Im Juni 2012 werde ich in Montréal zur Zeugin von Schritten in die Stadt, die Geschichte schreiben. Diese Geschichte ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Essays noch in Gange. Jeden Abend um 20.00 gehen sie in Montréal auf die Straße. Die Bewegung verändert die Stadt. Sie erfüllt die Straßen mit den Körpern, die als Subjekte ihr politisches Recht der Manifestation einsetzen. Anfänglich war es ein Streik der Studierenden, gegen höhere Studiengebühren. Ein neues Gesetz verschärfte die Situation. Das Gesetz 78, ein Notstandsgesetz, wurde eingeführt, verhängt. Den Mitarbeiter_innen der Universitäten wurde das Streikrecht entzogen, in der Nähe der Universitäten durften keine Kundgebungen mehr stattfinden. Demonstrationen mit mehr als 50 Teilnehmer_innen wurden anmeldepflichtig. Die Bedrohung der Grundrechte verstärkte die Bewegung. Die Schritte der Demonstrierenden werden durch die Konzerte der Kochtöpfe, les concerts de casseroles, unterstützt. Die Kochtöpfe verleihen den Schritten Lautstärke. „La Grève est Étudiante. La Lutte est populaire“ steht auf den Bannern. Wem gehört die Straße? „À nous la rue!“ Jeder Schritt zählt. Die Subjekte gehen auf die Straße. Die Straßen werden durch sie zur Öffentlichkeit. Die Körper der Subjekte sind ihr politisches Manifestationskapital. Die Straßen gehen durch die Körper der Subjekte. Sie sind in Bewegung versetzt. Das Gehen ist ein politischer Akt, der Geschichte schreibt. Der Ausgang dieser Geschichte des Kampfes gegen die Bedingungen, unter den Verhältnissen des Neoliberalismus zu leben, ist offen. Es geht weiter …
Elke Krasny ( 2013): Im Gehen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/im-gehen/