HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit
Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich
HipHop als authentische „Street Culture“
Die Rapper thematisieren in ihren Songs häufig ihre Erfahrungen als Postmigranten in Wien. Als Kulisse werden in den Videos die im HipHop verbreiteten städtischen Klischeebilder eingesetzt, wie etwa Rapper auf Hochhäusern, auf Straßen, in eingezäunten Sportplätzen, verlassenen Parks oder vor Graffiti-Wänden. Diese Kulissen rufen eine globale kollektive Identität des HipHop wach, sie sind aber auch „ein Ausstattungsmerkmal, ein theatrales Mittel, um lokale Identität herzustellen und den Glauben an Authentizität zu befördern“ (Klein/Friedrich 2003: 87) (* 17 ). Ein zentrales Referenzsystem der Wiener Rapper ist der Verweis auf die Bezirke, in denen sie leben. Der Name der HipHop-Formation Stonepark 12 beispielsweise referiert auf einen Park im zwölften Wiener Gemeindebezirk Meidling, der Rap-Song WIEN10 von R-KAN lässt sich als „Hymne“ auf seinen Lebensraum, den zehnten Wiener Gemeindebezirk Favoriten, verstehen. In zahlreichen Videos stehen die Rapper auf einem Hochhaus oder sie gehen durch die Parks und Straßen von Meidling, Ottakring oder Brigittenau, wobei der Bezirk als multikulturelle und multilinguale Heimat porträtiert wird, wie etwa im Song Selam von Mevlut Khan (Refrain):
Selam aleikum, ich bin Mevlut Khan,
1988 geboren in OTK [Ottakring, Anm.].
Seit dem ersten Tag leb ich mit Kupos,
Türken, Albanern, Arabern und Jugos.
Ich hab noch nie einen Bruder verraten,
deshalb schätzen mich viele auf diesen Straßen.
Das ist mein Tagebuch, meine Geschichte,
all diese Droogs [друг, russischer Begriff für Freund, Anm.] erleben, was ich berichte.
Auf die Identifikation der Rapper mit einem bestimmten Stadtgebiet verweist auch Rupa Huq (2003) (* 16 ) in ihrer Studie über französischen HipHop. Sie untersucht dieses Phänomen in den Banlieues, den verarmten Vororten von Paris. Die Rapper, afrikanische Franzosen und Französinnen der zweiten Generation, sind stolz auf die Banlieues und ihre geografische Verortung im städtischen Raum, denn das Bild von Banlieues als verarmt und „gefährlich“ vermittelt Originalität und Authentizität. Im Unterschied zu US-amerikanischen urbanen Ballungsräumen, in denen People of Colour die „street culture“ des HipHop in der Innenstadt entwickelten, sind es in Paris oder London die Außenbezirke und Vororte, in denen sich MigrantInnen ansiedeln.
In Wien lässt sich die „soziale Geographie“ (Rommelspacher 1995) (* 23 ), die über die Trennung der Lebenssphären von MigrantInnen und Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft hergestellt wird, auf die häufig anzutreffende Verweigerung von HausbesitzerInnen, ihre Wohnungen an MigrantInnen zu vermieten, zurückführen sowie auf die bis 2006 für den kommunalen Wohnbau der Stadt Wien geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die es MigrantInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft verunmöglichten, Gemeindewohnungen zu mieten. Die Identifikation der HipHopper mit ihrem Heimatbezirk ist aber nicht nur ein Ergebnis der „sozialen Geographie“ Wiens, sie korrespondiert auch mit den Erfahrungen der Musiker, die der Sänger iBos im folgenden Zitat pointiert ausdrückt:
Dadurch, dass wir hier Ausländer sind, ist es nicht wirklich unser Österreich. Kein Türke wird sich mit ,mein Österreich‘ brüsten. Dafür wurden wir schon viel zu oft und viel zu lange von anderen Österreichern als Kanaken [beschimpft]. (iBos)
An die Stelle der Identifikation mit Österreich tritt jene mit dem Bezirk, die iBos als „Kompensation“ beschreibt:
Dadurch, dass wir keinen nationalen Stolz erleben und leben konnten oder durften und die Türkei schon lange nicht mehr unser Vaterland ist, haben wir kompensiert, indem wir unsere Bezirke zu unserer Heimat gemacht haben. Der 20. Bezirk, das ist mein Bezirk. (iBos)
Die Identifikation mit ihrem Heimatbezirk steht zudem vor dem Hintergrund, dass viele der postmigrantischen HipHopper in beengten Wohnsituationen aufgewachsen sind, die ihnen kaum Raum für die Entfaltung einer Privatsphäre ermöglichten. Eine für männliche Jugendliche idealtypische Reaktion auf diese Wohnsituation ist es, den öffentlichen Raum, die Straße und die Parks, für ihre Freizeitaktivitäten zu nutzen. Es verwundert daher kaum, dass die HipHopper in vielen Videos ihre Sozialisation und ihre Erfahrungen von Ausgrenzung und Rassismus mit der Identifikation mit ihrem Heimatbezirk verweben. Als Blaupause für dieses dichte Gewebe zur geografischen und identitären Selbstverortung dient häufig der US-amerikanische Gangsta- und Street-Rap, wobei der Bezirk als „Ghetto“ stilisiert wird und Themen wie (Polizei-)Gewalt, Geld und Drogen verhandelt werden. Diese Videos zielen darauf ab, eine lokalisierte Variante der authentischen urbanen Straßenkultur zu produzieren. Sie transportieren aber auch eine spezifische Ausprägung von Männlichkeit – eine „Ghetto-Männlichkeit“.
Rosa Reitsamer, Rainer Prokop ( 2013): HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit. Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/hiphop-linguistics-street-culture-und-ghetto-mannlichkeit/