„Ich sehe meine Arbeit als eine Irritation im Alltag weißer Subjekte.“

Ein Gespräch mit Carla Bobadilla über Kunstvermittlung als anti-diskriminatorische Praxis.

Was könnte das produktive Potenzial von Kommunikationsschwierigkeiten sein? Was kann daraus entstehen?

Wenn ein Setting voller Löcher, Kanten und Unebenheiten ist, dann bringt dich das ja in eine aktive Rolle. Plötzlich hast du das Gefühl, dass du etwas machen musst, damit das funktioniert. Es funktioniert wieder einmal als Irritationsfaktor. Sie müssen sich da positionieren und etwas machen, aber es ist für mich immer die Frage, wie selbstverständlich das für die Studierenden ist. Studierende in einem Diplomlehrgang oder auf Masterniveau trauen sich eher und sagen: „Carla, hast du schlecht geschlafen? Soll ich dir einen Kaffee holen?“ Oder sie übernehmen Sachen, die ich selbst nicht kann. In einer Bachelorrunde, wo die Leute zwischen 19 und 23 sind und das die erste Ausbildung ist, die sie haben, sind sie noch nicht wirklich in der Lage, rebellisch dir gegenüber zu agieren.

Aber du hältst es für möglich, dass das Zeigen der eigenen Handicaps oder Schwächen für andere ermächtigend ist?

Ja.

Kannst du ein Beispiel nennen, wo du das konkret erlebt hast?

Im letzten Semester war ungefähr die Hälfte der Studierenden etwas älter, so zwischen 25 und 30. Sie waren auch sehr erfahren und haben schon andere Lehrveranstaltungen mit ähnlichen Themen besucht, wo sie sich schon einen theoretischen Hintergrund und Tools angeeignet haben. Da hatte ich Tage, wo ich wirklich sehr müde und erschöpft und nicht so schnell im Denken war. Da haben sie schon interveniert und vorgeschlagen, manche Dinge anders zu machen. Ich war in einer so guten Stimmung und so stolz, dass sie eine Intervention gemacht haben. Ich habe gleich gesagt, dass wir das genauso machen und das war für sie irritierend. Sie machten das aus einem rebellischen Impuls heraus und ich habe das nicht als rebellisch, sondern als eine Unterstützung und eine Ergänzung meines Wissens empfunden. Das war für sie ein schwieriger Moment. Am Ende der Lehrveranstaltung hatten wir aber eine Feedbackrunde und da habe ich zu solchen Momenten sehr schöne Kommentare bekommen.

Es ist interessant, dass das funktioniert, wenn du dich durch diese Reaktion der Studierenden nicht in Frage gestellt fühlst. Die Voraussetzung dazu ist wahrscheinlich auch ein Annehmen der eigenen Handicaps, der eigenen Müdigkeit oder was auch immer.

Genau, eine Akzeptanz der eigenen Lage, wie sie ist.

Oder auch einer Wertschätzung diesem Unperfekten gegenüber?

Ja, das absolut. Ich sehe, dass meine Sozialisierung eine starke Prägung ist. Ich komme nicht aus der Hauptstadt Santiago de Chile. Ich komme nicht aus der Mittelklasse Santiago de Chiles, sondern aus der Mittelklasse der Provinz, der Mittelklasse von Valparaíso, einer kleineren Stadt. Valparaíso ist so aufgebaut, dass du, egal zu welcher Klasse du gehörst, immer mit Armut konfrontiert bist. Dein Nachbar ist immer entweder jemand, der viel mehr oder viel weniger Geld hat als du. Damit bist du immer konfrontiert. Und nicht nur das. Du gehst durch deine Tür hinaus und du wirst mit einer Welt konfrontiert, die im Werden ist. Lateinamerika beschreibt sich ja so als der Kontinent, der im Werden ist. Ich glaube, das trifft genau auf diese Situation zu, wo Dinge einfach nicht fertig sind ‑ und so wie sie sind, sind sie gut. Dadurch, dass sie nicht fertig sind, werden andere Prozesse ermöglicht.

Du hast einige Male erwähnt, dass du aus der bildenden Kunst in die Kunstvermittlung gewechselt bist. Lassen sich diese zwei Felder so deutlich trennen? Inwiefern geht es dir auch einfach darum, einen anderen Begriff von Kunst zu prägen, oder inwiefern gibt es vielleicht auch verschiedene Begriffe und du bist von einem zu einem anderen gewechselt?

Ich denke, das liegt sehr stark an der Ausbildung für bildende Kunst. Meine Ausbildung war natürlich eine sehr klassische Ausbildung: Zeichnen lernen, Farben mischen, Materialien für die Bildhauerei, sowohl Holz als auch Metall und Fotografie, klassische Fotografie, Film. All das habe ich durchgemacht. Im Beruf ist dann die Frage, wie das Zeichnen als ein emanzipatorisches Tool dient. Wie kann ich das, was ich in der reinen Kunstausbildung gelernt habe, als emanzipatorisches Tool anwenden? Natürlich gebe ich dir recht. Es ist nicht so, dass ich aufgehört habe, bildende Künstlerin zu sein. Ich verwende alles, was ich als bildende Künstlerin kann und gelernt habe, um solche Prozesse zu ermöglichen. Das Zeichnen ist für mich so ein klassisches Thema. Alle Menschen denken, dass sie überhaupt nicht zeichnen können. „Ich habe das nie gelernt, war immer schlecht und habe immer schlechte Noten bekommen.“ Meine Erfahrung ist, je mehr deine Hand mit deinem Herz verbunden ist, desto besser sind deine Zeichnungen. Wie kann ich das in einem emanzipatorischen Setting von einem Workshop anwenden? Wie kann ich ermöglichen, dass die 15 Leute, die vor mir sitzen, am Ende des Workshops im Glauben sind, dass sie es machen können? Insofern denke ich, weg vom White Cube, aber es bleibt trotzdem noch Kunst.

Marcel Bleuler, Carla Bobadilla ( 2019): „Ich sehe meine Arbeit als eine Irritation im Alltag weißer Subjekte.“. Ein Gespräch mit Carla Bobadilla über Kunstvermittlung als anti-diskriminatorische Praxis.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/ich-sehe-meine-arbeit-als-eine-irritation-im-alltag-weisser-subjekte/