„Ich sehe meine Arbeit als eine Irritation im Alltag weißer Subjekte.“

Ein Gespräch mit Carla Bobadilla über Kunstvermittlung als anti-diskriminatorische Praxis.

„Erwartet bitte von mir nicht, dass es keine Kommunikationsschwierigkeiten geben wird.“

Es geht dir also um Selbstbestimmung in einem gemeinsamen Handlungsraum, ja? Die Aufmerksamkeit für den eigenen Körper und die Betonung der Selbstverantwortung wären zwei wichtige Aspekte dahin. Ich höre zudem heraus, dass es bei dir viel um die Überlegung geht, wie du verschiedene Menschen zusammenführen kannst.

Ja, und für sie alle ist ein Lernprozess da. Da komme ich selbst von den eigenen Erfahrungen. Es ist nicht nur so, dass ich gebrochenes Deutsch spreche, sondern auch mein Spanisch ist ziemlich gebrochen. Ich vermute, ich bin eine starke Legasthenikerin. Ich habe Schwierigkeiten mit vielen Sachen und es ist so eine Art Handicap. Ich glaube, Menschen mit solchen Handicaps achten darauf, dass andere auch solche Handicaps haben könnten. Dadurch, dass ich selbst an der Volksschule, im Gymnasium und dann an der Universität unter solchen Bedingungen gelitten habe – erstens klassistische Bedingungen, zweitens rassistische Bedingungen, drittens machistische Bedingungen – gibt es für mich keine andere Möglichkeit, als einen Unterricht soweit es geht intersektional zu gestalten. Dass all diese Bedingungen oder all diese Faktoren im Unterricht einen Platz haben. Am Anfang sehe ich in der Klasse nur Mehrheitsangehörige, aber dann reicht ein Unterrichtstag für das Verständnis, wo die Schwierigkeiten da liegen. Aus welchem Bildungshintergrund kommen die Leute? Sind sie in der Stadt aufgewachsen? Sind sie am Land aufgewachsen? Ich fühle mich nicht so, als würde ich das besonders gut können. Ich sehe ständigen Weiterbildungsbedarf.

Du bringst eine hohe Achtsamkeit für Unterschiede oder individuelle Bedingungen zum Ausdruck. Wie förderst du eine solche Achtsamkeit? Du hast vorher gesagt, dass du manchmal sprachlich mit Texten Schwierigkeiten hast. Ist ein offener Umgang mit solchen Schwierigkeiten ein Weg, dass auch andere die eigenen Schwächen zeigen können?

Ja, absolut. Ich sage von Anfang an: Erwartet bitte von mir nicht, dass es keine Kommunikationsschwierigkeiten geben wird. Es wird Kommunikationsschwierigkeiten geben. Deutsch ist meine dritte Sprache. Ich werde mich manchmal so ausdrücken, dass ihr überhaupt nichts davon verstehen werdet. Wir bringen durch unterschiedliche Sozialisierungen auch komplett unterschiedliche Erwartungen mit, wie Sachen gestaltet werden zum Beispiel. Wie schlampig darf mein Unterricht überhaupt sein? Ist das erlaubt?

Ist das etwas, was du auslotest, wie schlampig der Unterricht sein darf?

Ich spreche das schon aus. Ich rede schon offen mit ihnen. Ich finde, da machen sich sehr viele Türen auf. Im Wintersemester nach den Weihnachtsferien waren wir alle da und ich habe gesehen, dass die Gesichter nicht besonders gut waren. Ich habe dann als erste Frage thematisiert, was sie gerade überfordert. Wir gehen ja immer alle davon aus, dass sowohl lehrende als auch lernende Personen in der Lage sind, gut zuzuhören oder zu artikulieren, sobald der Unterricht startet oder einfach prädisponiert zu sein für eine Lernsituation. Manchmal machen sich aber bei dieser Frage so wahnsinnig viele Sachen auf. „Mir geht es wahnsinnig schlecht. Ich habe meine Familie über die Weihnachtsferien getroffen und hatte keine Sekunde Ruhe, wo ich mich auf einen schwierigen Text einlassen kann.“ Wie viel Platz hat so etwas in meinem Unterricht?

Also da ist auch dieser Fokus auf die Bedingungen, die vorhanden sind.

Ja, genau.

Marcel Bleuler, Carla Bobadilla ( 2019): „Ich sehe meine Arbeit als eine Irritation im Alltag weißer Subjekte.“. Ein Gespräch mit Carla Bobadilla über Kunstvermittlung als anti-diskriminatorische Praxis.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/ich-sehe-meine-arbeit-als-eine-irritation-im-alltag-weisser-subjekte/