HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit
Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich
Wie die Vorstellungen über postmigrantische Rapper auch innerhalb der österreichischen HipHop- und Rap-Szene herausgefordert werden, illustriert das folgende Zitat:
Wenn ich denen [Wiener Rappern, Anm.] was auf Türkisch vorrappen würde, würden sie sagen, was ist das für ein Blödsinn. Ich solle mich schleichen, sie verstehen nichts. Ja, das ist so. Du musst der Wahrheit ins Auge sehen. Das ist einfach so. […] Aber das sorgt auch ein bisschen für Aufmerksamkeit, wenn ein Türke Wienerisch rappt. Oder, wenn sich dann Wiener Rapper denken: Oida, a Türk rappt auf Wienerisch!? Bist du deppat, wo gibt es denn so was? (lacht) (Esref Balkan)
Durch die Veröffentlichung von deutsch- und türkischsprachigen Rap-Songs werden dominante Vorstellungen über postmigrantische Identitäten infrage gestellt, die davon ausgehen, entweder ÖsterreicherIn oder Türke/Türkin sein zu müssen und demzufolge eben nur eine Sprache für Songtexte zu verwenden. Den Hintergrund dieser Vorurteile bilden hegemoniale politische und mediale Diskurse über (Post-)MigrantInnen und das diesen Diskursen zugrunde liegende nationale und räumlich fixierte Kulturverständnis.
Vorurteile und dominante Annahmen über migrantische Identitäten werden aber auch durch die Thematisierung von erlebten Rassismen zurückgewiesen. Dieses Moment der kulturellen Politik der lokalisierten HipHop-Linguistics verweist auf den US-amerikanischen HipHop-Ursprung in der Bronx. Nasihat Kartal orientiert sich in doppelter Hinsicht an diesem Ursprung, indem er sich sowohl mit den musikalischen, stilistischen und sprachlichen Aspekten der HipHop-Kultur identifiziert, als auch mit der Widerständigkeit der RapperInnen gegen rassistische Politik:
Die ersten Rapper in Amerika waren unterdrückte Menschen. […] Das war wahrscheinlich ein Grund, warum diese schwarzen Menschen angefangen haben zu rappen. Sie haben über die Probleme, die Ghettos usw. gerappt. Wenn du als Migrant in Österreich lebst, egal ob du da geboren bist oder nicht, erlebst du automatisch Rassismus. Das ist so. Obwohl ich in Salzburg geboren bin, mein Leben lang schon in Salzburg lebe, erlebe ich heute noch Rassismus. […] Wenn du so was erlebst, das ist ein Problem und automatisch sprichst du das auch in deinen Texten an. (Nasihat Kartal)
Die Rassismuserfahrungen werden in türkischer und/oder deutscher Sprache bzw. im lokalen Dialekt sowie durch die Übernahme von US-amerikanischen Slangwörtern wie „cop“, „bitch“ oder „motherfucker“ vermittelt, wie etwa in den Rap-Songs F.D.P. – Fick die Polizei von der HipHop-Formation Bludzbrüder, Unkraut von Esref Balkan oder Simsalabimbo von Azman und Noli.
Diesen Mix aus Türkisch, Deutsch und amerikanischem Englisch beschreibt Ayhan Kaya in seiner Studie über die türkische HipHop-Kultur in Berlin als „a verbal celebration of ghetto multiculturalism, twisting German, Turkish and American slang in resistance to the official language“ (Kaya 2001: 147; zit. n. Pennycook/Mitchell 2009: 36) (* 19 ). Mit diesen Songs schreiben sich die Rapper in die bereits vorhandene Geschichte über HipHop ein, gleichzeitig stellt die lokalisierte Variante der HipHop Linguistics die globale Dominanz des englischsprachigen HipHop infrage, weil sie letzteren mit bereits existierenden lokalen Elementen der österreichischen Popularkultur wie etwa der Austropop-Tradition und Elementen der „parent culture“ verweben. Letzteres zeigt sich in der kritischen Auseinandersetzung mit der Migrationsgeschichte und der Kultur der Elterngeneration, die seit den 1960er Jahren nach Österreich kam. Im Lied HİÇ BİR NASİHAT VEREN YOKMU nimmt Nasihat Kartal eine kritische Haltung gegenüber MigrantInnen mit mangelnder deutscher Sprachkompetenz ein, die er auf ihre Lebenseinstellung zurückführt:
HİÇ BİR NASİHAT VEREN YOKMU
(Auszug aus den Lyrics, Übersetzung aus dem Türkischen von Nasihat Kartal)
[…]
mein Thema sind die Gastarbeiter, also geht es um uns alle/
deshalb werde ich in der WIR Form sprechen/
es war einmal, es war kein mal/
wenn wir zurückblicken, also in die 1960er/
kommen wir in einer schwierigen Zeit an/
wo unser Platz nicht klar war/
putzen, Geschirr abwaschen waren unsere ersten Jobs/
der Plan war klar; Geld verdienen und in die Heimat zurückkehren/
mittlerweile sind ca. 40 Jahre verstrichen/
wir träumen noch immer vom Zurückkehren/
[…]
Nasihat Kartal beschreibt das Leben der „FremdarbeiterInnen“ in Österreich und ihre Vorstellung, mit dem verdienten Geld wieder in das Ursprungsland zurückzukehren; den Erwerb fundierter Deutschkenntnisse erachteten viele aus dieser Generation von MigrantInnen als zweitrangig. Der im Rap-Song vermittelte Lebensstil der Elterngeneration referiert auf die reale Erfahrung der befragten Postmigranten. Der in Wien lebende Sänger iBos, der mit unterschiedlichen HipHop-Formationen in Wien wie Sua Kaan, Bludzbrüder oder Weisssgold kooperiert, thematisiert diese Erlebnisse und sein Bestreben, nicht aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse diskriminiert werden zu wollen:
Ich habe mir mit meiner Sprache sehr viel Mühe gegeben, weil ich das mitbekommen habe, wie meine Mutter und mein Vater wegen ihrem Akzent und wegen ihrer Grammatikfehler ausgegrenzt worden sind. (iBos)
Der „dritte Raum“, den die Rapper durch die Entwicklung einer lokalisierten Variante der HipHop Linguistics produzieren, erlaubt es, eine kritische Position gegenüber der ersten Generation von MigrantInnen, der Elterngeneration, und deren Vorstellungen über (Arbeits-)Migration und die Rückkehr in ihr Ursprungsland einzunehmen. Wesentliche Elemente für den „dritten Raum“ bzw. die „in-between“-Position der postmigrantischen HipHopper sind zudem die Vorstellung von HipHop als authentische „street culture“ und die Entwicklung einer spezifischen Form von Männlichkeit. Beides wird in zahlreichen Videos der Rapper deutlich.
Rosa Reitsamer, Rainer Prokop ( 2013): HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit. Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/hiphop-linguistics-street-culture-und-ghetto-mannlichkeit/