HipHop Linguistics, Street Culture und Ghetto-Männlichkeit

Zur Bedeutung von postmigrantischem HipHop in Österreich

Männlichkeit, halten Raewyn Connell und James W. Messerschmidt (2005)star (* 9 ) fest, wird über die soziale Produktion von Relationen zu Weiblichkeit einerseits und zu anderen Männlichkeiten andererseits hergestellt, und sie erlangt durch die hierarchische Anordnung dieser Relationen ihre gesellschaftliche Bedeutung und Wirkmächtigkeit. In den Videos der postmigrantischen Rapper wird „Ghetto-Männlichkeit“ mit spezifischen Eigenschaften verbunden, durch die sich die HipHopper sowohl von Weiblichkeit als auch von anderen Männlichkeiten, vor allem homosexueller, abgrenzen. Exemplarisch zeigt sich die Verbindung der „Ghetto-Männlichkeit“ mit Stärke, Härte und Durchsetzungsvermögen sowie die Abgrenzung von homosexueller Männlichkeit im Videoclip zum Rap-Song Balkanaken von Platinum Tongue und Mevlut Khan. Die HipHopper sind mit Schlagstöcken und einem Kampfhund zu sehen, sie machen symbolisch Gebrauch von Schusswaffen und rappen die Textzeilen „Pass gut auf, wenn du in meinen Block musst, Ottakringer Straße – klick, klack, Kopfschuss“ und „Das sind Raps von der Straße, Raps von den Parks, Raps von den Ausländern. Das ist kein Rap von Homo-Tunten, sondern Rap von Draufgängern“. Der Einsatz dieser aggressiven visuellen Stilmittel lässt sich als eine „kämpferische“ Behauptung der gesellschaftlichen Position als Postmigranten in Österreich verstehen, die textliche Referenz auf den Bezirk als symbolische Aneignung und Verteidigung jenes Territoriums, das sie als ihre Heimat definieren.

Diese translokale kulturelle Praxis des HipHop im Allgemeinen und des Gangsta- und Street-Rap im Besonderen verweist auf Kompetitivität, einen zentralen Modus zur Konstruktion von Männlichkeit (vgl. Heilmann 2011).star (* 12 ) Das Ritual des Wettbewerbs, das sich in den „Battles“ der HipHopper wie in den Rap-Songs selbst manifestiert, erfüllt dabei eine doppelte Funktion: Es bringt die Rapper in Konkurrenz und positioniert sie in hierarchischen Relationen zueinander, gleichzeitig zieht der Wettbewerb eine homosoziale Vergemeinschaftung nach sich. Verstärkt wird diese homosoziale Vergemeinschaftung der Rapper durch die Verbindung der „Ghetto-Männlichkeit“ mit einem Ehrenkodex, der sich über „Respekt“ und die Absage an den „Verrat“ ausdrückt. Im Interview beschreibt Esref Balkan diesen Ehrenkodex mit dem Begriff „street credibility“:

Street credibility ist das Leben auf der Straße, die Regeln auf der Straße, wie man sich zu verhalten hat, was man alles machen darf, was man für Risiken eingeht, worauf man achten muss. Die größten Sachen auf der Straße sind Verrat und Respekt. Man darf niemanden verraten und man muss versuchen, Respekt zu zeigen. Man muss der Straße Respekt zeigen. Auf der Straße, so dumm es auch klingt, herrschen andere Regeln. (Esref Balkan)

Dass die Straße als öffentlicher Raum für die authentische performative Darstellung der „Ghetto-Männlichkeit“ wahrgenommen wird, spiegelt sich auch in den Rap-Texten und -Videos wider. Dem gängigen Gangsta- und Street-Rap-Klischee folgend sind Frauen in den Videos entweder abwesend oder sie nehmen die Position der Tänzerinnen in sexualisiertem Outfit ein, in den Texten werden sie häufig abwertend als „bitches“ oder „pussies“ bezeichnet. „Street credibility“ wird folglich männlichen HipHoppern zugeschrieben, die dieses „subkulturelle Kapital“ (Thornton 1996)star (* 25 ) verkörpern und in den Videos gemeinsam mit ihren Crews durch ihre Song-Texte und ihren Habitus zur Aufführung bringen.

Die Crew dient den HipHoppern als eine lokale Ressource für Identitätsbildung und die Absicherung der „Ghetto-Männlichkeit“, denn innerhalb der Crew sind Zusammenhalt und „Respekt“ zentrale Werte. Als eine neue Form der Familie stellt die Crew ein Unterstützungssystem dar, sie ist geformt durch interkulturelle Verbindungen, die, wie bei Banden und Gangs, Unterstützung in einer komplexen sozialen Umgebung gewährleistet (Rose 1994: 34)star (* 24 ). Die Crew, die Zugehörigkeit zu dieser und ihre Werte, werden in den Videos performativ inszeniert, in den Rap-Songs thematisiert und sie spielen im realen Leben der HipHopper eine wesentliche Rolle.

Viele retten ihr Leben mit HipHop. Viele werden mit HipHop von der Straße geholt, wo einer z.B. richtig am Abkacken ist, weil er Drogen vercheckt oder keine gescheiten Freunde hat. […] Da gibt es einen kleinen Jungen […], den ich von der Straße hergeholt habe. Er gehört jetzt zu uns. Wir nennen ihn Adoptivkind. (Esref Balkan)

Als „posttraditionale Form der Vergemeinschaftung“ (vgl. Hitzler et al. 2005star (* 13 ); Pfadenhauer 2011star (* 21 )) reagiert die Crew auf gesellschaftliche Individualisierungsprozesse und agiert als soziales Netzwerk, indem sie u.a. postmigrantische junge Männer aus problematischen sozialen Kontexten in die lokale HipHop-Kultur eingliedert. Im Unterschied zur Selbstorganisation der ersten Generation von MigrantInnen, die Ljubomir Bratic (2001)star (* 6 ) als „Defensivorganisation“ beschreibt, die sich in der Gründung von Kulturvereinen, Sport- und ArbeiterInnen-Clubs manifestiert und primär auf die Aufrechterhaltung der Volkstraditionen des Herkunftslandes und die Pflege der Muttersprache abstellt, basiert die Zugehörigkeit zu einer Crew nicht auf diesen traditionell üblichen Bindungen und Verpflichtungen. Die Crews der befragten postmigrantischen HipHopper resultieren aus der Übersetzung der männlich konnotierten Werte der globalisierten HipHop-Kultur in den lokalen Raum und der als „richtig“ erachteten Verhaltensweisen wie die Einhaltung der „street credibility“. Neben diesen Werten und Verhaltenskodizes wird innerhalb der Crew zudem ein Konglomerat aus Wissen und Techniken durch die globale HipHop-Kultur und die lokale HipHop-Szene vermittelt. Diese Kompetenzen sind Bestandteil des Alltagswissens der Crew-Mitglieder und haben vorrangig innerhalb der HipHop-Szene ihre Nützlichkeit. Sie können teilweise aber auch außerhalb der Szene, im Alltag der Rapper eingesetzt werden. Die von Esref Balkan mitbegründete Crew Eastblok Family besteht aus Mitgliedern mit unterschiedlichen Migrationshintergründen. Diese heterogene Zusammensetzung erlaubt es, Wissen über die jeweiligen Herkunftsländer der Eltern zu vermitteln:

Natürlich versucht man, ein bisschen Geschichte beizubringen, wenn jemand was wissen will. Dann versucht man […] ihm weiterzuhelfen, was damals in der Türkei oder […] den ex-jugoslawischen Ländern oder Rumänien und so los war. (Esref Balkan)

Crews fungieren für die postmigrantischen HipHopper als „affinity spaces“ (Gee 2004)star (* 10 ), weil sie als informelle Lernorte für den Austausch und die Akkumulation von Informationen, Wissen oder kulturellen Artefakten genutzt werden. Unsere Interviewpartner erwähnten, dass einige HipHopper durch das Verfassen von Rap-Texten ihre Deutschkenntnisse verbessern und u.a. auch detaillierte Einblicke in die Musikproduktion erhalten. Kompetenzen wie diese werden über Face-to-Face-Interaktionen innerhalb der jeweiligen Crew, aber auch durch Kooperationen mit anderen Crews weitergegeben.

Die „Ghetto-Männlichkeit“ der postmigrantischen Rapper, die mit den Songs und Videoclips über die Inszenierung von „street credibility“, Härte und Durchsetzungsvermögen sowie die Abwertung von Weiblichkeit und homosexueller Männlichkeit transportiert wird, korrespondiert jedoch nur in Ansätzen mit dem idealisierten Bild erfolgreicher „hegemonialer Männlichkeit“ (Connell 2000)star (* 8 ) in unserer Gesellschaft. Die hierarchischen Relationen gegenüber Weiblichkeit einerseits und homosexueller Männlichkeit andererseits bewirken, dass sich bestimmte Formen von Männlichkeit als hegemonial konstituieren, während durch gesellschaftliche Kategorien wie Ethnizität, Schichtzugehörigkeit oder Sexualität abweichende Männlichkeiten untergeordnet und marginalisiert werden. Das bedeutet, dass der migrantische Hintergrund, die Schichtzugehörigkeit und die Rassismus-Erfahrungen der postmigrantischen Rapper eine Inszenierung von „hegemonialer Männlichkeit“ verhindern. Vor diesem Hintergrund lässt sich die „Ghetto-Männlichkeit“ als integraler Bestandteil des „dritten Raums“ bzw. der „in-between“-Position der postmigrantischen Rapper verstehen.

 

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