„In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“

Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme

Insgesamt versuchen wir, uns über solche Projekte unserer Vision, der Ermöglichung von Teilhabe, zu nähern. Natürlich muss sich ein solches Ziel auch in den Strukturen widerspiegeln. Da sind uns vorerst aber Grenzen gesetzt. Ich kann keine*n langjährige*n Mitarbeiter*in kündigen, weil ich eine Person mit Migrationshintergrund einstellen möchte. Es gibt in den nächsten Jahren aber einige Leute, die in den Ruhestand gehen und da müssen wir dann sehr darauf achten, dass Leute kommen, die auch unsere diverse Gesellschaft repräsentieren.

 

Aus einigen Programmheften lässt sich herauslesen, dass sich die ARGEkultur der Diversifizierung verschrieben hat. Gibt es Diversity-Ansätze, mit denen ihr arbeitet, oder werden zum Beispiel Quoten diskutiert?

Diese Diskussionen gibt es vor allem auf der Programmebene, aber wir haben keine Quoten festgesetzt. Es handelt sich hierbei um eine kuratorische Frage. Wir bemühen uns beispielsweise sehr stark um ein relativ ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, was im Detail gar nicht so einfach ist. Man muss schon darauf achten, dass man Künstler hält, die das Publikum interessieren und leider ist es in Österreich so, dass der Musikbereich männlich dominiert ist. Ich bekomme täglich zwischen 20 und 30 Konzertanfragen, die zu 80 Prozent aus rein männlich besetzten Rock-Bands bestehen. Aber weil wir mit 30 bis 35 Konzerten im Jahr relativ begrenzt arbeiten, kann man durchaus Schwerpunkte setzen. Ich habe sicherlich bereits den einen oder anderen verärgert, weil ich ihm nicht zugesagt habe, und stattdessen lieber rein oder überwiegend weibliche Acts programmiert habe. Die Programmierung ist eine Gratwanderung zwischen dem Halten von Künstlern und dem Akquirieren von neuen, vor allem weiblichen, queeren, migrantischen und postmigrantischen Künstler*innen.

Im Bereich Kabarett ist die männliche Dominanz noch viel eklatanter. Hier etwas zu verändern, ist auch deshalb eine große Herausforderung, weil das Kabarett für uns wirtschaftlich funktionieren muss. Der Bereich ist sehr marktabhängig, und da beiße ich mir bisher die Zähne aus.

 

Und wie sieht es bei den Mitarbeiter*innen aus?

Auf der Strukturebene sind wir, von der Geschäftsführung bis zu den Ordner*innen, insgesamt 43 Mitarbeiter*innen auf 14 Vollzeit-Äquivalenten, wobei wir alle in Teilzeit arbeiten. Viele von den 13 Festangestellten sind teilweise seit fast 30 Jahren beschäftigt und die Anstellungen sind hinsichtlich Geschlecht tatsächlich paritätisch besetzt.

Was die Inklusion von beeinträchtigten Menschen angeht, haben wir eine festangestellte Person und eine Person im Vorstand und sind damit über der gesetzlich vorgegebenen Quote. Was Inklusion bei Neuanstellungen angeht, müssen wir natürlich immer auch die Notwendigkeiten des Betriebs ansehen: Im Bereich Veranstaltungstechnik hat dieses Jahr ein neuer Lehrling angefangen, und dort kann ich zum Beispiel niemanden im Rollstuhl einstellen, da das für diesen Ausbildungsberuf nicht geeignet wäre.

Was Diversität in den Strukturen angeht, haben wir ganz klar großen Nachholbedarf. Das versuchen wir durchaus bei der Einstellungspolitik, zum Beispiel bei geringfügig Beschäftigten oder in Zukunft bei Neueinstellungen für festen Mitarbeiter*innen, zu berücksichtigen.

Diese ganzen Fragen hinsichtlich Programm und Struktur stehen aber noch in einem größeren Zusammenhang: Wir sind das einzige Kulturunternehmen in Österreich, das gemeinwohlbilanziert ist. Es geht dabei um Themen wie ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz, Mitentscheidung, soziale Kriterien oder Gleichberechtigung. Diese Aspekte stellen wir strukturell im Gemeinwohlökonomie (GWÖ)-Bericht fest und daraus ergeben sich dann die Arbeitsfelder, in denen wir tätig werden müssen. Wir reden nicht über Quoten, aber wir identifizieren damit unsere Stärken und Problemfelder. Wir sind ein Verein mit einer gemeinnützigen GmbH. Auf Vereinsebene machen wir im Vorstand die Strategiearbeit. Das heißt, wir haben eine Vision, leiten davon eine Strategie ab und setzen sie dann im operativen Bereich in der Geschäftsführung um. Da fließen die Ergebnisse der GWÖ ein. Gleichzeitig machen wir Workshops mit unseren Mitarbeiter*innen, in denen wir zum Beispiel darüber brainstormen, was wir im täglichen Betrieb tun können, um unsere Ökobilanz zu verbessern. So fließen auch die Themen Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion ein. Insofern gibt es einen Diskurs, der sich nicht am Begriff Quote festmacht, sondern über die Gemeinwohlökonomie läuft.

Dilara Akarçeşme, Sebastian Linz ( 2020): „In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“. Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/in-einer-gesellschaft-in-der-sich-weltbilder-schliessen-muss-man-auf-oeffnung-setzen/