eine oberflächliche Gegenüberstellung zwischen industriell geprägten Comics und Graphic Novels lässt Unterschiede zwischen zahlreichen Nuancen der künstlerischen Ausdrucksformen verschwinden. Der große Teil der Autorencomics wird dabei indirekt ausgeblendet. Der ‚künstlerische Wert‘ von Autorencomics ist mittlerweile unbestritten und wird beispielsweise mit Namen wie Alberto Breccia oder Robert Crumb verbunden.
Durch die Annahme einer Dichotomie zwischen Graphic Novels und Comics werden nun also nicht nur ästhetische Unterschiede behauptet, sondern auch charakteristische Ästhetiken postuliert – mit Blick auf die vielfältige Comicproduktion sind diese jedoch nicht haltbar. Die Website des Goethe-Instituts führt beispielsweise folgende Definition Sebastian Oehlers aus dem Jahr 2010 an: „Graphic Novels sind Comics. Aber eben nicht die lustigen, von einem Hauch des Trivialen umgebenen Geschichten von Donald Duck, Asterix und Fix und Foxi, wie man sie noch aus der eigenen Kindheit kennt: meist in Heftchen- oder Albenform erschienen, am Kiosk erstanden und vielleicht verschämt vor Eltern und Lehrern versteckt.“ (Oehler 2010)*15 *(15) Wenngleich es sich hierbei nicht um eine wissenschaftliche Definition handelt, ist doch ersichtlich, inwiefern die Einführung der Kategorie Graphic Novel zu einer Wahrnehmung des Comic außerhalb von Spezialdiskursen (z.B. in der Comicforschung) führt. In dieser Hinsicht ist dieser Passus bemerkenswert, da in dreifacher Hinsicht Wertung erfolgt: ästhetisch, psychologisch und materiell. Die ästhetische Frage betrifft das Attribut des Trivialen, in die auch Strategien des Komischen (sie sind „lustig“) gerückt werden; die psychologische Komponente spricht das Argument an, Comics müssen vor den Eltern (vulgo literaturästhetisch kompetentere Autoritäten als Kinder) versteckt werden. Schließlich insinuiert der Diminutiv „Heftchen“ eine materielle Komponente, die als minder-wertig konnotiert ist. Comics bleiben – zumindest außerhalb von Spezialdiskursen – also scheinbar nach wie vor in der „lowbrow“-Kultur (Baetens 2011: 1140) (*1) verhaftet. In Thierry Groensteens Kritik an den „legitimizing authorities (universities, museums, the media)” wird festgestellt, dass diese „still regularly charge it [Comics] with being infantile, vulgar, or insignificant. This as if the whole of the genre were to be lowered to the level of its most mediocre products – and its most remarkable incarnations ignored.” (Groensteen 2009: 3) (*10) Die Problematik, die Groensteen formuliert, wird durch die Einführung des Begriffs Graphic Novel als explizites Qualitätskriterium insofern verstärkt, als damit dichotomische Zuschreibungen verfestigt werden.
Bettina Egger, Johanna Öttl ( 2017): Graphic Novel. Zur Popularisierung eines neuen Begriffs. Ein Wissenschaftslogbuch. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 08 , https://www.p-art-icipate.net/graphic-novel-zur-popularisierung-eines-neuen-begriffs/