„Ich sehe da die Möglichkeit der Buntheit …“

Conny Felice im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger.

Wenn du an Schule der Vielfalt oder Vielfalt im Beruf denkst, was ist da eure Praxis in Bezug auf kulturelle Teilhabe? Was macht ihr, um diesen Bereich zu öffnen? Zum Beispiel methodisch?

Die Workshops der beiden Projekte sind eine sehr interaktive Herangehensweise, wo man die Menschen dort abholt, wo sie sind. Das hört sich komisch an, aber wir versuchen, sie mit etwas auszustatten, was ihnen tatsächlich einen Mehrwert gibt, wo sie auch wirklich mehr wissen und vielleicht andere Positionen verstehen und vertreten können. Der Perspektivenwechsel ist immer wichtig. Die Teilnehmenden sind vom ersten Moment an gefordert, Fragen zu stellen. Wir werfen ganz oft Fragen hinein, die auch dazu dienen, etwas in Bewegung zu setzen, dass die Antworten auch aus der Gruppe selbst kommen, egal ob Jugendliche oder Erwachsene. Wir geben natürlich auch unsere Perspektive dazu. Was hat das alles mit queer zu tun? Was hat queer mit Menschenrechten zu tun? Das ist für mich persönlich die große Klammer, um die es geht: Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren. Wenn wir von Menschenrechten sprechen, dann sind wir bei queer und umgekehrt. Das stellen wir häufig in den Workshops klar. Wir sehen uns nicht als Sexualkundeunterricht. Wenn Fragen dazu kommen, freuen wir uns, dass wir in dem Zusammenhang auch ein bisschen gefordert sind. Wir sehen uns aber als Team, das Menschenrechtsarbeit betreibt und versucht, Mobbing oder Diskriminierungsmechanismen sowie Lösungen dafür aufzuzeigen. Das machen wir methodisch mit ein paar interessanten Sachen, glaube ich.

Habt ihr da selbst Materialien geschaffen oder verwendet ihr welche, die es schon gibt?

Wir haben einen relativ breiten Methodenkoffer, der schon vorhanden ist, den zum Beispiel die Queer Connection in Wien als Partnerinstitution auch verwendet. Wir haben aber auch die eine oder andere Methode selbst entwickelt. Etwa die von mir entwickelte Stressskala, anhand derer wir aufzeigen, welche Verhaltensweisen im zwischenmenschlichen Bereich stattfinden, von „solidarisieren“ bis „bestrafen“. Wir fordern die Teilnehmenden in Kleingruppen auf, interaktiv eine Reihung vom besten zum schlechtesten Begriff zu machen. Bisher hatten die Gruppen noch nie das gleiche Ergebnis, es regt wieder zum Diskutieren an, gerade in dieser Zeit, wo wir mit ganz vielen Ausgrenzungen und Zuschreibungen konfrontiert sind, nicht nur die queere Community, sondern insgesamt. Diesen Gruppenzuschreibungen im populistischen Bereich muss man etwas entgegensetzen.

Kann man sagen, dass gesellschaftliche Veränderungen euer Ziel sind, also zu schauen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrem Arbeits- oder Schulumfeld einen Safe Space haben, sich wohlfühlen, dort sein und leben können?

Genau. Unser Auftrag ist für mich tatsächlich folgender: Ich weiß, in jeder Klasse oder Gruppe sind zehn Prozent queere Teilnehmende. Wenn ich von 20 Menschen ausgehe also durchschnittlich zwei. Mit unseren Workshops schaffen wir es, der Gruppe oder dem System dort zu helfen, damit diese zwei Personen leichter durchs Leben gehen können, dass sie nicht ausgegrenzt, nicht gemobbt, nicht diskriminiert werden. Denkt man an die ganzen Folgeerscheinungen, landen gar nicht so wenige davon irgendwo im Sozialsystem als Kostenfaktor. Das hören wenige gerne, weil man immer sagt, der Mensch steht im Vordergrund. Aber letztendlich geht es ja auch im Sozialbereich um Budgets. Wer zahlt die Beratungsleistungen? Wenn wir im schulischen Bereich sind und Kinder ausgegrenzt werden, dann sprechen wir von Nachhilfe, das erste Symptom. Dann muss Schulsozialarbeit betrieben werden oder möglicherweise werden Therapien notwendig, die die Eltern dann zahlen müssen. Wir können versuchen, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Menschen sich entfalten können, anstatt wegen ihrer Buntheit ausgegrenzt zu werden.

Würdest du sagen, dass eine Folge solcher Mechanismen auch ist, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene weniger in den klassischen Kunst- und Kulturbereich gehen oder überhaupt weniger Kultur wahrnehmen? 

Ich kann dir höchstens sagen, dass sich die Möglichkeiten des Austausches mit Internet und Co. verändert haben. Menschen kommunizieren auf eine andere Art und Weise miteinander, im Positiven wie im Negativen. Natürlich sind Ausgrenzung und Mobbing auf dem elektronischen Weg noch viel einfacher als im persönlichen Aufeinandertreffen. Da haben sich maximal die Mittel verändert, aber ich glaube nicht, dass das früher mehr oder weniger gewesen wäre. Das Internet macht die Hürde relativ flach, jemanden auszugrenzen oder zu beschimpfen.
Wir versuchen unsere Workshops sehr offen zu halten. Natürlich kommen persönliche Geschichten auch von den Teilnehmenden, aber die versuchen wir im Idealfall in einem Beratungssetting anzusprechen. In diesen Gruppen geht es darum, der ganzen Gruppe etwas zu ermöglichen. Natürlich wollen wir Betroffene „abholen“, wir nehmen sie ernst. Das ist für mich etwas ganz Wichtiges. Wenn da irgendeine Meldung kommt, dann greifen wir es auf und lassen die Gruppe diskutieren. Die kommt in der Regel immer auf ein gutes Ergebnis. Es kann nicht sein, dass nur Hass herauskommt. Möglicherweise wären wir dann gar nicht in diesem Setting. Denn was wir machen, findet in einem Flaschenhals statt. Da sind ja schon Menschen dort, die uns eingeladen haben, das Bewusstsein ist also schon da. Wir merken auch, dass unsere Workshops wirken, zum Beispiel weil wir weiterempfohlen werden. Anfragen kommen von Ecken, die wir vorher überhaupt nicht am Radar hatten. Das könnte wesentlich mehr sein, aber da sind wir wieder beim Thema Geld: Unsere Workshops kosten etwas. Sehr viel unserer Arbeit findet im Ehrenamt statt, aber für diese Workshops wollen wir eine finanzielle Gegenleistung. Das ist auch ein Flaschenhals. Für manche Schulklassen oder Jugendsettings ist dann genau das Geld der springende Punkt, an dem es scheitert. Die Eltern sollen für den Theaterbesuch und für den Wandertag zahlen und dann für das auch noch. Es dreht sich ja um fünf Euro oder so, also ganz überschaubare Größenordnungen. Trotzdem scheitert es daran manchmal.

Persson Perry Baumgartinger, Conny Felice ( 2019): „Ich sehe da die Möglichkeit der Buntheit …“. Conny Felice im Gespräch mit Persson Perry Baumgartinger.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/ich-sehe-da-die-moeglichkeit-der-buntheit/